Angefangen hat alles mit einem Polizisten in Toronto, der Frauen den „guten Rat“ gab, sich nicht wie Schlampen („Sluts“) zu kleiden, um Vergewaltigungen vorzubeugen. Die „Slutwalks“, die als Reaktion darauf in Kanada stattfanden, haben inzwischen weltweit Nachahmer_innen gefunden. Gleichzeitig gab es rege feministische Debatten über die neue Protestform und auch viel Kritik, etwa an der Selbstsexualisierung der Protestierenden. Am 13. August hat nun auch in Berlin ein Slutwalk stattgefunden. DIANA DRECHSLER vom Organisationsteam erklärt, wie dort mit der Kritik umgegangen wurde.
Viel wurde geschrieben über die Slutwalks, die seit April 2011 in über 100 Städten weltweit stattgefunden haben bzw. noch stattfinden werden. Von konstruktiver Kritik über boulevardmedientypische Verkürzungen bis hin zu diskreditierenden Beleidigungen in Internetforen war alles vorhanden. Hier soll es nur um die konstruktiven kritischen Anregungen gehen, die beim Organisationsteam Slutwalk Berlin eingegangen sind. Außerdem möchte ich erläutern, wie die Organisation des Walks abgelaufen ist: als Beispiel für die Gratwanderung zwischen Selbstreflexion, Konsensfindung und Handlungsfähigkeit. Das Berliner Team besteht aus über 30 Menschen, wobei jede_r unterschiedlich große Aufgaben übernommen hat und einige sporadisch dabei sind. Es kamen im Laufe der wöchentlichen Treffen seit Anfang Juni immer wieder neue Menschen dazu, andere schieden wieder aus. Die demokratische Plenumsgestaltung stand immer im Vordergrund, ebenso wie die Besprechung der Kritikpunkte, die wir selber hatten oder die an uns herangetragen wurden. Dabei versuchten die jeweils Anwesenden eine Art Konsens zu finden, um Standards für die Außenrepräsentation und Pressearbeit zu entwickeln. Es ist also dieser kleinste gemeinsame Nenner, der hinter dem fiktiven „Wir“ steht, das in Interviews verwendet wurde – und nicht eine in sich geschlossene homogene Gruppe. Die Kritik, die uns als Gruppe erreicht hat, deckte sich weitgehend mit jener, die schon bei anderen Walks geäußert wurde. Auf die drei häufigsten Kritikpunkte möchte ich genauer eingehen.
Der Begriff der „Slut“ funktioniert nicht für jede_n, viele werden von der Bewegung ausgeschlossen, weil sie mit anderen Begriffen konfrontiert sind oder sich nicht als „Slut“ bezeichnen wollen/können.
Natürlich funktioniert der Begriff „Slut“ nicht für alle. Welcher Begriff könnte schon für ALLE funktionieren? Wir sehen den Begriff als Synonym für alle sexualisierten Schimpfworte, Beleidigungen und Diskriminierungen, mit denen Menschen konfrontiert werden. Durch den Slutwalk sollen die sexistischen Praxen skandalisiert werden, die sich aus einem System der Verwobenheit von Sexismus, Rassismus, Klassismus, Homo-, Trans*- und Queerphobie etc. speisen. Jede_r Teilnehmer_in kann den Protest individuell gestalten, die Walks bieten den Raum dafür, geben aber nicht vor, was etwa auf den Plakaten zu stehen hat.
Die entblößte Zurschaustellung der Frauen auf den Walks ist wieder nur eine Sexualisierung der Frauen!
Über die Transparente, die auf den Walks getragen werden, wird die Botschaft der Körper sichtbar bzw. lesbar. Die Botschaften auf den Schildern durchbrechen die sexistische Sehgewohnheit, und diese Irritation birgt die Kraft der Dekonstruktion. Daher ist letztendlich jede Kleidung auf dem Walk als Performance zu betrachten, ob nun Minirock oder Baggypants, und: Es gibt keinen Dresscode!
Slutwalks sind Veranstaltungen der weißen Mittelschicht!
Viele von uns befinden sich als Künstler_innen, Student_innen, freie Autor_innen etc. in prekären Arbeitsverhältnissen, daher wehren wir uns gegen ein Schichten-Labeling. Ich verstehe diese Kritik allerdings als generelle Mahnung, sich der marginalisierenden Kategorisierungen bewusst zu werden, denen Menschen unterliegen, denn bei „Schicht“ und „race“ hören die hierarchisierten Zuschreibungen nicht auf. Das haben wir in Berlin getan und sind an unsere Grenzen gestoßen, begünstigt durch Zeitdruck, innerorganisatorische Auseinandersetzungen, Gruppenfindungsprozesse und begrenzte Kapazitäten. Für die Zukunft heißt es also: netzwerken, netzwerken und noch mal netzwerken, um die Slutwalks auf eine noch breitere Basis zu stellen.