Sarah Ciston ist Künstlerin, Wissenschafterin und kritische Programmiererin und versucht die Welt der künstlichen Intelligenz intersektionaler zu gestalten. Anika Haider hat nachgefragt, warum die Technik ein „Intersectional AI Toolkit“ braucht.
an.schläge: Du hast ursprünglich kreatives Schreiben studiert. Warum hast du zu programmieren begonnen?
Sarah Ciston: Ich wollte schon immer Texte schreiben, die über die Textform hinausgehen. Bücher machen, die nicht in Bücher passen. Ich begann zu programmieren, weil ich nach anderen Kunstformen suchte. Anfangs gab es kaum Menschen, an denen ich mir ein Beispiel hätte nehmen können, und ich scheiterte oft. Doch die Faszination für das Thema, also für die Beziehung, die wir zu Technik haben und wie sehr diese die Beziehungen ändert, die wir Menschen zueinander haben, war so groß, dass ich dranblieb.
Hatte dein Unbehagen auch damit zu tun, wie hetero-cis-männlich-dominiert die Branche ist?
Ja, bestimmt. Aber diese Annahme ist eigentlich falsch. Das Narrativ hat sich auf diese spezielle Geschichte verengt. Das sind die Typen, die das Geld haben, die das ganze Interesse auf sich ziehen und über die all die Geschichten erzählt werden. Es wird oft so dargestellt, als wären sie die einzigen, die etwas von Technik verstehen. Aber es gibt auch viele queere Menschen und Frauen in der Tech-Branche. Global gesehen sind in verschiedenen Arbeitsbereichen Menschen in der Mehrheit, die keine weißen Silicon-Valley-Tech-Bros sind.
Willst du diese Fehlwahrnehmung mit dem „Intersectional AI Toolkit“ ändern?
Ja, genau. Als ich begonnen habe, mehr in der Tech-Branche zu arbeiten, merkte ich schnell, dass das alles doch gar nicht so schwer ist, wie gedacht. Es gibt einen immensen Hype um diese Systeme und wie sie funktionieren und eine sehr einschränkende Sicht darauf, für wen sie gemacht sind. Doch auch wenn das gerne verschleiert wird: Man kann diese Technologien auch ohne obskure Sprache erklären und ohne mathematische Begriffe. Es gäbe durchaus Wege, um viele Menschen in die Auseinandersetzung einzubeziehen. Mich interessiert, wie wir die Technologie mit und für mehr Menschen erweitern oder neu denken können.
Warum ist ein diverseres Spektrum an Menschen in der Tech-Branche so wichtig?
Ich denke, dass die Art und Weise, wie Technik derzeit funktioniert, einigen Menschen aktiv schadet. Ihre Perspektiven einzubeziehen, kann dabei helfen, das zu ändern. Wir sollten das Wissen, das über Themen wie Gleichheit und Partizipation, Fairness und Zugänglichkeit außerhalb digitaler Systeme gesammelt wurde, auch in die technische Entwicklung einbeziehen. Das ist aus ethischer Perspektive richtig, aber es wird auch die Technik für alle besser machen.
Wie soll das „Intersectional AI Toolkit“ funktionieren?
Es ist ein lebendes Dokument, ein ständiger „Work in Progress“ und für Menschen gedacht, die sich für AI interessieren, sich aber ausgeschlossen fühlen. Für sie habe ich einige Zines, also kleine Magazine gemacht, die ausgedruckt und – ganz analog – weitergegeben werden können. Sie sind eine Einführung in verschiedene Aspekte von AI und Intersektionalität. Die Zines kann man auch anpassen oder eigene gestalten. So soll ein Ort für verschiedene Menschen geschaffen werden, um über AI ins Gespräch zu kommen.
Was fehlt dir in der aktuellen Diskussion um AI-Ethik am meisten?
Diskussionen sollten über dieses gut/schlecht, voreingenommen/nicht-voreingenommen hinausgehen. Wir sollten uns eher fragen: Wie kann man das System ändern? Wie können wir andere Ziele definieren? Wie können wir langsamer werden? Das Problem ist, dass die Auseinandersetzungen nach den Regeln jener, die gerade an der Macht sind, passieren und einem ständigen Wettrennen untergeordnet sind. Es wäre spannend, zu sehen, was möglich wäre, wenn sich alles verlangsamen würde und sich die Diskussionen erweitern könnten.
Kann AI auf dem Weg hin zu einer besseren Gesellschaft helfen?
Ja, ich glaube, dass das möglich ist. Es wird, so wie mit jeder Technologie, immer gewisse Spannungen geben – zwischen dem, wie wir sie gerne verwenden würden, und wie sie tatsächlich verwendet wird. Ich bin weder besonders tech-utopisch noch tech-dystopisch. Aber es wird hoffentlich immer Menschen geben, die die Technologien innovativ nutzen und sich Machtstrukturen widersetzen. Ich bin jedenfalls sehr begeistert von all den künstlerischen, subversiven und queeren Ansätzen, die versuchen, die bestehenden Paradigmen infrage zu stellen. •
Anika Haider ist von der queerfeministischen Coding-Bewegung fasziniert und würde jetzt am liebsten auch Hackerin werden.