Die Biennale in Venedig hat diesmal eine künstlerische Leiterin und mit über dreißig Prozent teilnehmenden Künstlerinnen auch eine ungewöhnlich hohe Frauenquote. Doch das macht sie leider nicht zu einer feministischen Schau. Von LEA SUSEMICHEL
Angesichts der Vorgeschichte drängt sich die Assoziation auf: Wie ein phallischer Großes-Auto-kleiner-Junge-Traum ragt Erwin Wurms kopfstehender und begehbarer LKW vor dem Österreichpavillon in die Höhe. „Stillstehen und über das Mittelmeer schauen“, lautet die Handlungsanweisung oben auf dem Lastwagen. Allerdings kann man das Meer gar nicht sehen, denn der LKW-Turm ist um das entscheidende Stückchen kleiner als geplant geraten.
Der Publikumsliebling Wurm hat damit nicht nur außen den Pavillon völlig in Beschlag genommen, sondern auch den gesamten Innenraum für sich und seine populäre One-Minute-Mitmachkunst alleine beansprucht – und Brigitte Kowanz mit ihren Lichtskulpturen in einen Anbau verdrängt.
„Infinity and beyond“ nennt die österreichische Künstlerin, die sich mit Kritik an Wurm bedeckt hält, ihre elegante Arbeit, die in dem zugebauten und auf sie zugeschnittenen White Cube nun immerhin optimal zur Geltung kommt. Mit den für sie charakteristischen leuchtenden, gespiegelten Schriftschnörkeln hält Kowanz wichtige Zeitpunkte der Digitalisierung in Morsecode fest, etwa den Startschuss von Internet, Google und Wikipedia. Licht dient ihr dabei sowohl als immaterieller Informationsträger wie auch als Raumbildner.
Dickes Kuchenstück. Doch anders als im österreichischen Pavillon steht die Arbeit von Künstlerinnen diesmal sogar oft im Vordergrund – dieses große Kompliment muss man der 57. Biennale machen. In den Länderpavillons etwa bei der Maori Lisa Reihana, die sich mit einer eindrucksvollen Panoramafilm-Installation der Kolonisierung Neuseelands widmet. Viel Raum und ein fettes Stück vom umkämpften Kuchen der knallharten Aufmerksamkeitsökonomien des Kunstbereichs beanspruchen auch Phyllida Barlow (Großbritannien) mit ihren gigantischen Pappmaché-Gebilden oder Tracey Moffatt (Australien) mit ihren poetisch inszenierten Monumentalfotografien für sich. Ebenso wie Candice Breitz (Südafrika), die in ihrem berührenden Beitrag Alec Baldwin und Juliane Moore reale Fluchtgeschichten vortragen lässt. Sowie natürlich Anne Imhof mit ihrer gefeierten Faust-Performance im von Dobermännern bewachten deutschen Pavillon, die auch mit dem Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag ausgezeichnet wurde.
Mitunter haben diese Beiträge sogar eine eindeutig feministische Intention, insbesondere jener der 91-jährigen Geta Brătescu (Rumänien), deren vielgestaltige konzeptuelle Kunst sich immer wieder mit weiblicher Identität beschäftigt und so einen „Exorzismus des eigenen Bildes“ betreiben will.
Auch im Schweizer Pavillon wird mit „Women of Venice“ am Beispiel der vergessenen amerikanischen Künstlerin Flora Mayo, die gemeinsam mit ihrem Geliebten Alberto Giacometti studierte und arbeitete, dann aber in der Bedeutungslosigkeit verschwand, exemplarisch das Schicksal vieler kunstschaffender Frauen illustriert.
Reine Kunst. Besonders hoch ist der Anteil der Arbeiten von Frauen im vom Christine Macel kuratierten Teil der Biennale, und auch hier finden sich einige feministische Positionen, wie etwa jene von Senga Nengudi, die mit Nylonstrumpfhosen das Dickicht unflexibler Geschlechterrollen veranschaulicht. Macel, die Chefkuratorin des Centre Pompidou in Paris, ist erst die vierte Frau in der 122-jährigen Geschichte dieser so prestigeträchtigen Ausstellung. Sie hat als künstlerische Leiterin nicht nur mit einem Frauenanteil von dreißig Prozent ein deutliches Statement gesetzt. Auch die diesjährige Vergabe des Goldenen Löwen für das Lebenswerk an die feministische Kunstikone Carolee Schneemann verdankt sich dem Vorschlag von Macel.
Doch als politische Positionierung will Christine Macel ihre Schau nicht verstanden wissen – im Gegenteil. Zu theorielastig sei der Kunstdiskurs geworden und viel zu politisiert die Kunst, betont die Kuratorin (die „nicht in die Schublade ‚weiblicher Kurator’ gesteckt werden“, sondern einfach „Kurator“ genannt werden will) in Interviews ein ums andere Mal. Ihr diesjähriges Biennale-Motto „Viva Arte Viva” soll deshalb nur die reine Kunst und die Kunstschaffenden in ihrem individuellen und originär künstlerischen Ausdruck leidenschaftlich feiern.
Abwegig und antiquiert. Diese Entpolitisierung wirkt nicht nur angesichts gegenwärtiger weltpolitischer Katastrophen, die sich nirgendwo einfach ausblenden lassen, buchstäblich unzeitgemäß. Denn die proklamierte Abkehr von bloßer „Tagespolitik“ scheint zu einer Ausblendung vieler zeitgenössischer künstlerischer Auseinandersetzungen mit Gegenwartsfragen zu führen. Wodurch die in Kapitel wie „Gemeinschaft, Erde, Traditionen, Schamanen …“ unterteilte Hauptausstellung immer wieder ziemlich abwegig und antiquiert wirkt. Denn trotz der Abwendung von allzu offensichtlich politischer Kunst soll die Schau sich durchaus den großen Fragen widmen und dabei mit künstlerischen Mitteln auch gesellschaftliche Utopien entwerfen. Allerdings erschöpft sich dies nicht selten in ins Esoterisch-Spirituelle driftenden Arbeiten wie z. B. „Planetary Dances“ (Anna Halprin), die mitunter nur knapp am Ethnokitsch vorbeischrammen. Dass in der Schau nicht nur der Frauen-, sondern auch der Anteil nicht-weißer und nicht-westlicher Kunst vergleichsweise hoch ist, wird leider immer wieder mit dem Preis der Folklorisierung erkauft. So scheint etwa die „Zurück zur Natur“-Euphorie des „Earth-Kapitels“, in dem sich eine riesige archaisch wirkende Schildkröten-Skulptur (Erika Verzutti) findet, deutlich auch in andere Bereiche überzuschwappen. In ihnen werden dann mit Zelt und Trommeln ein heiliger Ort (Ernesto Neto und the Huni Kuin) errichtet oder iPhone und MacBook mit Steinwerkzeugen kontrastiert.
Auch dort, wo es explizit um eine Auseinandersetzung mit dem vergeschlechtlichten Körper geht, wirkt die Schau wie aus der Zeit gefallen, denn queere, dekonstruktivistische Positionen fehlen.
Revolutionär. Erfreulicherweise dominieren in der Ausstellung neben Naturmaterialien auch traditionelle Kunsttechniken wie Tapisserie, Gestricktes, Gehäkeltes und Genähtes. Und die sinnliche Sogkraft von Arbeiten wie Lee Mingweis „Mending Project“, einer Installation aus Garnrollen und weit durch den Raum gespannten Fäden, ist groß. Auch Takesada Matsutanis Wollknäuel, Leonor Antunes filigrane Vorhänge, Cynthia Gutiérrez’ Teppiche oder die gestickten Schriftbilder von Maria Lai funktionieren alle allein auf rein formal-ästhetischer Ebene. Dennoch ist es ein entscheidendes Manko, dass trotz der Fülle an entsprechenden Arbeiten nicht zum Thema gemacht wird, welch wichtige explizit feministische – und damit politische – Strategie es ist, auf im männlichen Kunstbusiness lange naserümpfend als bloßes Kunsthandwerk abgetane Techniken wie eben z. B. Stricken und Sticken zurückzugreifen. Denn angesichts der anhaltenden Abwertung solcher „Frauenkunst“ war und ist das geradezu ein revolutionärer Akt.
„Kunst zu machen allein ist ein revolutionärer Akt“, behauptet hingegen die Kuratorin Christine Macel. Es muss ihr widersprochen werden, zur Revolution braucht es mehr – und wohl nicht zuletzt auch ein wenig politischen Kampfgeist. Als „Widerstand“ definiert denn auch die Künstlerin Anne Imhof diesen Revolutionsgeist. Denn er sei „das Wichtigste genau jetzt in der Welt“.