Seit zehn Jahren verbreitet Johanna feministische Memes im Internet, Anahita Neghabat erstellte sie einige Jahre selber. Seitdem haben sich nicht nur Feminismus, sondern auch die Internet-Trends und Formate verändert. Sind Memes inzwischen überholt? Von Anna Lindemann
Pinkfarbener Hintergrund, Foto in der Mitte, neongrüner Text: Im einheitlichen Design können Nutzer*innen der Musikstreaming-App Spotify am Ende jeden Jahres teilen, welche Songs, Bands und Genres sie in den vergangenen zwölf Monaten am häufigsten gehört haben. Auf den ersten Blick sieht der Post des Instagram-Accounts „feminismus24.de“ genau nach einem solchen Jahresrückblick aus – würde die Frau auf dem Foto sich nicht verzweifelt an die Schläfen fassen. „Du hast 174 Stunden damit verbracht, cis Männern dabei zuzuhören, wie sie dir Dinge erklären, die du bereits wusstest“, steht unter dem Foto auf Englisch.
Feminismus24.de ist ein feministischer Meme-Account auf Instagram. Regelmäßig werden dort Bilder wie der überarbeitete Jahresrückblick gepostet, rund 85.000 Abonnent*innen schauen sich das an. Dahinter steckt die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Johanna, die seit knapp zehn Jahren feministische Social-Media-Accounts betreibt und sich selbst als „Kuratorin“ bezeichnet. Sie erstellt die Memes nicht selbst, sondern durchforstet das Internet und teilt, was ihr gefällt – natürlich mit Angabe der Quelle.
Memes, das sind visuelle Beiträge, oft ergänzt durch einen Text, die sich im Internet verbreiten. In der Regel sind sie lustig, meist auch satirisch. Oft werden dafür Fotos oder einheitliche Designs aus dem Kontext gerissen – wie der Jahresrückblick von Spotify. Viele Nutzer*innen verbreiten den Inhalt dann, mit leichten Abwandlungen oder in neuen Kontexten. So entstehen Trends, die immer wieder von neuen abgelöst werden.
„Angefangen hat alles auf Facebook“, sagt sie und lacht. Johanna war damals Anfang zwanzig und begann sich mit feministischen Inhalten auseinanderzusetzen. Zunächst teilt sie Beiträge auf ihrem eigenen Profil: eine Mischung aus Bildern, Illustrationen und Artikeln, die sie interessierten. „Mehr aus einer Schnapsidee heraus habe ich dann meine eigene Facebook-Seite gegründet“, sagt sie im an.schläge-Interview. Für Johanna selbst waren Memes ein wichtiger Einstieg in den Feminismus: „Sie machen Feminismus leicht teilbar. Wer ein Meme teilt, kann sich leicht positionieren, ohne alles selber auszuformulieren.“
Radikaler Humor. „Am Anfang habe ich vor allem popfeministische Inhalte geteilt. Das war damals viel fluffiger als heute und die Forderungen waren meist flacher.“ Johanna spricht von einer Girl-Power-Ära, von Memes in Rosa-Tönen, die Frauen empowern sollten. Neben satirischen Inhalten wurden viele Phrasen-Posts geteilt: Grafiken mit oft recht seichten feministischen Slogan – „so Kram wie ‚The future is female‘.“ Daran sei für sie heute aber nichts mehr revolutionär.
Vieles hat sich in den vergangenen zehn Jahren geändert: Ihre Seite ist auf die Plattform Instagram umgezogen und verbreitet hauptsächlich politische Memes. Der Humor sei schwärzer und brutaler, die Ästhetik nicht mehr fluffig, sondern chaotisch, manchmal sogar bewusst hässlich. Zum Teil entstehe der Witz schon aus dem Widerspruch zwischen Stil und Inhalt.
Auf einem Beitrag hält zum Beispiel eine Barbie-Puppe eine Motorsäge in der Hand, darauf geschrieben steht nur: „Ich, wenn Männer“. Auf einem andern ist eine Polizeiuniform zu sehen, darunter der Kommentar: „How to get away with murder“.
Grund für diese Verschiebung sei auch, dass oft eine neue Generation die Memes macht: „Gen Z ist in einer Zeit aufgewachsen, in der Feminismus selbstverständlich Teil von populärer Internetkultur ist. Gleichzeitig ist die Welt viel bedrohlicher, wenn man heute zwanzig ist“, sagt Johanna. Memes würden immer auf zeitpolitisches Geschehen reagieren. Da reiche bloßes Empowerment nicht mehr aus. „Diese Leichtigkeit kann heute keiner mehr ertragen.“ Themen sind heute stattdessen Kapitalismuskritik, non-binäre Perspektiven und Wut auf das Patriarchat.
Schnelllebigkeit erschwert den Anschluss. Niedrigschwellig seien Memes deshalb aber nur noch selten. Das Internet sei so schnelllebig, ständig gebe es neue Trends, die sich auf alte beziehen. Um an dem Diskurs teilzuhaben, brauche es Vorwissen über feministische Forderungen und Internetkultur. Schlecht ist das aber nicht unbedingt, findet Johanna. „Als ich angefangen habe, wollte ich viel mehr aufklären als heute. Es war wirklich mein größtes Anliegen, dass ich niemanden mehr abschrecke und Feminismus nicht mit so viel Hass unter die Leute bringe“, sagt sie. „Inzwischen ist mir das egal. Man muss auch manchmal sauer sein.“
Wütend ist auch Anahita Neghabat, und zwar auf die österreichische Politik. Sie hat Sozialanthropologie studiert und forscht zu Memekultur. Bekannt wurde sie mit ihrer eigenen Instagram-Seite „Ibizia_austrian_memes“, die sie 2019 startete. Seit der Ibiza-Affäre kritisiert sie dort mit eigenen Memes Innenpolitik – und macht mit Satire auf Missstände aufmerksam, wie sie es sagt. Mehr als 22.000 Menschen folgen ihr.
Satire sei eine präzise Form der Informationsaufbereitung, sagt Anahita. Man könne eine Sache aus einem komplexen Zusammenhang herausnehmen und überspitzen. „Mit Memes über Krisen und Unterdrückung zu lachen, ist eine Form der Selbstermächtigung und Auseinandersetzung mit dem Thema. Wenn ich ein Meme erstelle, dann setze ich mich selbst in Verbindung zu den Dingen.“ Ihre Perspektive sei deshalb immer: intersektional feministisch, machtkritisch, antirassistisch.
Über ein Jahr hinweg hat Anahita drei bis vier Stunden am Tag Memes erstellt und ihre Seite verwaltet – unbezahlt. Irgendwann wurde der Druck so hoch, sich zu jedem politischen Ereignis zu äußern, dass sie mit den regelmäßigen Postings aufhörte, erzählt sie. Vor allem die Kommentarspalten zu betreuen, sei auslaugend gewesen.
Stattdessen bietet sie seit einiger Zeit Workshops an, in denen sie gemeinsam mit Teilnehmer*innen Memes erstellt.
Anahita versteht Memes auch als politische Bildung und aktivistische Arbeit. Denn sie funktionieren als Werkzeug, um Diskriminierungserfahrungen und politische Entwicklungen zu verarbeiten und zu kritisieren, wie sie sagt. Mit ihrem Account erreiche sie auch viele Menschen außerhalb ihrer Bubble.
Was Memes allerdings konkret bewirken, lasse sich nicht so einfach feststellen. „Die gleiche Frage kann man auch über einen informativen Flyer stellen. Memes sind erstmal ein Medium – und das kann auf viele Arten und Weisen verwendet werden.“ Auf jeden Fall seien sie eine mögliche Basis für andere Formen von Widerstand.
Memes mit Ablaufdatum? Sowohl Johanna als auch Anahita haben noch vor zwei Jahren deutlich mehr gepostet als heute. Es scheint, als haben sie die Hochphase ihrer Seiten hinter sich gelassen. Gilt das generell für Meme-Accounts? „Memes sind eigentlich noch immer überall“, sagt Anahita. Aber eine entscheidende Sache habe sich verändert. „TikTok-Videos und Reels auf Instagram sind deutlich wichtiger geworden.“
Johanna beobachtet eine ähnliche Entwicklung. Stressen lässt sich Johanna davon aber nicht. Ihr sei ohnehin die Energie etwas ausgegangen, so eine Seite zu betreiben, sei einfach wahnsinnig viel Arbeit. „Ich freue mich, dass eine neue Generation die feministische Meme-Kultur bestimmt“, sagt Johanna. Zeit, das Zepter weiterzureichen. •
Anna Lindemann ist freie Journalistin und verbringt viel Zeit auf Instagram.