Beauty-Bloggerinnen haben das, was vielen anderen Blogs fehlt: unglaublich viele Leserinnen. Für die Kosmetikindustrie werden sie damit zu begehrten Werbeträgerinnen, weiß BRIGITTE THEIßL.
Die Dachgeschoß-Suite im Wiener Hotel Steigenberger ist an einem Samstag im April rosa getüncht: Kosmetik-Unternehmen wie Artdeco und Paul Mitchell haben Tische mit ihren Produkten aufgebaut, Cake Pops (1) mit rosa Schleifchen türmen sich in einer Ecke. Zwischen den Nagellack-Fläschchen und Puderdosen wurden Kerzen und Rosenblätter drapiert, überall steht Essen in Mini-Portionsgröße herum: Nudeln in der Kaffeetasse, Tiramisu im Schnapsglas. „Beauty-Blogger-Event“ nennt sich die Veranstaltung, zu der der Kosmetik-Versand Glossy Box geladen hat. Hier können sich die Bloggerinnen die Nägel lackieren oder die Haare hochstecken lassen, während ihnen PR-Beauftragte die Vorzüge der Produkte näherbringen. Auch für zuhause dürfen die Taschen mit Proben gefüllt werden. Ob sie über das Event auf ihren Blogs berichten, bleibt den Teilnehmerinnen selbst überlassen. So wird das zumindest von den Firmen stets betont. „Bloggerinnen werden bei Glossy Box genauso betreut wie Journalisten. Wir freuen uns sehr über jedes einzelne Clipping; natürlich müssen die Blogger nicht darüber berichten“, sagt Karin Igler, die beim Startup-Unternehmen arbeitet, das monatlich fünf Kosmetik-Produkte in einer rosa Box an seine Abonnentinnen schickt.
Bloggen, shoppen, backen. Beauty-Bloggerinnen haben sich zu einer wichtigen Zielgruppe für Kosmetik-Konzerne entwickelt. Sie testen ihre Produkte, zeigen auf YouTube, wie ein gelungener Lidstrich aussieht und haben vor allem eines: viele Leserinnen. Mehr als 130.000 Seitenaufrufe monatlich verzeichnet laut eigenen Angaben etwa der Beauty-Blog „Coralandmauve.at“, einer der erfolgreichsten österreichischen Lifestyle-Blogs, „Mangobluete.com“, wird bis zu neun Millionen Mal pro Monat angeklickt.
Während die Blogger_innen-Landschaft insgesamt in Österreich eher trist aussieht, sind in den vergangenen Jahren viele neue Beauty-, Mode- und Lifestyle-Blogs aufgekommen. „Um 2006 entstanden die ersten deutschsprachigen Modeblogs, in Österreich gab es da eigentlich nur mich und wenig später ,Stylekingdom.com‘. Bei einem ersten Treffen in Wien waren wir zehn Bloggerinnen, die sich eigentlich sehr voneinander unterschieden haben. Es gab künstlerisch-universitäre Projektblogs, Streetwear-Fotografie und alle möglichen Kombinationen aus Mode, Musik, Reisen, Events, Nachhaltigkeit. Über Kosmetik hat da eigentlich noch kaum jemand geschrieben, auch nicht über Kochen oder Kuchen backen“, erzählt Michaela Amort, die auf „Tschilp.com“ über Mode bloggt und keine Kooperationen mit Unternehmen eingeht. Mittlerweile ist die Community der Beauty- und Lifestyle-Bloggerinnen gut vernetzt. Die kosmetikbegeisterten Frauen treffen sich bei Produktpräsentationen und Geschäftseröffnungen. „Wir tauschen uns viel aus, kooperieren und geben einander Tipps. Auch einige gute Freundschaften sind dadurch entstanden“, sagt Petra, die „kirschbluetenblog.blogspot.co.at“ betreibt und nebenberuflich als Make-up-Artist arbeitet. Sie gehört zu jenen Bloggerinnen, die zusätzlich Videos produzieren und ihren Leserinnen von Einkaufstouren und Lidschatten-Schattierungen erzählen.
Die Kurzfilme besonders erfolgreicher Video-Bloggerinnen, die über ihre Shopping-„Hauls“ (Beutezüge) berichten, werden über 100.000 Mal angeklickt. Konzerne sind dementsprechend stark daran interessiert, Kontakte zu den Bloggerinnen aufzubauen. Das Umfeld könnte für sie nicht idealer sein: Kritik an Schönheitsnormen, an retuschierten Werbebildern, an Tierversuchen oder bedenklichen Inhaltsstoffen sucht man auf den meisten Blogs vergeblich.
Big Business. Die Kosmetikindus-trie wächst beständig: In Deutschland setzte sie im Jahr 2011 allein mit dekorativer Kosmetik rund 1,4 Milliarden Euro um. (2) Obwohl der Bereich der Herrenkosmetik an Bedeutung gewinnt, sind weiterhin Frauen die Hauptzielgruppe, deren Falten und Hautunreinheiten beseitigt und deren Augen per „Super-Boost-Mascara“ zum Strahlen gebracht werden sollen. Dass Tests der „Stiftung Warentest“ die Versprechen der Luxuscremes wiederholt widerlegen, scheint deren Beliebtheit keinen Abbruch zu tun. Zu verlockend sind die Botschaften, die glattgebügelte Stars in Hochglanzmagazinen überbringen, zu tief sind Schönheitsnormen und „Lookism“ – die Stereotypisierung und Diskriminierung aufgrund des Aussehens – gesellschaftlich verankert.
„Selbstbewusstsein und Vielfalt werden in den Werbespots der Kosmetik-Konzerne zwar zunehmend in den Vordergrund gerückt, doch dabei handelt es sich nur um rhetorische Worthülsen. Mit der permanenten Unzufriedenheit der Frauen machen sie das große Geschäft“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Ulli Weish. 268 Euro verrechnet die Luxusmarke La Prairie für 20 Milliliter seiner „Skin Caviar Luxe Eye Lift Cream“, das „Perfectionist Serum“ von Estee Lauder ist für stolze 285 Euro zu haben – allerdings erhalten Käuferinnen dafür hundert Milliliter der „bahnbrechenden CPR-75 Technologie“. Auch La Prairie interessiert sich für (ausgewählte) Bloggerinnen: Für sie gibt es eine exklusive Gesichtsbehandlung, anschließend dürfen sie einen Tiegel der sündhaft teuren Anti-Falten-Seren an ihre Leserinnen verlosen. Im Gegensatz zu den USA, wo bereits zahlreiche Blogs in erfolgreiche Geschäftsmodelle umgewandelt wurden, gibt es im deutschsprachigen Raum vergleichsweise wenige (Video)-Bloggerinnen, die so ihren Lebensunterhalt verdienen.
Gratis-PR. Iwona Wisniewska, Journalistin bei „derStandard.at“, eröffnete bereits vor zwölf Jahren ihren ersten Weblog und hat die Entwicklungen in Sachen „Blogger Relations“ von Beginn an mitverfolgt: „Mit Werbung auf der Seite lässt sich der eine oder andere Euro dazuverdienen. Wo früher noch Geld geflossen ist, wenn berichtet wurde, sollen sie sich heute nur noch mit Testobjekten anfreunden. Ein Grund dafür ist die enorme Zunahme an Blogs. Je größer das Angebot, desto billiger natürlich diese ,Gagen‘. Früher hat man für einen Blogpost noch 300 oder 400 Euro bekommen, heute wird man mit fünfzig Euro abgespeist. Allerdings geben die wenigsten Firmen überhaupt noch Geld her. Meistens werden einem Gutscheine oder Produkte zur Verfügung gestellt“, erzählt sie. Ähnlich schätzt auch Michaela Amort, die im Marketing eines IT-Konzerns arbeitet, die Situation ein: „Das Meiste läuft auf gratis Postings schreiben für irgendeinen Gutschein, Link-Tausch gegen minimales Honorar, PR-Arbeit gegen eine vermeintlich exklusive Einladung hinaus. Es gibt auch bezahlte Postings in Form von Advertorials. Das Spektrum ist ziemlich breit, je nachdem, wie das jeweilige Unternehmen im Bereich Social Media aufgestellt ist.“
Die Beauty-Expertin von nebenan. Doch nicht für alle Bloggerinnen steht der kommerzielle Erfolg oder das berufliche Netzwerken im Vordergrund. Für Karina, die auf „Mackarrie.blogspot.com“ bloggt, ist es eine „schöne Nebenbeschäftigung“. Dem Vorwurf, Beauty-Bloggerinnen würden die Werbetexte der Kosmetikfirmen unkritisch wiedergeben, kann sie nicht viel abgewinnen: „Durch den Austausch mit der Beauty-Community aus aller Welt, der durchs Internet möglich ist, kristallisieren sich glaubhafte Werbeversprechen relativ schnell heraus. In der heutigen Zeit hat man als Konsumentin viel mehr Möglichkeiten und Einfluss, das sollte nicht unterschätzt werden.“ Es ist der Einblick in das Privatleben, die Authentizität, die die Bloggerinnen den klassischen Frauenmagazinen voraushaben. Leserinnen würden Empfehlungen lieber von „Otto Normalverbraucher als von Cindy Crawford“ bekommen, sagt Iwona Wisniewska.
Die vielen Leserinnenkommentare scheinen diese Theorie zu bestätigen: Unter den Produkt-Reviews und Cupcake-Rezepten auf den Beauty-Blogs werden Vor- und Nachteile ausführlich diskutiert, Bloggerinnen mit besonders hohen Zugriffszahlen berichten davon, dass sie täglich E-Mails mit Fragen zu Shopping, Reisen und Ernährung bekommen – ihr Wort hat also Gewicht. „Im Marketing geht es immer um die Kommunikation mit der Zielgruppe. Blogs und Social Media generell spielen eine wichtige Rolle, denn sie werden bei den Rezipient_innen weniger als vom Unternehmen gesteuerte Werbung empfunden, sondern mehr als Dialog unter Gleichgesinnten. Zudem haben einige Blogs Reichweiten, von denen Printmedien nur träumen können, sind aber vergleichsweise günstige Kommunikationstools, sei es, wenn es um klassische Bannerwerbung geht oder um subtilere Kooperationen“, bringt es Michaela Amort auf den Punkt.
Die Zeit klassischer Produktwerbung scheint indes ohnehin abgelaufen zu sein. „Konsumentinnen und Konsumenten werden nicht mehr zum Kauf angeregt, sondern zur Übernahme eines bestimmten Lifestyles, zur Übernahme dominanter Rituale, wobei das Produkt als deren unabdingbarer Teil akzeptiert werden soll (…) Ein Werbespot für Mode demonstriert die Vorstellung eines perfekt gestylten Körpers und vermittelt die Einsicht, dass das beworbene Produkt Teil dieses Kodes ist“, schreibt der Kulturwissenschaftler Matthias Marschik. (3) Kein Wunder also, dass teure Lippenstifte bevorzugt in einem exklusiven Ambiente wie jenem der Suiten des Wiener Ringstraßen-Hotels getestet werden.
Fußnoten:
(1) Kleine Kuchen am Stiel
(2) Zahlen laut www.statista.com
(3) Matthias Marschik: Verdoppelte Identitäten. In: Kultur – Medien – Macht. VS Verlag 2008