Der Hashtag #metoo macht sexuelle Gewalt zum Skandal. Hoffentlich nachdrücklich und nachhaltig. Von BEATRICE FRASL und CHARLOTT SCHÖNWETTER
Ich lese die Worte einmal in meinem Facebook-Feed. Ein zweites Mal. Ein drittes Mal. Unzählige Male.
Ich bin betroffen. Ich werde betroffen gemacht.
Die dröhnende Leere im Brustkorb, die mich begleitet, seit ich 17 war. Die sich von dort aus im Rest meines Körpers, der nie meiner war, ausbreitet.
Ich tippe in die Tastatur #metoo.
Die großen Erlebnisse – die, die im Brustkorb und im Jetzt nachdröhnen – mit zehn, mit zwölf, mit 17. Die kleineren, die das Dröhnen verstetigen: fast täglich. Früh lernt man das Folgende: Frausein bedeutet immer auch: Angst haben, bereit sein, verletzbar sein, aufmerksam, um die Aufmerksamkeit der anderen nicht zu erregen, Schlüsselenden zwischen den Fingern der rechten, Taschenalarm in den Fingern der linken Hand. Wegen der Finger der anderen. Wir haben aufmerksam gelernt.
Dann die Worte, die das eigene Dröhnen in eine Reihe mit dem Dröhnen anderer stellten: #metoo.
Es ist eine lange Reihe: damals mit neun der Onkel, mit zehn der Sportlehrer, mit elf der Vater des Klassenkollegen, mit zwölf Brüste bekommen und plötzlich nicht mehr Mensch sondern Verwertbarkeit, der Vater, der sie kommentiert, später der Chef, der nach diesen Brüsten greift. Sie sind nie die eigenen, sie sind immer zuerst die der anderen. Der erste, zweite, dritte, vierte, fünfte, sechste Passant, Bauarbeiter, Mann, in der Schlange im Supermarkt vor mir, hinter mir, in der U-Bahn vor mir, neben mir, hinter mir, der nachpfeift, nachschreit, Kussgeräusche macht, den Hosenschlitz öffnet und in diesen Hosenschlitz greift. Dann nicht mehr der Vater des Klassenkollegen, jetzt der Klassenkollege selbst. Auch er hat aufmerksam gelernt. Dann mit 17 der gute Freund, der das Nein nicht hört, dessen Körper sich in den eigenen stößt und ihn nie wieder verlässt. Der Körper, der an einem hängt, an den hängen sich jetzt andere. Nicht mehr Mensch sein, auch immer: Figur. Immer ins Außen gezerrt, immer Flucht ins Innen.
#metoo
Jetzt nicht mehr Reihe. Jetzt Phalanx.
Jetzt Zähne und Krallen.
Eine, zwei, viele.
Viele.
Beatrice Frasl ist Gründerin und Co-Host des feministischen Podcast „She Who Persisted“ und findet, dass #metoo einen wichtigen Moment der Kristallisation, kollektiven Entschämung und bestärkenden Solidarisierung darstellt.
Mit den Enthüllungen um Harvey Weinstein geriet (diesmal) der Stein ins Rollen und ganz schnell ging es nicht mehr ausschließlich um die mit ihm verknüpften Fälle. Sexualisierte Gewalt, so zeigte sich wieder einmal, ist ein verbreitetes Problem. Mit dem Hashtag #metoo signalisierten (vor allem) Frauen, dass sie ebenfalls sexualisierte Gewalt erfahren haben, und beschrieben teilweise auch konkrete Erlebnisse. Den Hashtag erfand vor bereits zehn Jahren Tarana Burke. Ihr ging es dabei um Empathie und darum, dass sich Betroffene nicht allein(gelassen) fühlen müssen. Die Hashtag-Aktion kann bestärken, aufrütteln, befreien, Gespräche in Gang setzen und das Gefühl geben, dass die eigenen Erfahrungen endlich wahr- und ernst genommen werden.
Trotzdem beurteile ich diese Art Hashtags nicht ungetrübt positiv, sondern habe auch eine Reihe von Fragen, die jedoch keinesfalls als Kritik an jenen zu verstehen sind, die unter #metoo posten.
Warum braucht es überhaupt immer wieder Kampagnen, die aufzeigen, wie verbreitet diese Art von Gewalt ist – gibt es dazu doch längst hinlänglich Belege jeglicher Form? An wen richtet sich diese „Beweisführung“? Wer kann leichter unter so einem Hashtag schreiben und welche Geschichten bleiben marginalisiert? Welche Perspektiven hören wir in der medialen Aufbereitung der Aktion? Kann es zu einem Positionierungsdruck für Betroffene kommen? Und vor allem: Was kommt nach der kurzen Aufmerksamkeitswelle?
#metoo ist nicht der erste Hashtag dieser Art – und wird sicher nicht der letzte bleiben. Wir hatten einen #aufschrei, außerdem gibt es #IBelieveHer und #YesAllWomen sowie #WhyWomenDontReport und #ichhabnichtangezeigt. Und das sind nur jene aus den letzten paar Jahren. Es wäre natürlich falsch zu sagen, dass diese Hashtags und was teilweise aus ihnen erwachsen ist, nichts bewirkt haben und bewirken werden. Dennoch frage ich mich, wie viele Hashtag-Runden wir wohl noch drehen müssen, bevor die mediale Reaktion auf die Allgegenwart sexualisierter Gewalt nicht mehr Überraschung und Unglauben ist. Bevor es endlich so weit ist, dass Betroffenen grundsätzlich Glauben geschenkt wird und Menschen in ihrem konkreten Umfeld Betroffene unterstützen und sich mit ihnen gegen die Täter_innen solidarisieren.
Charlott Schönwetter schreibt ihre Doktorarbeit über Literatur, Gewalt und Zeug_innenschaft. Sie bloggt bei der Mädchenmannschaft u. a. zu Asylrecht, reproduktiven Rechten, Köpernormen und sexualisierter Gewalt.