Kunst und Kultur sind nach wie vor Eliteprojekte. Doch es gibt viele kulturpolitsche Versuche, der Vielfalt einer Stadt gerecht zu werden. VANESSA SPANBAUER hat bei drei Expertinnen nachgefragt.
Die Wiener Kunst- und Kulturszene ist vielfältig – divers in ihren Disziplinen, in den Genres und der Größe. Um die Diversität der Kunstschaffenden selbst hingegen ist es schlecht bestellt. Doch immer mehr kulturpolitische Initiativen wollen das endlich ändern.
Question Me + Answer. In Österreich etablierte Künstler*innen tun sich mit Kunstschaffenden zusammen, die noch nicht lange in Österreich leben: Das Projekt Question Me + Answer will auf diesem Weg neue Begegnungen schaffen, von denen beide Seiten profitieren. Laut Co-Founderin Smaranda Krings, die auch im Verein Flüchtlinge Willkommen engagiert ist, geht das Konzept auf. „Menschen, die sonst aufgrund von Alters-, Herkunfts- oder Stilunterschieden vermutlich nicht viel Kontakt miteinander gehabt hätten, wurden durch uns dazu motiviert, sich näher kennenzulernen. Sogar Künstler_innen, die mit extrem unterschiedlichen Medien arbeiten, haben wahnsinnig tolle Arbeiten gemeinsam produziert.“
Doch die künstlerische Laufbahn vieler Menschen scheitert nicht nur aufgrund ihrer Migrationsgeschichte, weiß Krings. „Das Problem an der Kunstszene ist nämlich, dass sie so tickt wie alle Szenen in Wien: Man kommt nur rein, wenn man jemanden kennt. Und wenn dieselben Gruppen von Menschen sich gegenseitig Kontakte zuschieben, bleibt das Feld sehr homogen.“ Besonders schwierig sei es, Zugang zu Kunstgalerien zu finden. Krings setzt daher auf die Kooperation mit Räumen, die versuchen, sich zu öffnen – wie die Wiener Galerie Improper Walls.
Spiegel der Gesellschaft. Eine homogene Szene an Kunst- und Kulturschaffenden führt zu einem ebenso homogenen Publikum. Das sei ein Punkt, bei dem auch größere Häuser ins Grübeln kommen – denn eigentlich wollen sie für alle zugänglich sein. „Diversität steht gerade in hektischen Betrieben, die unter hohem ökonomischen Druck stehen, auf dem Blatt ‚Oh Gott, das müssen wir auch noch tun‘“, meint Clara Gallistl, die sich von Berufswegen mit dem Thema Community Building beschäftigt. Community Building versteht sie als strategischen Aufbau einer nachhaltigen Community, die von den Menschen, die dort miteinander in Austausch treten, als sinnstiftend wahrgenommen wird. Eigentlich sei das ganz einfach, sagt Gallistl. „Ich versuche einen entspannten Umgang mit der Ungleichheit zu propagieren. Kunst- und Kulturproduktion muss die Realität der Bevölkerung widerspiegeln. Weiße, männliche Perspektiven haben wir zur Genüge. Wir brauchen Erzählungen, Perspektiven und Künstler*innen, die die Vielfalt der österreichischen Gesellschaft zeigen. Und das ist nicht so schwierig umzusetzen, wenn die Entscheidungsträger*innen mit mehr Zeit, Engagement und Interesse nach Menschen suchen, die unterrepräsentierte Positionen haben.“
Best Practice. Auf der Suche nach Best-Practice-Beispielen fällt häufig der Name Brunnenpassage, ein Kulturraum im 16. Wiener Gemeindebezirk. Fariba Mosleh, die sich auf Projektmanagement, die Produktion performativer und transkultureller sowie community-orientierter künstlerischer Praktiken spezialisiert und auch mit der Location zusammengearbeitet hat, hat dafür eine Erklärung: „Die Brunnenpassage hat sich nicht nur auf der Ebene der Mitwirkenden im künstlerischen Bereich, sondern auch auf den Ebenen des inhaltlichen Diskurses sowie auf Produktions- und Kommunikationsebene im Team intensiv mit Diversität auseinandergesetzt und eine sehr heterogene Arbeitspraxis entwickelt. Es wurde nicht davor zurückgeschreckt, ein vielsprachiges Team mit unterschiedlichen biografischen Kontexten zu bilden. Das bedarf Ressourcen, wie der Bereitschaft, Energien in die Überwindung von Sprachbarrieren zu stecken, aber wirkt sich direkt auf die Arbeit aus. Neue, vielfältige Perspektiven fließen in die Kunstproduktion.“ Doch Mosleh sieht nicht nur großen Handlungsbedarf in Hinblick auf die unterschiedliche Herkunft von Personen. „Es geht darum, gesellschaftliche Lebensrealitäten auch in Institutionen wiederzufinden – auf, hinter und vor der Bühne. Es war beinahe ein revolutionärer Akt, als die neue Intendantin der Wiener Mittelbühne Dschungel Wien, Corinne Eckstein, 2016 die lebensfeindlichen All-In-Verträge abgeschafft und erstmals auch Frauen mit (Klein-)Kindern angestellt hat. Kulturschaffende müssen abseits des Bildungsbürger*innentums und des Dunstkreises gut vernetzter Intellektueller Sichtbarkeit in der Kulturszene bekommen.“
Politischer Auftrag. Nicht nur auf institutioneller Ebene muss etwas geschehen, auch die Politik sollte sich verstärkt dafür einsetzen, mehr Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen, sind sich die drei Expertinnen einig. „Um struktureller Diskriminierung entgegenzuwirken, braucht es ein Umdenken auf allen Produktionsebenen, aber auch auf Ebene der Entscheidungsträger*innen. Kulturbeauftragte, Fachbeiräte sowie Jurys und Kuratorien müssen diverser besetzt werden“, sagt Fariba Mosleh. Fördertöpfe wie Kültür Gemma!, ein Projekt, das jedes Jahr Stipendien an Kulturschaffende mit Migrationshintergrund vergibt, sieht sie nicht nur positiv. „Es ist enorm wichtig, aber gleichzeitig nicht zielführend, dass es eine Förderung wie Kültür Gemma! für migrantische Kulturproduzent_innen gibt. Es braucht keine karitativ anmutenden einmaligen Sondertöpfe für Migrant_innen oder Geflüchtete, denn Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen müssen unabhängig von ihrer Herkunft einen Platz im regulären Kunstbetrieb finden.“ Expertise sei genügend vorhanden und warte nur darauf, einen Nährboden vorzufinden, auf dem sie eingesetzt werden könne, ist Mosleh überzeugt.
„Es braucht Quoten. Meiner Ansicht nach sollten Institutionen, die die Ressourcen dazu haben, dazu verpflichtet sein, die Besetzung ihres künstlerischen Programms an ihr Zielpublikum anzupassen. Und das ist die gesamte Stadt und nicht nur eine kleine Elite“, sagt Smaranda Krings. „Die Beziehung zwischen Theater und Gesellschaft ist keine One-Way-Kommunikation, in der es darum geht, neue Zuschauer*innen zu generieren. Politik, Medien, soziale Initiativen und Kunst- und Kulturproduzierende müssen gemeinsam arbeiten, und zwar strategisch, mit genügend Zeit und Zuneigung“, ergänzt Clara Gallistl. Weitere Erfahrungen in diesem Bereich wird Gallistl in der Saison 2020/21 unter der Intendanz von Kay Voges am Volkstheater sammeln, wo sie für Community Building zuständig sein wird.
Vielfältige Kunst und Kultur, die einer vielfältigen Stadt gerecht wird, ist also ein Ziel, dem sich alle Kulturinstitutionen verschreiben sollten.