„Ein Tag ohne Frauen“ von Filmemacherin Hrafnhildur Gunnarsdóttir und Pamela Hogan beleuchtet die isländische Frauenbewegung und den 24. Oktober 1975 – der Tag, an dem neunzig Prozent aller Isländerinnen streikten und die Gesellschaft zum Stillstand brachten.
Von Nina Süßmilch
an.schläge: Ist Island der beste Ort, um eine Frau zu sein?
Hrafnhildur Gunnarsdóttir: (lacht) Nun, das sagen die Statistiken. Wenn Gleichberechtigung ein Indikator für das Glück der Menschen ist, dann ja. Aber natürlich gibt es alle möglichen anderen Dinge, die das Leben kompliziert machen, auch wir haben unsere Probleme. Tatsächlich haben sich die Zahlen endlich umgedreht, und jetzt sind Frauen in der Regierung in der Mehrheit, von den zwölf Minister:innen sind sieben Frauen und vier Männer. Und die Premierministerin ist eine Frau, die jüngste der Welt, geboren 1988.
Sie haben als junger Mensch mit Ihrer Mutter an dem Streik teilgenommen. Können Sie beschreiben, wie Sie diesen Tag als Kind erlebt haben?
Es war ein sehr einprägsames Ereignis. Reykjavík ist an einem normalen Tag oder auch bei Veranstaltungen nicht überfüllt. Diese Menge an Menschen ist nichts, was man an einem normalen Tag erleben würde. Das war wirklich beeindruckend. Ich erinnere mich auch daran, dass ich am nächsten Tag aufgewacht bin und dachte, okay, jetzt ist alles klar: Frauen werden gleichberechtigt mit Männern sein. Diese Erfahrung prägt mich, ich fühlte mich empowert.
Welche Veränderungen fanden nach 1975 statt?
Vigdís Finnbogadóttir wurde 1980 zur Präsidentin gewählt. Sie war die erste Frau der Welt, die demokratisch zur Präsidentin gewählt wurde. Das war ein großer Moment in der Weltgeschichte. 1982 trat bei den Kommunalwahlen die Frauenpartei Kvennaframboði an, und plötzlich gab es einen enormen Zuwachs an Frauen in der Kommunalpolitik. Ein Jahr später kandidierte die Frauenpartei Kvennalistinn für die Parlamentswahlen, und alle anderen Parteien setzten Frauen auf ihre Listen, was 1983 zu einem enormen Anstieg des Frauenanteils im Alþingi, dem Parlament, führte. Von da an ging es Schritt für Schritt weiter, und es war nun ganz klar, dass sich die Dinge ändern konnten.
Wie intersektional war der Feminismus damals in Island? Umfasste er zum Beispiel auch lesbische Frauen?
Damals gab es noch keine Lesbengruppe. Die Schwulen- und Lesbenbewegung in Island begann sich um 1977 herum zu formieren, 1978 entstand die erste Organisation. Zum Zeitpunkt des Streiks gab es also noch keine queeren Gruppen. Eine Frau der „Red Stockings“ (Anm.: wichtigste Frauenorganisation Islands) erzählte mir eine fast tragische Geschichte. Irgendwann in den frühen 70er-Jahren rief eine Ausländerin in Sokkholt, dem Hauptsitz der Bewegung, an und fragte, ob sie mit der Lesbengruppe innerhalb der „Red Stockings“ vernetzt werden könne. Dagný Kristjánsdóttir, die ans Telefon gegangen war, antwortete: Ja, es gibt eine lesbische Frau, aber sie ist gerade in Kopenhagen.
Also, nein, leider waren sie nicht Teil der Bewegung.
Ist die Erinnerung an den 24. Oktober 1975 bis heute eine lebendige Erinnerung in der isländischen Gesellschaft? Hat sie immer noch Einfluss auf jüngere Menschen?
Auf jeden Fall. Einige Leute haben mich gefragt, warum dieser Tag kein nationaler Feiertag ist. Ich denke, es ist gut, dass er nicht gefeiert wird, denn dann würden die Menschen bald den wahren Grund für diesen Tag und das, woran er erinnert wird, vergessen. Die Bewegung wollte den Tag nicht regelmäßig begehen, sondern ihn nur dann erwähnen, wenn es nötig ist. Doch 2023 zum 48. Jahrestag gab es plötzlich aus dem Nichts diesen riesigen Protest, einen „freien Tag“. Die Gewerkschaften und verschiedene Institutionen beteiligten sich. Ich glaube, wir müssen die Erinnerung wachhalten. Es ist so, wie Vigdís es am Anfang des Films sagt: Man muss die Geschichte lebendig halten, sonst weiß man nicht mehr, woher man kommt.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Voraussetzungen für eine starke Protestbewegung?
Ich bin keine Expertin, aber ich würde sagen, das Wichtigste ist, sich über Parteigrenzen hinweg zu organisieren und zu versuchen, verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen politischen Zugehörigkeiten einzubeziehen, denn jede*r ist wichtig. Und wie im Film zu sehen ist, war der Einsatz von Humor ein wichtiger Bestandteil der isländischen Bewegung. Mit Humor ist es möglich, einen Teil der Absurdität unserer Erfahrungen als Frauen zu beleuchten, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Eine Aktion, die mir sehr gut gefallen hat, war, als einige Frauen in den Laden gingen, um Mehl oder Eier zu kaufen und sich weigerten, den vollen Preis zu zahlen und nur den prozentualen Anteil ihres Gehalts bezahlten, während die Männer den vollen Preis zahlten. Außerdem muss der Zeitpunkt richtig sein. Aber ehrlich gesagt wüsste ich nicht, wie man einen solchen Tag in einem Land organisieren sollte, das größer ist als Island. Und heute gibt es viele Ablenkungen oder, wie ich es nenne, Lärm. 1975 gab es in Island im Juli und an Donnerstagen kein Fernsehen und natürlich auch kein Internet.
Und was sind die wichtigsten Elemente eines Widerstands, der mit Streiks und Verweigerung kämpft?
Damals begannen die Menschen und die Frauen mit diesem Streik die Macht ihrer Arbeit und ihren Beitrag zur Gesellschaft zu verstehen. Niemand war sich wirklich bewusst, dass die Frauen die Gesellschaft zum Stillstand bringen können, indem sie sich weigern zu arbeiten, und welche Auswirkungen das auf die Gesellschaft hat. Die Frauen selbst haben ihren Wert, auch als wirtschaftliche Kraft, nicht wirklich erkannt. Ich denke also, dass die Arbeitsniederlegung sehr deutlich gemacht hat, wie stark und mächtig diese Art von Widerstand ist und wie viel Macht eine Bewegung haben kann, wenn alle zusammenkommen.
Da wir nicht mehr in den 1970er-Jahren leben und die meisten Länder größer sind, oft mit einer vielfältigeren Bevölkerung in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit und kulturellen Hintergrund: Was können andere Länder noch von dem isländischen Streik lernen?
Ich denke, es ist ein sehr ermutigendes Gefühl zu sehen, was passiert, wenn alle zusammenkommen und für Gleichheit kämpfen. Und der Film kann das hoffentlich zeigen und unterstreichen. Er wurde auch auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck gezeigt und erhielt den „Preis für den besten Dokumentarfilm“, der vom DGB-Bezirk Nord vergeben wird. Das gab mir die Möglichkeit, Mitglieder der Gewerkschaften in Lübeck und Umgebung zu treffen, was mich sehr gefreut hat. Diese Leute haben den Film und die Bedeutung des Streiks von 1975 wirklich verstanden. Ich denke, die Gewerkschaften sind eine Schlüsselinstitution, um so etwas wie einen Frauenstreik zu organisieren.
Nina Süßmilch ist L-MAG-Redakteurin, wollte schon immer mal nach Island reisen und hat bereits als Teenager für den Feminismus in Familienrunden gestritten.
„Ein Tag ohne Frauen“, Pamela Hogan
USA/ISL 2024, 71 min
Kinostart in Österreich: 7.3.2025