Die Sozialbetreuerin und Anti-Gewalt-Forscherin BIRGIT WOLF über Frauen in Notunterkünften und europäische Geschlechterrollen. Von GABI HORAK
an.schläge: Wie sind die Bedingungen in der Notunterkunft speziell für Frauen?
Birgit Wolf: Die Menschen kommen in einer posttraumatischen Phase an. Die Wohnverhältnisse fördern keine Heilung, geben keine Möglichkeit, sich zu beruhigen. Es fehlt an Privatsphäre, an Intimsphäre – insbesondere für Frauen. Das Problem Mobilität ist ungelöst. Es hilft nicht, wenn Frauen einen Platz in einem Deutschkurs bekommen, aber es gibt keine Fahrkarte, damit sie da auch hinkommen. Oder wenn Frauen mit Kindern dann in einer anderen Unterkunft wohnen, wo die Kinder nicht mehr zu Fuß in die Schule kommen, gibt es keine Tickets, um die Kinder in die Schule zu bringen. Es fehlt an psychosozialer Betreuung, um Gewalterfahrungen zu verarbeiten. Es bräuchte durchgehende Strukturen, um Familien vom Ankommen bis zur Integration betreuen zu können. Das würde verhindern, dass wir in drei oder fünf Jahren massivste Probleme haben.
Ist die Vermittlung von europäischen Geschlechterrollen ein Thema im Haus?
Ja, das ist eine der größten Herausforderungen. Wobei ich nicht finde, dass wir diesen Gesellschaften so viel voraus haben. Es läuft hier nur verdeckter. Dennoch bräuchte es eine vorsichtige, sanfte Überführung von einem Genderregime in ein anderes, unbekanntes. Und zwar nicht erst in eineinhalb Jahren, wenn sie ihren Asylbescheid haben und integriert sind, sondern gleich, wenn sie ankommen. Wir vermitteln im Haus gesetzliche Grundlagen und erklären auch, wie und warum diese entstanden sind. Das macht es begreifbarer. Diese Vermittlung findet in Gesprächen statt, auch ganz praktisch etwa bei der Auszahlung: Das Taschengeld für den Mann bekommt der Mann, und die Frau bekommt es für sich und die Kinder. Briefe werden von der Frau selbst geöffnet und nicht vom Mann.
Tun sich die Männer schwer mit den neuen Rollen?
Auch wir würden uns schwer tun, wenn wir in ein anderes Land kämen und gewisse Regeln ganz anders sind. Da kann man sein ganzes Verhalten nicht sofort ändern. Es ist etwa schwer zu akzeptieren für Männer, dass sie bei Gewalt in der Familie weggewiesen werden sollen. Ich habe zehn Jahre Erfahrung mit der Arbeit im Gewaltschutz, aber hier komme ich an Grenzen. Bei Familien von Schutzsuchenden grenzt das an Retraumatisierung, denn es verletzt diese Familie noch einmal sehr, wenn man sie trennt. Bei Gewalt muss man natürlich aktiv werden. In solchen Fällen macht sich das große Manko bei der Männerarbeit, das allgemein besteht, massiv bemerkbar.
Aber es gibt eben auch viele andere Beispiele, man muss den Schutzsuchenden auch mal Respekt entgegenbringen, wie viele es schaffen, niemals gewalttätig zu werden – unter solchen Bedingungen und mit ihrem riesigen Rucksack an traumatisierenden Erfahrungen.
Birgit Wolf ist Sozialbetreuerin und Anti-Gewalt-Forscherin in Wien.
2 Kommentare zu „“Überführung in ein anderes Genderregime”“
” Wobei ich nicht finde, dass wir diesen Gesellschaften so viel voraus haben. Es läuft hier nur verdeckter. ”
Das ist doch nicht Ihr Ernst! Die Freiheit und Gleichberechtigung als Frau hierzulande ist doch wohl sehr viel weitgehender als in islamischen Gesellschaften. Als Frau in DE kann ich völlig mannlos ein gutes Leben führen – und mit Mann bin ich nicht etwa auf sein Einverständnis für alles und jedes angewiesen. Berufswahl, Beziehung, Hobbys – überall bin ich gleichberechtigt und völlig frei, zu tun und zu lassen, was ich will. Das empfinde ich als ganz schön viel voraus gegenüber der Situation in vielen islamischen Ländern.
Ich bin in der 2.Welle der Frauenbewegung sozialisiert und kann mich manchmal nur wundern, wie der heutige Feminismus die Tatsachen und Errungenschaften ignoriert und so tut, als wären Frauen hier in DE noch immer “unterdrückt”. Ich fasse es nicht!
@Leonie:
Deinem Komentar entnehme ich das du Unterdrückung vor allem juristisch definierst. Ja rechtlich sind bei “uns” (so ein scheiß Wort) weiblich gelesene Personen vermutlich besser gestellt als in so manchen “islamischen Gesellschaften”. Ich finde jedoch, wenn von Unterdrückung die Rede ist dürfen die verdeckten Unterdrückungsmechanismen, welche auch bei “uns” in Rollenbildern, gelebten Verhalten (und so weiter und so weiter) eine starke Wirkung entfalten, nicht einfach unter den Tisch fallen gelassen werden. Teilweise sind diese Meachnismen viel wirkmächtiger als juristische Zwänge.
Ich sehe in der von dir zitierten Aüußerung auch keinesfalls eine Schmälerung der Erungenschaften der 2.Welle der Frauenbewegung, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit “unserem” eigenen Sexismus.
Weiterhin kann ich nicht verstehen wie du auf Grundlage einer Äußerung gleich mal den “heutigen” Feminismus verurteilst. Mal abgesehen davon dass ich es ein wenig absurd finde Kategorien wie den “heutigen” Feminismus zu verwenden (is ja jetzt nicht so als wär das eine einheitliche Strömung).
Also für den Fall, dass du etwas über Unterdrückung abseits von juristischen Zwängen und offen frauen*feindlichen Mackergehabe wissen möchtest kann ich (und mit Sicherheit auch viele andere Leser*innen) hier an dieser Stelle gerne ein paar Leseempfehlungen geben. Falls nicht troll weiter…