„Ich fühle mich stark, wenn ich Rock und ein schönes Dekolleté trage“, schreibt TAMARA TAMKE. Ein Kommentar über das Konzept Femme als widerständige Praxis gegen Behindertenfeindlichkeit.
Mit Stöckelschuhen kann ich nie eine richtige Feministin sein. Da nimmt mich doch keine_r ernst. Und diese Schminke. Absolutes No-Go, dachte ich noch in den 90ern, als ich anfing, Feminismus für mich zu entdecken.
Ich muss mich emanzipieren. Vom Glitzer, vom Eyeliner und meinen High Heels. Ich tue das ja auch eh alles nur, um den Männern zu gefallen, und mit dem vielen Make-up verdecke ich nur meine Unsicherheiten und verletzlichen Seiten. So wurde es mir von allen Seiten angedichtet. Mein Exfreund goss noch Öl ins Feuer: Zieh doch einfach mal nur Turnschuhe und eine Jeans an, und Schminke brauchst du eh nicht.
Stark. Mittlerweile liebe ich nicht mehr nur Männer, sondern werde auch rot, wenn meine Partnerin mir Komplimente für mein Outfit macht: Du bist wieder mal die Schönste heute Abend – eine wahre Erscheinung! In erster Linie aber geht es darum, dass mein Outfit zu mir dazugehört, dass das ICH bin. Meine manchmal exaltierten Outfits gehören zu mir – und mein Eyeliner sowieso. Ohne ihn fühle ich mich nackt. Ja und? Bei dir ist es vielleicht dein Bart oder dein Undercut, deine weite Kleidung, deine Stiefel, dein Hut. Ist ja egal. Ich fühle mich stark, wenn ich einen schönen Rock und ein schönes Dekolleté trage.
Und ich habe mich emanzipiert: Ich möchte das alles nicht mehr ablegen. Ich muss weder „natürlich“ sein, um schön zu sein, noch mir die Haare kurzschneiden, um cool genug für die Szene zu sein.
Sexy. Schön – das war ein Attribut, das mir per se und per Geburt von der Gesellschaft und von vielen Personen in meinem Umfeld abgesprochen wurde, weil mein Körper durch eine Behinderung nicht der Norm entspricht. Schön – das war im Zusammenhang mit mir völlig undenkbar. Auch „Frausein“ war eben deswegen nicht wirklich möglich, denn dazu gehörte für mich auch eine Sexualität und dafür wiederum – so habe ich es gelernt – Attraktivität. Im Spiegel habe ich oft versucht, mich „normal“ zu denken. Aber egal, wie ich mich gedreht und gewendet habe – nicht mal das schönste Abendkleid war schön genug, um mich schön zu machen, denn es wurde ja von einem „defekten“ und damit „hässlichen“ Körper getragen. Es schien vergebens.
Doch ich gab meiner starken Anziehung zu Glitzer nach. Besonders feminine Kleidung und Outfits machten mich glücklich und wurden wie eine zweite Haut für mich. Sie bedeuteten für mich in erster Linie, Mut zu haben. Ich hätte mich schließlich auch in Säcken verstecken können. Praktische, verhüllende Kleidung. Wen interessiert schon ein schöner Busen, wenn der Körper „kaputt“ ist. Vielleicht hätte das der Erwartung an eine behinderte Frau mehr entsprochen. Denn Kommentare wie „Toll, dass du dich TROTZDEM immer so zurechtmachst“ habe ich oft genug gehört. Als ob es fast schade um die schönen Klamotten wäre – bei so einem Körper! Schlimmer noch die Frage: „Willst du eigentlich mit dem ganzen Schmuck von deiner Behinderung ablenken?“
Jetzt erst recht, dachte ich mir dann oft und ging gleich los, um mir einen noch roteren Lippenstift und noch spitzere Spitzenunterwäsche zu kaufen. Das war mein Angriff auf die Norm. Auf die Gewalt gegen meinen Körper, die ich täglich erleb(t)e. Ich entschied, nicht mehr mitzumachen bei den Idealvorstellungen darüber, wie Körper auszusehen haben, um überhaupt weiblich* auftreten zu dürfen.
Der vom Mainstream mitleidig als hässlich empfundene Körper maßt sich also an, sexy zu sein.
Für Lesben Luft. Dass (nichtbehinderte) Frauen absichtlich und freiwillig androgyne oder „männlich konnotierte“ Kleidung trugen, war für mich eine Zeit lang völlig unverständlich. Ebenso wenig verstand ich, dass eine Frau nicht femmy, sondern butchy sein wollte. Bis ich mich in eine Butch verliebte. Natürlich war sie für mich wunderschön und ich wollte für sie auch wunderschön sein. Ich verstand ihre Genderrolle. Und ich entdeckte für mich das Konzept Femme, eine feminine* queere Frau. Das war wie eine Erleuchtung, eine Befreiung. Ich hatte einen Rahmen für meine Identität gefunden. Endlich konnte ich offen so etwas sagen wie: Ich muss noch schnell meinen Eyeliner nachziehen. Ich brauche etwas länger, ich muss mir noch die Haare machen.
Umso schmerzlicher war für mich die Erkenntnis, dass ich gerade in der queeren Szene oft nicht als queer wahr- und ernstgenommen wurde. Dass ich beim Ausgehen in Mainstream-Bars grundsätzlich erst einmal als „leicht zu haben“ und „voll hetero“ wahrgenommen und angebraten wurde, war ich gewohnt. Aber wieso war ich für die meisten Lesben Luft? Viele haben mich, zumindest als potenzielle Liebhaberin oder Partnerin, einfach ignoriert. Und ich bin oft immer noch die Einzige mit Nicht-Szene-Outfit. Denn selbst Femmes tragen heutzutage wenigstens Undercut oder coole schnoddrige Punk-Outfits. Nicht ich.
Dann fing das mit dem Gendersternderl an: Wenn über mich geschrieben wurde, wurde manchmal hinter „sie*“ ein Asterisk (Stern) gestellt. Ich habe verstanden, wieso: Dekonstruktion von Gender. Obwohl ich sehr froh bin, dass wir diese Schreibweisen haben, fühlte sich der Stern hinter meinem Gender richtig schräg für mich an. Noch heute erkläre ich oft, warum ich meinen Namen oder mein Pronomen lieber ohne Stern – ohne Dekonstruktion und Fluidität – sehe: Denn es war für mich ein langer Weg, Frau sein zu dürfen, zu können, mit allem, was für mich dazugehört. Diese Erfahrung ermöglicht mir aber auch, zu verstehen, dass es für andere zum Beispiel ein langer und steiniger Weg ist, etwa als intergeschlechtliche Person zu leben oder im Geschlecht zu transitionieren. Oder als Mann femmy zu sein. Oder als dicke Frau selbstverständlich im Mini auszugehen. Für all das habe ich eine besondere Sensibilität entwickelt.
Meine High Heels sind nicht unbedingt niedriger geworden, aber bequemer. Ich investiere noch immer viel Zeit in mein Äußeres, aber ich fühle mich mittlerweile auch ungeschminkt und unangezogen wohl in meiner (ersten) Haut. Und jedes Mal, wenn ich mich mit Glitzer besprühe, meine Haare glänzend glätte oder meinen roten Spitzen-BH unter meinem Abendkleid spüre, denke ich: Jawoll! Ich darf das – als Feministin, als Frau mit Behinderung, als queerer Mensch!
Tamara Tamke ist Autorin und lebt in Wien. Sie gibt gerne Schminktipps an Menschen aller Gender weiter.