Mit einer erstaunlichen Regelmäßigkeit werde ich für die Mutter von Gleichaltrigen gehalten. Als mir das mit meiner besten Freundin auf dem Rummel passierte – sie ist vier Jahre älter als ich –, lachten wir laut. Doch wenn mir das mit meiner Partnerin – drei Jahre älter als ich – passiert, fühlen wir uns beide danach mindestens einen Tag lang schlecht. Der Unterschied zu meiner besten Freundin: Meine Partnerin und ich sind beide behindert und die Fehleinschätzung bekommt dadurch einen sehr unangenehmen Beigeschmack. Ihr sieht man die Behinderung auf den ersten Blick an, mir nicht. Wenn wir zusammen einkaufen gehen, werden wir von den Menschen als Person mit Assistenz wahrgenommen. Wenn wir Händchen halten, dann als Elternteil mit Kind. Das erklärte uns zumindest eine sich empört räuspernde Person, die extra vom Fahrrad abstieg, als wir uns neulich auf der Straße küssten. „Entschuldigung“, rief sie meiner überdurchschnittlich kleinen Partnerin zu, und als ihr dann auffiel, dass sie eine Erwachsene Mitte dreißig ist: „Ich dachte, Sie seien ein Kind!“ Die Mischung aus Schock und Überraschung in ihrem Blick tat weh. Was uns die Umwelt so immer widerspiegelt: Niemand nimmt uns als Paar wahr. Auch nicht, wenn wir uns demonstrativ romantisch verhalten. Dass zwei weiblich gelesene Menschen eine Liebesbeziehung führen, sprengt schon so manche Vorstellungskraft. Wenn dann noch Behinderung dazukommt, scheint jede andere Option wahrscheinlicher: Assistenz, Betreuung, Familie, Freund:innenschaft.
Der Ableismus in uns allen sitzt tief: Behinderung und chronische Erkrankung werden oft mit Unmündigkeit gleichgesetzt. Themen wie Liebe, Sex und Queerness haben da keinen Platz. Wenn zwei queere Crips wie wir also in der Öffentlichkeit knutschen, reagieren Menschen mit Verwunderung, Ablehnung und immer einem zweiten Blick. Die einzig passende Reaktion aber wäre: gar keine. Denn dass behinderte Queers im Stadtbild existieren, darf uns nicht überraschen.
Karolin Kolbe liebt ihre Wahlfamilie in Berlin ohne Elternteil von allen zu sein.