Transsein und Kinder haben. Von Ravna Marin Siever
Mutterschaft ist eine aufgeladene Idee. Trans Personen sprengen sie, wenn sie sich weigern, sie auszufüllen, aber auch, wenn sie sie ausfüllen wollen. Denn Mutterschaft ist eng verknüpft mit einer biologistischen Vorstellung von Weiblichkeit und Frausein. Der erfolgreich zur Reproduktion genutzte Uterus ist Geschlechtsmerkmal wie auch Auszeichnung: Mutterschaft ist die scheinbar höchste Entwicklungsstufe der Frau, Geschlecht wird dabei natürlich binär gedacht. Wer ein Kind gebiert, wird zur Mutter. Rechtlich, sozial: Es gibt kein Entkommen. Nur wenige Länder verzichten darauf, beides gleichzusetzen.
Auch ich stehe als „Mutter“ in den Geburtsurkunden meiner Kinder. Ich sage über mich selbst manchmal: Funktional bin ich die Mutter. In meiner Lebenspraxis bin ich es nicht. Meine Kinder sprechen über mich nicht als Mutter, sondern als Elter. Die soziale Funktion, die dem Mutterbegriff innewohnt, erfülle ich, aber ich habe keine Lust, die geschlechtlichen Zuschreibungen und patriarchalen Altlasten dieses Begriffs mit mir herumzutragen.
Doch selbst trans Männer, die ihre Wehen durch ihren Vollbart hindurch schreien, werden vermuttert. Das in den Medien derzeit präsenteste Beispiel für einen Vater, der sein Kind geboren hat, ist wohl Freddy McConnell, der im Film „Seahorse“ sein Schwangerwerden, Schwangersein und Gebären durch Jeanie Finlay hat dokumentieren lassen (zu beziehen über https://seahorsefilm.com/).
Viele, die mit Kindern leben oder arbeiten, kennen das Buch „Herr Seepferdchen“ von Eric Carle: Bei den Seepferdchen tragen die „Männchen“ die Babys aus bzw. die befruchteten Eier eine Weile mit sich herum. „Seahorse Dads“ ist darum im englischen Sprachraum ein geläufiger Begriff für Väter, die ihre Kinder selbst geboren haben.
Da leider viele Menschen davon ausgehen, sie hätten einen Anspruch darauf, zu erfahren, wer wann was in wen gesteckt hat, um ein Kind hervorzubringen, benutze ich für mich selbst manchmal auch den Begriff „Gebärelter“. Ein ungelenker Versuch, mir in meiner „Mutter-Sprache“ Raum zu verschaffen, aber dennoch nicht alle sozialen Erwartungen zu enttäuschen. Im englischen Sprachraum ist inzwischen die neutrale Variante „birthing parent“ einigermaßen etabliert. Ich spreche auch von stillenden Personen, von Menschenmilch, vom Stillen mit Brust, Flasche oder Brusternährungsset.
Solche Bezeichnungen alarmieren TERFs und Rechte, die sofort vor einer drohenden Abschaffung von Mutterschaft warnen. Aber niemand will einer Person ihre Sprache und ihre individuellen Formulierungen nehmen. Es geht um inklusive(re) Formulierungen zum Beispiel in offiziellen Dokumenten oder bei der Sensibilisierung von Menschen, die mit Menschen arbeiten, für die das relevant sein könnte.
Meine Partnerin ist Mutter eines Kindes. Sie ist eine Frau, sie hat ein Kind und erfüllt überdies auch die soziale Rolle als Mutter. Die gleichen Menschen, die behaupten, der Begriff Mutter solle abgeschafft werden, behaupten auch, dass sie ein Vater sei, keine Mutter, nur weil ihre genetische Beteiligung am Kind Sperma-Form hatte.
Elternschaft hat so viele Gesichter – leibliche und angenommene Kinder, verstorbene und lebende, selbst gezeugt, ärztlich unterstützt, durch Penis-in-Vagina, Spritze in Becher, Tiefkühlsperma in Eizelle entstandene, behaltene und abgegebene Kinder.
Mutterschaft und auch die Mütter selbst würden davon profitieren, wenn sich das Konzept aus der übermächtigen Vergeschlechtlichung vieler Eigenschaften und Tätigkeiten, die Eltern haben und ausführen sollen, endlich löst. Und wenn es übergeht in eine simple Bezeichnung für Menschen, die sich mit diesem Begriff wohlfühlen. Denn das Kümmern, das Pflegen, das Lieben, das Beim-Großwerden-Begleiten – all das sind Fähigkeiten, die nicht nur eine Mutter hat.
Ravna Marin Siever bloggt auf queErziehung.blog. Buchveröffentlichung: „Was wird es denn? Ein Kind! Wie geschlechtsoffene Erziehung gelingt“, Beltz 2022