Experimentelle Soundkaskaden statt Soundfolter, Beats wie Peitschenschläge. CHRISTINA MOHR hat ihren Sound für den Sommer gefunden.
Man kann es kurz machen: Lady Gagas zweieinhalbtes Album (die EP „Fame Monster“ mitgezählt) Born This Way (Interscope/Universal) ist die reine Soundfolter. Okay, Soundfolter mit ein paar guten Momenten, wie der von Gagas Berlinaufenthalten inspirierten Verballhornung der deutschen Sprache „Scheiße“, dem zähfließenden Dance-Groove auf „Bloody Mary“ und dem Supertext von „Hair“. Der Hit „Born This Way“ erinnert frappierend an Madonnas „Express Yourself“, das sich ebenfalls an Madonna abarbeitende „Judas“ klingt wie ein mittelmäßiger Beitrag für den Eurovision Song Contest. Der Rest ist eine unbarmherzig ballernde Mixtur aus Achtzigerjahre-Rock und trashigem Euro-Techno. Da sich Gaga und ihre Entourage wohl kaum nur zum Rumalbern im Studio einfinden, muss man von Vorsatz und voller Absicht ausgehen. Bleibt die Frage: Warum?
Sie wird mit Grace Jones verglichen, mit Björk und Billie Holiday. Dabei ist die in Ruanda geborene und in Berlin lebende Barbara Panther so einzigartig wie nur wenige andere Künstlerinnen. Sie liebt spektakuläre Verkleidungen, ihre Auftritte bleiben allen im Gedächtnis, die sie jemals live erlebt haben. Die vergangenen Herbst veröffentlichte EP machte neugierig auf ihr Album Barbara Panther (CitySlang), das von Matthew Herbert produziert wurde – der aber zu Panthers Tracks außer ein paar Soundideen nicht viel beizusteuern hatte. Barbara Panther hat nicht nur eine unverwechselbare Stimme, sie schreibt auch tolle Songs im Spannungsfeld von Elektro, Soul und Hip-Hop. Die Single „Empire“ ist eine wütende Abrechnung mit kirchlichem Machtmissbrauch, „Rise Up“ ist ein Weckruf an alle, die es sich in ihren Verhältnissen gemütlich eingerichtet haben. Auf „Voodoo“ fahren die Beats Achterbahn und im romantisch angehauchten „Moonlight People“ kann man sich zu sanften Calypso-Rhythmen wiegen. Barbara Panther ist lustig, gefährlich und unerschrocken: Unsere Frau für diesen Sommer – mindestens!
Der Sound der 1980er-Jahre geistert so stilecht durch viele neue Platten, dass man zuweilen aufs Produktionsdatum gucken muss, um sich nicht zu blamieren. Hurts aus Manchester sind mit ihrem eklektischen Elektropop irre erfolgreich, Acts wie Zola Jesus orientieren sich eher an der Indie-Variante der Achtziger. Auch Katie Stelmanis, Sängerin der queeren kanadischen Band Austra, schöpft aus dem Erbe von Wave und Gothic: Feel It Break (Good To Go / Domino) zeichnet sich durch hypnotische Synthie-Melodien, brummelnde Bässe, Beats wie Peitschenschläge und verzögertes Tempo aus. Stelmanis engelsgleiche Opernstimme macht das Album zur Séance, Austra gehen mit heiligem Ernst zur Sache. Songs wie „Spellwork“ und „Lose It“ klingen, als sänge Joni Mitchell 1982 im Londoner Club Bat Cave. Die Single „Beat and the Pulse“ bleibt das beste Stück der Platte, die Mischung aus spooky Atmosphäre und verführerischer Coolness gelingt Austra nur hier besonders packend.
Wer die amerikanische Musikerin Erika M. Anderson alias EMA von ihren ehemaligen Bands Amps for Christ und Gowns kennt, könnte ihr Solodebüt beinah gefällig finden. Das ist es natürlich nicht, aber durchaus zugänglicher als der Riot-Grrrl-Noise-Folk früherer Tage. Der sieben Minuten lange Opener „The Grey Ship“ ist ein Prüfstein: Entweder man bleibt fasziniert dabei oder verabschiedet sich danach, weil man ahnt, dass Past Martyred Saints (Souterrain Transmissions / Rough Trade) zu viel von einem verlangt. Eventuelle Vergleiche mit Cat Power und PJ Harvey sind nicht falsch, aber EMA ist keine Epigonin. Dass EMA nach Los Angeles zog, weil sie „Welcome to the Jungle“ von Guns’n’Roses wirklich mochte und dass sie unlängst Supportact für Throbbing Gristle war, sind wichtige Puzzleteile im Gesamtbild EMA. Sie verknüpft grungy Gitarren-Feedbackorgien mit bittersüßem Girlpop, experimentelle Soundkaskaden mit minimalistischem Folk. „Breakfast“ ist bis aufs Gerippe ausgezogener Gospel, zum psychedelischen „Marked“ kann man – mit den richtigen Drogen – sogar tanzen. EMA ist eine grandiose Songwriterin, die kein Interesse daran hat, dass man ihre Lieder mitsingt.
Links:
www.lady-gaga.de
www.myspace.com/barbarapanther
www.myspace.com/austra
www.cameouttanowhere.com (EMA)