Über den Sommer hat sich einiges angesammelt – zwar nicht unbedingt die ersehnte Hitze, dafür aber eine Menge spannender Platten. Ein Schnelldurchlauf im Tauchsieder. Von SONJA EISMANN
Dass das schwedische Trio Little Dragon prominente Fans von TV On The Radio bis zu Outkast hat, verwundert bei ihrer dritten Platte Ritual Union (Peacefrog/Rough Trade) wirklich niemanden mehr. Sängerin Yukimi Nagano singt ihren Electro-R’n’B mit cooler und doch schmelzender Stimme über verzerrt pluckernde Dance Beats, die mit ihren weirden, oft merkwürdig eiernden Sounds absolut eingängig sind. Wenn zwischendurch immer wieder das Tempo lustvoll rausgenommen wird, klingt das so sensual, dass sogar Prince ein wohliger Seufzer entweichen dürfte.
Auch irgendwie sinnlich und weird, dafür aber noch mit einer Extra-Portion Humor geht Aérea Negrot ihre außergewöhnlichen Kompositionen für ihren ersten Longplayer Arabxilla (Bpitch Control/Rough Trade) an. Zu Negrot, die in Venezuela aufwuchs und über Stationen in Caracas, Porto, Den Haag und London letztendlich in Berlin landete, passt die etwas dämliche Bezeichnung des „Paradiesvogels“ nun endlich tatsächlich mal. Die Avantgarde-Tänzerin, die für ihre Gesangs- und Tanzeinlagen für Hercules & Love Affair bekannt wurde, fusioniert Oper, Disco, Clubsounds und Spoken Word in eine englisch-spanisch-deutsche Sprachmischung mit einer überkandidelten Eleganz, die auch Grace Jones gut zu Gesicht stehen würde.
T-INA Darling aka Ina Wudtke, die umtriebige DJ, Producerin, Künstlerin, Autorin und Kuratorin – die Ausstellung zu ihrem Buch „Black Sound White Cube“ geht gerade im Berliner Bethanien zu Ende – stellt mit einem neuen Werk ihre Vielseitigkeit ein weiteres Mal unter Beweis: Auf The Fine Art of Living (Rudel Records) trifft Spoken Word auf Tanzstücke mit Elementen aus Swing, Broken Beats, R’n’B, Bar Piano, Slow Raps und Dub. In zwei Teilen – Seite A ist englisch-, Seite B deutschsprachig – greift T-INA unter dem übergeordneten Thema kapitalistischer Bauspekulation und prekärer Lebensumstände u.a. auf Gedichte von Langston Hughes zurück, die genau diese Form der Unterdrückung, gepaart mit rassistischer Diskriminerung, schon in den 1920er Jahren thematisierten. Auf der B-Seite kommt, in T-INA’s Voice, auch May Ayim zu Wort, und natürlich geht es um die Zustände im schicken, prekären Berlin.
Was prekäres Leben bedeutet, weiß Mamani Keita nur zu genau. In einem Interview erinnert sich die aus Mali stammende Musikerin, die als Backgroundsängerin für Salif Keita Ende der 1980er nach Paris kam und dort jahrelang ohne Papiere lebte, wie sie an einem Morgen vor sieben Jahren nicht einmal zwei Euro für ein Essen für ihre kleine Tochter auftreiben konnte. Auch ihre NachbarInnen, denen es ähnlich beschissen ging, konnten mit der erbetenen Summe nicht aushelfen. Da wurde ihr klar: nicht nur sie war am Ende, sondern auch dieses Frankreich, in dem sie miserabel von Transferleistungen lebte. Aus dieser Erfahrung entwickelte sich der Refrain, der als eine Art Schlachtruf der illegalisierten EinwanderInnen in Frankreich gelten kann und titelgebend für ihr neues, bereits drittes Soloalbum wurde: „Pas facile gagner l’argent français, bosser bosser“. Zum zweiten Mal mit dem Multiinstrumentalisten Nicolas Repac erarbeitet, steht auf Gagner l’argent français (No Format!/Because Music/Al!ve) wieder die Vermischung traditioneller malischer Instrumente mit globalen Samples, Afrobeat- und Rock-Gitarren sowie vor allem Keitas ausdrucksvoller, so klarer wie kehliger Stimme im Vordergrund, mit der sie in ihrer Muttersprache Bambara mit zahllosen Background-Chören dialogisiert. Sentimental und euphorisierend zugleich.
Die zwei jungen Frauen vom Duo Jolly Goods hat es aus dem beschaulichen Odenwald mittlerweile nach Berlin verschlagen, doch die zweite Platte, von Hans Unstern und Dirk von Lowtzow produziert, hat nichts von ihrer grungigen Wut eingebüßt. Das Walrus (Staatsakt/Rough Trade), das hier eindeutig gequeert auftritt, ist ein dickes Rockbrett, wie aus der Zeit gefallen, bei dessen gequält-zornig nach hinten überkippender Stimme es sich durchaus an die frühe PJ Harvey oder Godmother Patti Smith denken lässt.
Und zu guter Letzt noch one for the dancehall: Jamaikas selbst ernanntes „Bad Gyal“ Ce’Cile ist mit einem neuen Album zurück und macht sich an die Jamaicanization (Kingstone/Groove Attack) der Welt. Wenn das mit ihren eingängigen Tunes zwischen Reggae, Dancehall und Pop, die auch heiße Eisen wie „Touch Yourself“ oder „Nah Stress Over Man“ anfasst, nicht funktioniert, müsste es doch mit der Teufelin zugehen.
Links:
www.little-dragon.se
www.myspace.com/aereanegrot
www.djt-ina.com
http://mamani.keita.free.fr
www.jollygoods.net
www.myspace.com/cecile