Eine Komödie über eine ältere Frau, die sich die Dienste eines jungen Sexarbeiters kauft – hat das die Welt gebraucht? Ja, sie hat! Emma Thompson und Daryl McCormack liefern in „Good Luck to You, Leo Grande“ unter der Regie von Sophie Hyde eine Anleitung zur sexuellen Befreiung. Julia Pühringer hat Hyde auf der Berlinale getroffen.
Dreißig Jahre schlechter Sex sind genug, findet Nancy Stokes (Emma Thompson). Sie ist Witwe, im Bett gab es immer nur einen Mann – ihren Mann. Besonders aufregend war das nicht. Ihre Orgasmen waren allesamt vorgetäuscht, sie hat sich dabei an ihm orientiert und es wäre ein absolutes Trauerspiel, wenn die dazugehörige Filmszene nicht so unfassbar komisch wäre.
Die alte Lehrerin springt also über ihren Schatten und bucht sich einen jungen Mann, Leo (Daryl McCormack). Der soll mit ihr ein paar gängige Positionen im Bett durchprobieren – doch eigentlich muss er ihr etwas ganz anderes vermitteln: Sex ist etwas, das gemeinsam passiert. Alles kann, nichts muss. Kein Stress, kein Druck.
Nancy hat viele Fragen an Leo und dabei ist sie es, die schnell einmal ein paar Grenzen überschreitet. Warum machst du das? Wurdest du missbraucht? Wie alt war dein ältester Kunde? Kriegst du überhaupt einen hoch bei mir? (Okay, das formuliert sie anders.) Und was sagt deine Mutter dazu?
Nancy kann nicht aus ihrer Lehrerinnenhaut. So muss zuerst einmal Nancy beigebracht bekommen, Grenzen zu respektieren. Und dann lernen die beiden einander tatsächlich ein bisschen kennen. Und ja, danach sind beide klüger. Das mag zwar etwas altbacken klingen, im Kino ist es jedoch tatsächlich einer der lustigsten und auch liebevollsten Filme des Jahres. Das liegt vor allem an Emma Thompson und Daryl McCormack, die miteinander im Hotelzimmer echte Chemie entwickeln und bei ihren Versuchen, Nancy zur sexuellen Erweckung zu verhelfen, ein Body-Comedy-Dreamteam sind, während sie zugleich große emotionale Wahrheiten erzählen. „Good Luck to You, Leo Grande” ist der Originaltitel, weil sich beide Figuren Glück im Leben wünschen, manchmal durchaus ironisch. Das Drehbuch stammt von Katy Brand, Regie führte die australische Regisseurin Sophie Hyde, deren Film „52 Tuesdays“ über eine Mutter-Tochter-Beziehung während der Transition der Mutter 2014 bei der Berlinale den „Gläsernen Bären“ als bester Spielfilm in der Kategorie Generation 14plus erhielt.
an.schläge: Ihre Protagonistin hat wenig Ahnung von Sex. Die Schulbildung hatte da lange große Lücken – wie war das bei Ihnen?
Sophie Hyde: Ehrlich, daran hat sich noch immer nicht viel geändert. Wissen Sie, was mir meine 16-jährige Tochter erzählt? In der Sexualkunde in Australien reden sie zwar ausführlich über masturbierende junge Männer, aber weibliche Lust kommt noch immer nicht vor. Wir stecken da noch mitten in den 1990er-Jahren. Das ist genau der Punkt im Film: Die Protagonistin erkennt, was ihr Körper für wunderbare Dinge machen kann, sie bekommt Wertschätzung für ihren Körper, statt sich damit zu befassen, wie er für jemand anderen aussieht.
Der Film hat eine ungemeine Leichtigkeit und hält gleichzeitig genau die richtige Balance mit dem Drama. Wie haben Sie diese Tonalität gefunden?
Emma Thompson hat gleich zu Beginn gesagt: Wir müssen „funny funny funny“ sein, richtig lustig. Wir wussten, wir müssen diese Leichtigkeit im Tonfall hinbekommen. Natürlich darf es auch andere Tonalitäten geben und klar, wir zeigen auch eine emotionale Tiefe. Aber es geht letztlich darum, sich dabei wohlzufühlen, laut zu lachen, und eben zu erforschen, was für lustige und eigenwillige Lebewesen wir sind. Es war uns wichtig, dass das Publikum Freude hat und Genuss erlebt. Man darf dann nicht zu ernst werden. Gleichzeitig hatten wir natürlich eine bestimmte Absicht beim Erzählen der Geschichte und dafür brauchte es auch Momente der Ruhe, in denen man richtig auf den Boden der Tatsachen kommt und all die Gefühle spüren konnte, um die es in unserer Geschichte geht.
Gab es eine Art Choreografie für die Bettszenen? Sie wirken manchmal wie ein Mittelding aus Ballett und Körper-Komödie.
Wir haben da tatsächlich sehr eng zusammengearbeitet. Wir hatten eine Woche Zeit miteinander, in der wir unsere Körper erforscht, Bewegungen ausprobiert haben, auch wie sich Körper gegenseitig blockieren – solche Dinge. Wir hatten eine eigene Bewegungsregie, das ist ein alter Freund von mir, er arbeitet als Tänzer und Choreograf. Der hat eine großartige Session gehalten, bei der alle sehr viel Spaß hatten, da ging es auch um die eine Tanzszene, bei der es uns total wichtig war, dass sie nicht wirkt, als hätte sie eine Choreografie, sondern als ob die beiden eher spielerisch herumblödeln. Das hat natürlich eine große Rolle gespielt, der Tanz zwischen den beiden Figuren und der Kamera im Raum und auch dem Licht, da ist sehr viel Energie hineingeflossen.
Gab es filmische Inspirationen?
Es war jedenfalls nicht so, dass wir Referenzfilme gehabt hätten oder den Film in Reaktion auf andere Filme gemacht haben. Es ging also nicht darum, etwas Existierendes umzudrehen: „Wir machen einen Film über eine Frau mit einem gewissen Alter und einen viel jüngeren Mann“. Wir wollten einfach etwas auf den Punkt bringen und nicht auf einen anderen Film reagieren. Wir wollten Dinge auf der Leinwand sehen, die dort – wie ich zumindest finde – absolut fehlen. Und ich bin mir sicher, ich bin damit nicht alleine.
Was sind Ihre filmischen Lieblings-Sexszenen? Als Feministin tut man sich da erfahrungsgemäß schwer.
Ja, das stimmt, aber grundsätzlich liebe ich Sexszenen. Absurderweise fällt mir jetzt die aus „8 Mile“ ein. Das ist eine wirklich großartige Sexszene. Und dabei ziehen sich die beiden noch nicht einmal aus. Und es gibt eine Serie namens „Looking“, vielleicht kennen Sie die. Ich mag die Sexszenen darin sehr, weil sie tatsächlich Teil der Geschichte sind. Die Story geht weiter. Mir ist das als sehr ungewöhnlich aufgefallen, als ich das erste Mal in die Serie reingeschaut hab. Sexszenen waren sonst eher so, dass dann ein Schnitt auf den Kamin kam, weg von den Körpern, und das war’s. •
Julia Pühringer schreibt für diverse Medien über Bewegtbild.