AMY WINEHOUSE hatte ihren Kindheitstraum in die Tat umgesetzt. Sie wollte berühmt werden, singen – und sie wurde eine große Soulsängerin. Mit einem Hang zum Schmerz, zur leidenschaftlichen Liebe und zu diversen Drogen, die sie das Leben kosteten. Ein Nachruf von KENDRA ECKHORST
Sie zuppelt die Haarsträhne wieder über die linke Schulter, schwankt unentschlossen vor dem Mikrofon und hebt dann doch die Stimme. Mit einer kleinen Verzögerung. Sie rollt die Augen nach oben, die Mundwinkel gehen gleichzeitig nach unten, sie fährt sich mit dem Finger im Auge herum. Geschafft. Applaus. Sie bückt sich zu ihrem Glas, nimmt einen Schluck und hält eine Ansprache. Wie ist es, abgefuckt zu sein? Die Band setzt zur nächsten Nummer an, die Backgroundsänger stimmen gutgelaunt ein. Amy Winehouse setzt das Glas an.
Dieser Konzertmitschnitt aus dem Jahre 2006 bei den BBC One Sessions wurde nun, in Gedenken an Amy Winehouse, erneut ausgestrahlt. Damals stellte sie ihre zweite Platte „Back to black“ mit dem Erfolgshit „I don’t go to rehab“ vor, mit dem sie sich in die Liga der internationalen Pop-Größen sang. Die Künstlerin mit der rauchigen, tiefen Stimme, die vielen als Ausnahmetalent einer weißen Soulsängerin gilt, starb am 23. Juli mit 27 Jahren in ihrer Londoner Wohnung. Und fast alle haben gewusst, dass es so mit ihr enden würde. Eine Mischung aus Exzess, Krankheit und Genialität wurde Amy Winehouse attestiert, die sie neben der Ausnahmeerscheinung zu einer tragischen Figur, aufgrund ihres Drogenkonsums zu einem zunehmenden Desaster in der Popwelt stilisierte, wenn sie ihre Auftritte nicht mehr über die Bühne bekam. Einer Figur, deren Essverhalten, Liebesleben und „Ausrutscher“ in den letzten Jahren peinlich akkurat von den Medien dokumentiert wurden.
Im Scheinwerferlicht wollte sie schon als Mädchen stehen und besuchte mit neun Jahren eine Theaterschule für Begabte. Mit dem Satz: „Ich will berühmt werden und Lieder singen, die die Menschen für fünf Minuten ihren Ärger vergessen lassen“, ebnete sie sich mit zwölf Jahren den Weg an die renommierte Sylvia Young Theatre School, von der sie später wieder flog. Weil sie sich „nicht anpassen konnte“ oder wegen einem Piercing, besagen unterschiedliche Gerüchte. Vorerst als Autodidaktin blieb sie der Musik treu, einer Musik, die sie aus ihrem Elternhaus kannte und mitnahm. Die Musik von Frank Sinatra und Ella Fitzgerald.
„Fuck me pumps.“ Die Geschichte ihres „Ich will ein Glanz sein“ nahm vorerst einen klassischen Verlauf. Mit 13 bekam sie eine Gitarre, komponierte erste Songs und spielte in diversen Bands und Jazzorchestern mit. Ein Freund ging mit den Aufnahmen bei einigen Plattenfirmen hausieren und schlug umgehend einen Vertrag heraus. Mit gerade 20 veröffentlichte Amy Winehouse ihr erstes Album „Frank“ mit jazzigen Pop-Stücken, das ihr die ersehnte Berühmtheit einbrachte und einigen Glanz verlieh. Die Themen der Songs sind weniger glanzvoll, so werden etwa in „Fuck me pumps“ die missglückten Versuche von Frauen besungen, die in der Bar den Richtigen, den Millionär fürs Leben aufreißen wollen. Winehouse macht sich darin lustig über die verzweifelten Anstrengungen, die doch nur zu One-Night-Stands führen. Sie selbst hält es eher mit den Statements und dem Soul von TLC und Salt’N’Pepa, die für eine selbstbestimmte Sexualität eintraten. Das inszeniert sie auch in aller Öffentlichkeit, erzählt von ihren Abenteuern und lässt die Welt daran teilhaben – auch an ihrer Beziehung mit Blake Fielder-Civil, an den Prügeleien, den Trennungen, Knastaufenthalten und Liebesschwüren. Nach der ersten Trennung entstand ihr zweites Album, in dem sie den Liebeskummer wie in „Love is a loosing game“ verarbeitet. Aber in dem sie auch den Exzess musikalisch abfeiert. Sie und Blake Fielder-Civil kommen wieder zusammen, heiraten sogar und geben für eine Zeit lang ein Paar wie Bonny und Clyde oder Sailor und Lula aus „Wild at heart“ von David Lynch. Der Drogenkonsum steigt, die Tattoos vermehren sich, die Haare türmen sich zu dem bekannten Bienenkorb und die Eigentumssignatur „Blake’s“ prangt über den geboosteten Brüsten. Die Figur einer Diva aus den sechziger Jahren, mit Rock’n’Roll-Attitüde nebst Pin-up-Tattos und einer Vorliebe für 80er-Drogen wie Heroin, wirbelt durch die Boulevardpresse und immer seltener über die Bühnen. Zusammenbrüche, Entzugsaufenthalte und „Katerstimmungen“ lassen jedes Konzert und jede Tour unkalkulierbar werden.
„… das geht allen Frauen so.“ Zugleich steigt ihre Bekanntheit rasant, ihre musikalische Professionalität jedoch nicht immer in gleichem Maße. Amy Winehouse wollte und musste auf die Bühnen dieser Welt, Preise entgegennehmen und sich den Anforderungen des gegenwärtigen Musikgeschäfts stellen. Eines Geschäfts, das sie auch in desolatem Zustand ans Mikro schickte und das Risiko ihres Versagens in Kauf nahm. Wie bei ihrem letzten Auftritt im Juni in Belgrad. Auch ihre Band und das Lächeln der Backgroundsänger, die die Show noch zusammenhalten, können über das Desaster nicht hinwegtäuschen. Sich ständig kratzend, torkelnd und mit entrücktem Blick verpatzt sie die meisten Einsätze, bricht zwischendurch ab. Hin und wieder versucht sie mit dem Publikum in Kontakt zu kommen, sich zu erklären, um dann wieder in ihre Welt abzudriften. Die Geduld des Publikums ist überstrapaziert, solch unglamouröse Folgen der Drogensucht werden nicht toleriert. Amy Winehouse befindet sich jenseits des akzeptablen Mythos der drogenbefeuerten Kreativität. Der Glanz ist verschwunden. Stumpfe Stellen gab es schon vorher, aber dazwischen schimmerte es. Wenn sie klare Momente hatte, wenn sie sich musikalisch mit ihrem Schmerz auseinandersetzte und mit ihrer intensiven Stimme bezauberte. Denn ein wenig hatte sie sich dem Schmerz verschrieben, wie sie in Interviews zu Protokoll gab. Der Umgang damit, das Leid und die Erfahrung, gerade auch von Sänger_innen der 1960er Jahre, faszinierten und inspirierten sie. Ein Schmerz, den sie mit Drogen sowohl schuf als auch aushielt und mit dem sie trotz ihrer Musik allein blieb.
Nicht von ungefähr zitiert Angela McRobbie in ihrem Buch „Top Girls“ einen Satz aus einem Interview, das Amy Winehouse 2006 dem „Daily Mirror“ gab. „Ein bisschen Magersucht, ein bisschen Bulimie. Es geht mir nicht total gut gerade, aber ich denke, das geht allen Frauen so.“ Symptomatisch ist für McRobbie diese Aussage, denn sie macht die Verschiebungen eines neoliberalen Geschlechterverhältnisses deutlich. Gesellschaftliche Anforderungen an Frauen werden darin als individuelle Herausforderungen interpretiert. McRobbie spricht von postfeministischen Störungen, in denen Autoaggressionen oft als Krankheiten umgedeutet werden und ein gangbarerer Weg sind, statt sich offen zu verweigern oder gar kollektiv zu agieren. Und beispielhaft für diese schizophrene Anspannung zwischen selbstverletzender Wut und dem Lächeln im Schweinwerferlicht sei eben Amy Winehouse.
Eine, die in den Star-Olymp gelangt war und den Ruhm sichtlich genoss, die Angst vor der Ruhe nach dem Applaus hatte und auch unwirsch vor Langeweile werden konnte.
„I don’t go to rehab.“ Die Anforderungen an die Art ihrer Selbstpräsentation waren zwar enorm, räumten ihr aber zugleich einen Spielraum für Skandale ein, wenn diese ein mediales Echo erzeugten. Sie hat diesen Spielraum, genutzt, führte ein – vielleicht immer wieder auch ungewollt – öffentliches Leben als Musikerin, Frau und Drogenabhängige und pflegte einen offensiven Umgang mit den Zumutungen dieses Lebens. Wild und verletzt. Diva und Wrack. Rausch und Abhängigkeit. Immer weniger gelang es ihr, die Balance zwischen diesen extremen Polen zu halten und gemäß den Regeln des Musikbusiness zu funktionieren. Ganz unglamourös verstarb sie an den Folgen ihrer Drogensucht.
Kendra Eckhorst lebt als freie Journalistin in Hamburg.
* Aus: „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun (Berlin 1932)