Die Soziologin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach hat einen Bestseller über die Erschöpfung der Frauen geschrieben. Höchste Zeit, uns als Gesellschaft dieses Problems anzunehmen. Von Lea Dora Illmer
Eigentlich wollte Franziska Schutzbach dieses Buch schon viel früher schreiben. Aber sie war zu erschöpft. Eine Folge von „pausenloser Beanspruchung“ ist die Entfremdung. „Erschöpft zu sein heißt, sich selbst fern zu sein“, allein und vereinzelt. Dazu kommen Schuldgefühle. Wir führen die Erschöpfung fälschlicherweise auf ein Unvermögen zurück und suchen die Schuld dafür bei uns. Die Autorin hält dagegen: Die Erschöpfung, so die Kernaussage ihres Buches, ist nicht etwa ein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches; kein Zufall, sondern unausweichlich. Frauen bzw. FINTA sind ihr systematisch ausgesetzt. Sieben thematische Essays rund um sexuelle Verfügbarkeit, Selbstvertrauen, Misogynie und Antifeminismus, Körperscham, Mutterschaft, emotionale Arbeit sowie Sorge- und Kümmerarbeit zeigen sorgfältig und detailreich auf, wie es dazu kommt.
Schutzbach erkundet das Phänomen der Erschöpfung als „kollektives Leiden“, als geteilte Geschichte. Das beginne damit, Gefühle ernst zu nehmen, denn sie seien politisch. Wir müssten Erschöpfung und Überforderung wertschätzen, statt sie zu bekämpfen. Als Erfahrungen anerkennen, die eine kritische Gesellschaftsanalyse ermöglichen. Schutzbach ist sich bewusst, dass sie mit diesem Vorhaben nicht die Erste oder Einzige ist. Denn Erschöpfung entstehe auch dadurch, dass Teile der Geschichte, insbesondere feministisches Wissen, immer wieder aktiv vergessen werden. Generationen von Feminist*innen verwenden folglich viel Kraft darauf, Wissen zu suchen, um ihre Erfahrungen einzuordnen. In diesem Sinne fungiert Schutzbachs Werk als Archiv, um dieses Wissen verfügbar zu machen.
Um Erschöpfung und ihre Quellen erkennen und artikulieren zu können, brauchen wir ein Vokabular. Schutzbach stattet uns damit aus, etwa mit dem Konzept der „Allzuständigkeit“ oder „radikalen Pausenlosigkeit“. Das Eingestehen von Erschöpfung fällt aber nicht nur der (fehlenden) Sprache wegen schwer, es gibt noch einen Grund: die Glücksdoktrin. Sogenannte negative Emotionen haben eine Entwertung erfahren und sollen unter Verschluss gehalten werden, gleichzeitig gibt es den Zwang zum positiven Denken, ja zum Glücklichsein. Krisen, Zweifel und das Scheitern sind nur dann erlaubt, wenn daraus irgendwann ein Nutzen gezogen werden kann. Das erleben Mütter auf besondere Weise, denn sie werden nicht nur für ihr eigenes Glück, sondern auch für das ihrer Kinder zur Verantwortung gezogen. Das Kind sei zur moralischen Instanz geworden für die weibliche Erfolgsbiografie, stellt Schutzbach fest. Obwohl Elternsein „entgrenzt und entgrenzend“ ist, werden Mütter isoliert und mit der Verantwortung alleingelassen. Die Kleinfamilie ist „zu klein für das ‚Projekt Kind‘“.
Die Erschöpfung der Frauen ist die Basis unseres Wirtschaftssystems, so eine zentrale Einsicht des Buches. Soll sie überwunden werden, müssen wir Sorgearbeit aufwerten – sie gehört ins Zentrum unserer Gesellschaft und Ökonomie.
„Denken ist ein Gemeinschaftsprozess“, betont Schutzbach in der Danksagung. Das wird während des gesamten Buches deutlich. Sie zeichnet – vornehmlich weibliche – Genealogien auf, nennt Vordenker*innen, holt O-Töne ein, um die eigene Perspektive zu ergänzen. „Die Erschöpfung der Frauen“ ist ein polemischer Titel, es gibt die Frauen nicht. Eigentlich erzählt sie von erschöpften Müttern, Mädchen, Schwarzen und weißen Frauen, Migrant*innen, trans Frauen, dicken, dünnen, lesbischen, queeren Frauen und non-binären Menschen. Das ist anspruchsvoll. Aber es gelingt erstaunlich gut. Wohl auch, weil Schutzbach Lücken und Leerstellen mutig anspricht. Sie macht sich stark für eine feministische Politik mit Widersprüchen, dafür, Spannungsfelder auszuhalten. Wie etwa dasjenige zwischen der „fortdauernden Notwendigkeit, über ‚Frauen‘ zu sprechen, und der Skepsis gegenüber normierender Zweigeschlechtlichkeit“.
Schutzbach macht klar: Die Erschöpfung der Frauen geht alle etwas an. Als geteilte Erfahrung vermag sie es, uns in eine Beziehung zueinander zu bringen und politische Kräfte zu mobilisieren. Nur so lassen sich gesellschaftliche Strukturen verändern. •
Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit
Droemer Knaur 2021, 18,95 Euro