Als alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern stößt Ernestine Rosenberger regelmäßig an ihre Grenzen. Der Alltag Alleinerziehender offenbart die Baustellen der Gleichstellungs- und Frauenpolitik besonders deutlich. Von Stefanie Meier
Neugierig hüpfen Josefin und Kathrina zur Begrüßung im Flur auf und ab. Sie sind fünf und sieben Jahre alt. In der Küche bereitet Ernestine Rosenberger Kaffee zu. Sie trägt kein Make-up, ihr dunkelbraunes Haar hat sie locker nach hinten gebunden. Während der Kaffee in die Tasse tropft, räumt sie den Frühstückstisch ab. Kathrina kommt in die Küche und klettert auf den Klappstuhl. In der einen Hand hält sie das Handy ihrer älteren Schwester. Heute dürfen die beiden Mädchen mit Papa videotelefonieren. „Die Kinder vermissen halt immer jemanden“, kommentiert Rosenberger. Vor fünf Jahren hat sie sich vom Vater der Töchter getrennt. Seither zieht sie ihre Kinder alleine groß. Wenn sie von ihrem Alltag, den Entbehrungen und ihrer Einsamkeit als Alleinerzieherin erzählt, tut sie das auf die gleiche Weise, mit der sie auch zu ihren Töchtern spricht: ruhig, reflektiert und humorvoll. Die ausgebildete Behindertenbetreuerin wählt dabei oft Fachbegriffe aus der Sozialarbeit. Worte wie Rahmenbedingungen, kulturelle und soziale Teilhabe, emotionale Stabilität und Ressourcen schaffen Distanz zur eigenen Situation.
Ein-Eltern-Familien. Rosenberger ist eine von 149.000 Alleinerzieher:innen, deren Kinder jünger als 25 Jahre sind. In 86 Prozent dieser Ein-Eltern-Familien sind es die Mütter, die sich um die Kinder kümmern. „Benachteiligungen von Alleinerziehenden“, so Doris Pettighofer, Geschäftsführerin der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende, „sind frauenpolitische Themen, bei denen sich die Gleichstellungsdefizite zeigen.“
Was bedeutet es, alleinerziehend zu sein? Tag für Tag stemmen Alleinerziehende die gesamte Care-Arbeit alleine. Sie gehen einkaufen und bereiten Mahlzeiten zu. Sie sorgen dafür, dass die Kinder pünktlich in der Schule oder im Kindergarten sind. Sie kümmern sich darum, dass die Kinder Zeit mit Freund:innen oder den Großeltern verbringen. Sie spenden Trost und teilen die Freude und den Kummer der Kinder. Vor allem aber müssen Alleinerziehende letztendlich jede Entscheidung alleine treffen – was laut Pettighofer besonders belastend sei. Das soziale Netz von Alleinerzieher:innen fängt zwar vieles auf, aber Pettighofer warnt, dass hier die unbezahlte Care-Arbeit wieder „voll zuschlägt“, weil alles, was über die institutionelle Kinderbetreuung hinausgeht, privat organisiert werden müsse. Und nicht jede:r kann oder will auf Unterstützung aus dem privaten Umfeld zurückgreifen. Es brauche daher dringend eine ergänzende Kinderbetreuung, die die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie verbessert und auch an den Randzeiten, im Krankheitsfall und am Wochenende zur Verfügung steht.
Urlaub in Anführungszeichen. Ernestine Rosenberger ist als Pflegekind in der Steiermark aufgewachsen und wohnt seit der Trennung vom Vater mit ihren Kindern in Eisenstadt. Hier können keine Tanten, Onkeln, Omas oder Opas im Notfall einspringen. In der Sozialforschung gilt sie damit als sozial isoliert. Ein Umstand, der bei Rosenberger vor einigen Jahren die „große Einsamkeit“ und später eine Depression zur Folge hatte. Auf die Frage, wie sie das alles alleine schaffe, antwortet sie mit einem bitteren Lachen: „Zuerst mit einer Depression, dann mit einer Therapie.“
Die Therapie kann sich Rosenberger nur leisten, weil ihre Pflegetante die Hälfte der Kosten übernimmt. Sie arbeitet dreißig Stunden. „Mehr als eine Waschmaschine“ hat sie nicht auf dem Konto, erzählt sie. Die Wohnung sei ihr eigentlich zu teuer. Aber den Kredit für eine günstigere Genossenschaftswohnung bekommt sie nicht. Als Alleinerzieherin sei sie „eine Gefahr für jede Bank.“
Mit ihren Kindern fährt sie im Sommer auf „Urlaub in Anführungszeichen“, dann besucht sie mit ihnen eine Freundin in Deutschland.
Rosenberger ist kein Ausnahmefall. Knapp die Hälfte (47 Prozent) der Alleinerziehenden ist armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Die Soziologin Ulrike Zartler untersuchte 2011 die Herausforderungen von Alleinerziehenden und kam zu dem Ergebnis, dass vor allem geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede das Armutsrisiko erhöhen, insbesondere von Migrant:innen und Alleinerziehenden mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Eine Studie des Sozialministeriums von 2021 zur Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung von Ein-Eltern-Familien kommt zum selben Schluss und hält fest: „Die Ursachen für die hohe Armuts- und Deprivationsgefährdung von Alleinerziehenden […] haben sich seit der umfangreichen Studie von Zartler kaum geändert.“
Ein Grundübel. Kinder können mit Mutter und Vater aufwachsen, mit zwei Müttern oder zwei Vätern, in einer Patchworkfamilie, ganz ohne Eltern in einem Kinderheim oder eben mit nur einem Elternteil. Diese Vielfalt an Familienformen wird laut Pettighofer bei der Gesetzgebung nicht berücksichtigt. Als Beispiel nennt sie hier den Familienbonus, von dem die zusammenlebende Familie am meisten profitiert. Erst im Nachhinein wurde versucht, Verbesserungen für Alleinerziehende zu erwirken. Die aktuelle Familienpolitik bilde die finanzielle Mehrbelastung in Ein-Eltern-Familien nicht ab, „weil der Maßstab das Vater-Mutter-Kind-Modell ist. Das ist das Grundübel, dass man die Gleichstellung der Familienformen nicht hinkriegt“, kritisiert die Plattform.
Keine Zeit. Der permanente Stress, die alleinige Verantwortung, finanzielle Sorgen und womöglich auch noch Sorgerechtsstreitigkeiten führen nicht selten zu psychischen Belastungen, Erschöpfung und Burnout. Zeit für sich selbst oder die eigene Gesundheit bleibt Müttern ohnehin zu wenig, Alleinerziehenden sowieso. Der Mediziner und Journalist Jakob Simmank, der zu Einsamkeit forscht, schlägt deshalb vor, die Wochenarbeitszeit generell auf 32 Stunden zu reduzieren. Das würde die Sorgearbeit aufwerten und das enge Zeitkorsett derjenigen lockern, die sie leisten. Pettighofer sieht darin auch eine gute Möglichkeit, die Mehrfachbelastung zu reduzieren.
Ernestine Rosenberger wäre damit definitiv geholfen, sie müsste dann auch nicht mehr ständig Einsamkeit und Erholungsbedürfnis gegeneinander abwägen. Denn immer wieder bringt sie ihre Erschöpfung dazu, ihr Sozialleben hintanzustellen: „Es ist immer eine Plus-Minus-Rechnung. Ich weiß, die nächsten Wochen werden anstrengend. Ich werde keine Zeit haben, etwas für mich zu machen oder jemanden zu treffen. Dann möchte ich lieber im Bett bleiben, aber unter dem Strich fehlt mir das Ausgehen dann.“ Die 30-Jährige hat in Eisenstadt mittlerweile Freund:innen gefunden, einige sind selbst Alleinerzieherinnen. Man versteht und unterstützt sich. Dass sie sich in Eisenstadt zuhause fühlt und die „Einsamkeit eine Spur weniger ist“, dazu trägt auch die Eisverkäuferin bei, die ihre Töchter nicht nur nach der Lieblingseissorte fragt, sondern auch ihre Namen kennt.•
Stefanie Meier fragt sich als Soziologin, welche Menschen und Geschichten hinter Zahlen und Daten stecken und schreibt als freie Journalistin darüber.