Viele migrantische Mädchen aus der Arbeiter*innenklasse passen zu Hause auf Geschwister auf, statt draußen die Welt zu erobern. Das muss sich ändern, sagt Ionela von unserer jungen an.sage-Redaktion.
Als kleines Kind wollte ich unbedingt eine Sportart ausüben. Es war mir fast egal, welche Sportart, aber für mich war es wichtig, dass ich körperlich aktiv bin. Damals hat mir meine Sportlehrerin vorgeschlagen, dass ich mich in einem Verein anmelden sollte, weil sie Potenzial in mir gesehen hat. Ich habe es meinen Eltern voller Aufregung erzählt, aber für sie kam nicht infrage, dass sie dafür monatlich eine für sie beträchtliche Summe hätten zahlen müssten. Das Geld war knapp bei uns.
Geld war dabei aber nur eine von vielen Hürden. Als große Schwester ist es oft meine Verantwortung, in der Familie auch spontan auf meinen kleinen Bruder aufzupassen. Obwohl ich ältere Brüder habe, ist es für meine Eltern trotzdem eine Selbstverständlichkeit, dass ich als Mädchen diese Aufgabe zu übernehmen habe.
Das ist der Grund dafür, dass ich regelmäßige Termine nur schwer einhalten kann. Wenn Geld kein Problem wäre, könnten meine Eltern einen Babysitter für meinen Bruder besorgen und mir somit den Wunsch nach einem Hobbyverein ermöglichen. Aber das ist unrealistisch.
Wenn Freund:innen mir von ihrem Klavierunterricht oder ihren Gymnastikvereinen erzählt haben, dachte ich oft, dass es einen gewaltigen Unterschied in unseren Lebensrealitäten gibt.
Meine Eltern sind nicht allein dafür verantwortlich, dass ich bestimmte Möglichkeiten als Kind und auch als Jugendliche nicht hatte. Es trifft sie nur eine Teilschuld. Es ist vor allem das System, in dem wir leben, das es mir und meiner Familie so schwer macht. Wenn ich heute an meine Kindheit zurückdenke, wird mir bewusst, dass sich wohl weiterhin viele andere Mädchen in meiner Geschichte wiedererkennen.
Es sind vor allem migrantische Mädchen aus Arbeiterfamilien, die von ihrem Umfeld isoliert werden. Sie haben keine Hobbys, nichts, womit sie sich außerhalb der Schule beschäftigen können. Während die Jungs sich im Park treffen und Fußball spielen, müssen die Mädchen zu Hause Care-Arbeit leisten und ihre Wünsche zurückstellen.
Dabei arbeiten Kapitalismus und Patriarchat Hand in Hand. Reiche Familien können Sorgearbeit einfach auslagern. Sie fühlen sich fortschrittlich und emanzipiert, während die Arbeit auf unterbezahlte, meist migrantische Arbeiterinnen abgewälzt wird.
Für ärmere Familien bleibt die Sorgearbeit innerhalb der Familie. Mädchen übernehmen oft eine klassische Mutterrolle in der Familie. Es bleibt ihnen verwehrt, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Für die Sorgearbeit verantwortlich zu sein, bedeutet oft, an das Haus gefesselt zu sein. Das Leben vieler migrantischer Mädchen spielt sich in der Schule oder in den eigenen vier Wänden ab.
Dadurch können sie weniger soziale Kontakte knüpfen, sich nur sehr eingeschränkt ausleben, körperlich ausprobieren und ihre Stärken und Schwächen kennenlernen. Sorgearbeit macht aber auch müde – zu müde und erschöpft oft, um den eigenen Zielen und Wünschen nachgehen zu können.
Dass sie oft weniger Möglichkeiten haben, an Freizeitaktivitäten, Ausflügen oder anderen sozialen Veranstaltungen teilzunehmen, hat auch damit zu tun, dass es den Mädchen sehr schwer gemacht wird, Teil der Gesellschaft zu sein. Viele beherrschen die deutsche Sprache noch nicht so gut und fühlen sich deshalb unsicher. Was dazu führt, dass sie sich aus sozialen Aktivitäten zurückziehen, aus einem Mangel an Selbstwertgefühl oder Angst vor Ablehnung.
Ich wünsche mir, dass migrantische Mädchen mehr gefördert werden, um ihre Talente und Interessen zu entdecken. Es braucht mehr kostenlose Angebote wie Sportvereine oder Mentoring-Programme, die ihnen helfen, ihre Stärken zu entfalten, ohne dass die Familien finanziell belastet werden. Wichtig ist auch, dass es Menschen, vor allem Lehrkräfte, gibt, die an sie glauben und ihr Potenzial fördern.