Interview: Regisseurin und Drehbuchautorin Kurdwin Ayub tötet in ihrem Kulturkampf-Musical jeden Tag einen weißen Mann.
Im Jahr 2666 regiert Königin Aliah den islamischen Staat Europa. Jeden Tag tötet sie einen weiteren weißen Mann – weil sie alle nerven. Kurdwin Ayub hat für die Volksbühne Berlin ein provokant-pompöses Kulturkampf-Musical erschaffen. Es ist auch eine Reaktion auf Kuratoren, die ihr sagten, ihre Kunst schüre „Angst vor anderen Kulturen“. Und es wird auch bei den Wiener Festwochen gespielt werden. SOPHIA KRAUSS hat mit ihr gesprochen.
an.schläge: In deinem Theaterstück greifst du ähnliche Themen wie in deinen Filmen auf. Was hat die weiblichen Hauptfiguren in „Weisse Witwe“, die Königin Aliah und ihre Tochter, inspiriert? Sie wirken manchmal eher wie eine Satire gegenwärtiger Kulturkämpfe und nicht wie realistische Figuren.
Kurdwin Ayub: Die Königin Aliah ist das Sinnbild althergebrachter rassistischer Erzählungen. Sie ist die Angst der europäischen Gesellschaft vor der Zukunft ihrer Welt – in Form der muslimischen Frau. Aliah personifiziert all das, wovor sich diese Gesellschaft fürchtet: eine männermordende, bauchtanzende, orientalistisch überzeichnete Muslima. Ihre Tochter hingegen steht sinnbildlich für die Gegenwart junger migrantischer Frauen der Gen Z. Sie wollen mit rassistischen Klischees und Vorurteilen brechen. Und doch können auch sie sich nicht gänzlich dem europäischen Blick entziehen. Denn viele dieser antirassistischen Phrasen und Trends – und ich sage ganz bewusst Trends – spiegeln trotzdem die Sichtweise der europäischen Dominanzgesellschaft wider. Und akzeptieren oft nur eine bestimmte Darstellung von BIPoCs. Vielleicht ist also auch Aliahs Tochter ein orientalistisches Bild des Westens, nur auf eine neue Weise. Man merkt, es bleibt kompliziert.
An einigen Stellen im Stück wird eine weiße Linke kritisiert, die sich davor scheut, Kritik an marginalisierten Gruppen zu üben. Auch wenn diese von Betroffenen selbst kommt, erfährt sie oft wenig Solidarität. Hast du damit auch eigene Erfahrungen gemacht?
Deswegen ist das Stück entstanden. Ich komme aus Simmering. Simmering ist ein Wiener Randbezirk – und rechts. Ich habe immer Alltagsrassismus erlebt und komme dann in eine linke Kultur-Bubble, der ich mich natürlich auch selbst zuordnen würde. In den letzten Jahren fiel mir jedoch immer mehr eine Strömung auf, die Personen mit Migrationshintergrund diktiert, wie sie zu sein haben oder welche Kunst sie machen dürfen und welche nicht. Diese Haltungen kommen auch von rassifizierten Personen, und nicht nur von weißen Linken. Ich finde, dass es kein Diktat geben sollte, was Kunst darf. Es entstehen immer mehr Werke von BIPoCs, die exakt jene Kunst machen, die sich der weiße Kulturbetrieb von ihnen wünscht – von ihnen verlangt. Ich finde das tragisch. Mir fällt dabei auf, dass Festivaljurys oft aus weißen Europäerinnen bestehen, die Preise besonders divers vergeben wollen, und wählen dann aus, welche Kunst sie besonders „klischeebefreit“ finden. Und so bestimmen also wieder weiße Europäerinnen, was die „richtige“ Kunst ist: Sie entscheiden, welche migrantische Kunst klischeebefreit und welche problematisch ist. Man muss aber akzeptieren, dass all diese Menschen ihre Geschichten auf ihre Weisen erzählen wollen.
Beeinflusst auch deine kurdische Herkunft deine Kunst und deine Auseinandersetzung mit den Themen Islam, Patriarchat und Rassismus?
Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. In der postkolonialen Theorie wurde Ghandi viel diskutiert. Von Aktivisten, die nicht nur die britische Kolonialwelt verurteilt und Unabhängigkeit gefordert haben, hört man hingegen kaum. Es wurde schließlich auch gegen das Kastensystem und die Ungleichheiten in der indischen Gesellschaft angekämpft. All diese Kämpfe werden heute oft vergessen. Es ist unglaublich wichtig, weiße Vorherrschaft zu kritisieren. Aber es gibt auch Schuld und Ausbeutung im Osten. In arabischen Filmen und Serien werden Kurd*innen immer noch als Vergewaltiger und Kriminelle dargestellt, Ungleichheit gibt es nicht nur im Westen. Ich selbst würde mich jedoch weder als Kurdin noch als Österreicherin identifizieren, mir fehlt die kulturelle Verbundenheit. Ich setze mich vielleicht gerade deshalb mit all diesen Widersprüchen auseinander, weil mir die Identifikation mit jeder dieser Gruppen fehlt.
Du hast in einem Interview gesagt, dass du deine eigene Bubble aufwühlen willst. Du willst weg von dem Anspruch, das Kunst niemanden verletzen darf. War das auch bei „Weisse Witwe“ dein Ziel und hast du es erreicht?
Ich weiß es nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass man auch solche Stimmen wie meine hören muss. Ich bin keine Mainstreamkünstlerin. Ich weiß, wer meine Zielgruppe ist, und diese ist kein Querschnitt der deutschen oder österreichischen Gesellschaft. Wir alle leben in Bubbles – und ich habe auch nicht den Anspruch, meine linke Kultur-Bubble fertig zu machen. Ich bin selbst Teil dieser. Aber ich finde es ziemlich schade, nur Kunst zu machen, bei der sich das Publikum auf die Schulter klopft und sich danach sagt: „Wir sind alle gute Menschen. Wir alle haben gute Moralvorstellungen – und das Stück hat das bewiesen.“ Wir müssen besser werden.
Deine Werke behandeln dabei auch immer Themen voller politischer Sprengkraft, gerade in Zeiten eines globalen rassistischen Backlash. Siehst du hier eine eigene aktivistische Verantwortung?
Ich passe stark auf, was aus meinen Filmen oder meinem Stück aus dem Kontext entrissen wird und an die Öffentlichkeit kommt. Bei „Weisse Witwe“ gibt es nur einige Passagen, die in der Presse und im Fernsehen besprochen werden dürfen. Ich will nicht, dass meine Ideen verkürzt und verdreht werden. Wo ich kann, versuche ich Einfluss darauf zu nehmen, welche Headlines entstehen. Oft gibt es reißerische Darstellungen meiner Kunst – komplett aus dem Kontext gerissen. Bei meinem letzten Film MOND will ich z. B. nicht, dass sich Rezensionen nur um die Rolle von Frauen im arabischen Raum drehen. Auch bei meinem Theaterstück achte ich darauf, sensibel mit dem Thema Islam umzugehen. Ich überlege mir sehr genau, was ich wie inszeniere. In dem geschützten Raum eines Theaters oder Kinos sieht man ein ganzes Werk und es wirkt auf einen. Einzelne Stellen, die aus ihrem Kontext entfernt sind, können missverstanden werden. Und ich möchte nicht, dass meine Werke auf effekthascherisches Clickbait heruntergebrochen werden.