Die Wunder der Reproduktionstechnologie machen einen unerfüllten Kinderwunsch scheinbar zu einem Problem der Vergangenheit. Die Lebenssituation und das Leid vieler Betroffener erzählen eine andere Geschichte. Von Cornelia Grobner
„Wann nach einer Fehlgeburt darf ich wieder Tampons benutzen?“ Es ist das Jahr, in dem sich endlich ihr Kinderwunsch hätte erfüllen sollen, als Anna diese Frage in tiefer Trauer im Netz postet. Die aufpoppenden Antworten tragen sie hinein in jene Foren, die sie doch tunlichst meiden wollte. Foren, in denen sich Menschen austauschen, die unfreiwillig kinderlos sind. Wut. Verzweiflung. Hoffnung. Enttäuschung. Schmerz. Bitterkeit. Es ist ein düsterer Ort. Exil für jene Gefühle, die im Alltag geflissentlich ignoriert werden. „Ich fühle mich, als wäre ich zu blöd für diese Welt“, heißt es da etwa. Die anonyme Userin hat vier nicht erfolgreiche In-vitro-Fertilisationen hinter sich und mittlerweile den Kontakt zu all ihren Freundinnen abgebrochen, weil sie deren Familienleben mit Kindern nicht mehr aushält. „Für mich ist der Neid auf andere mittlerweile unerträglich“, pflichtet ihr eine andere bei. „Er frisst mich innerlich auf.“ An anderer Stelle erzählt eine Frau von ihren sechs Fehlgeburten. Nachsatz: „Das Kinderlos-Sein tut weh, aber viel, viel schlimmer sind die ununterbrochenen Hinweise auf meine biologische Uhr.“
Desillusionierung. Tatsächlich ist das Zeitfenster, in denen Schwangerschaften gesellschaftlich erwartet und befürwortet werden, ein recht kleines. Das musste auch Anna spüren. Sie wollte „immer schon“, wie sie sagt, Mutter werden. Die Trauer darüber, dass es nicht und nicht klappte, nahmen viele in ihrem Umfeld nicht ernst: Sie sei ja noch jung. Die Gründe dafür, warum Ei- und Samenzelle nicht verschmelzen, eine Einnistung nicht klappt oder es später zu einer Fehlgeburt kommt, sind vielfältig und sie treten nicht selten auf: Knapp jeder dritte Mensch mit Uterus erlebt im Laufe des Lebens eine oder mehrere Fehlgeburten. Denkbar groß ist das Arsenal der Komplementär- und Alternativmedizin gegen medizinisch unbegründete Unfruchtbarkeit und zur Erhöhung der Chancen auf eine Schwangerschaft. Ihre Wirksamkeit ist jedoch umstritten, die Grenze zwischen Scharlatanerie und sinnvoller Hilfe nicht immer leicht zu bestimmen. Es sei für sie ein schmerzhafter Lernprozess gewesen, dass ein positiver Schwangerschaftstest noch lange nicht bedeutet, ein Kind zu bekommen, resümiert Anna, die Anfang des Jahres nach einer Zeit der körperlichen Selbstüberwachung und Selbstoptimierung eine weitere Fehlgeburt hatte. Über ungewollte Kinderlosigkeit spricht man eben nicht. Nicht in der Schule, nicht im Privaten, nicht in der Öffentlichkeit. Obwohl. So ganz stimmt das freilich nicht, möchte man einwenden. Immerhin ist viel über die Möglichkeiten neuer Reproduktionstechniken zu hören. Es handelt sich dabei jedoch mehr um Erfolgserzählungen der modernen Wissenschaft und weniger um einen realistischen Blick auf die davon geprägten Lebensrealitäten.
Stigmatisierung. „Ich habe versucht, meinen eigenen intensiven Kinderwunsch auch auf seine soziale Konstruiertheit hin zu hinterfragen, aber getröstet hat mich das nicht“, meint Anna. „Um mich herum schienen alle fröhlich schwanger zu werden, nur ich nicht. Ich musste lernen, mit dem Gefühl des Scheiterns und des Versagens umzugehen. Manchmal habe ich mich dafür geschämt, nicht schwanger zu werden.“ Anna erlebt Einsamkeit und Isolation. Sie würde sich gerne mit Gleichgesinnten austauschen, scheut aber den Kontakt mit Unbekannten. Ganz anders Miriam. Sie ist 34 und versucht mittlerweile seit vier Jahren schwanger zu werden. „Ich habe herausgefunden, dass ich Trost nur bei Menschen in einer ähnlichen Situation finde.“ Menschen, die sie aktiv anspricht, über soziale Netze, bei Veranstaltungen, und die sie manchmal auch zu Blinde-Dates trifft. Trotzdem sei dieses große Gefühl der Ungerechtigkeit mitunter unerträglich, schildert sie. „Wenn ich dann wieder von einer Schwangerschaft im Umfeld erfahre, dann ist das wie ein Schlag in die Magengrube.“
Fertility Gap heißt jene Lücke zwischen Kinderwunsch und tatsächlicher Kinderanzahl. Planten in den 1990er-Jahren fünf Prozent der Frauen im Alter von 20 bis 24 Jahren in Österreich, Deutschland und der Schweiz keine Kinder, so blieben insgesamt viermal so viele bis heute ohne Nachwuchs. Das geht aus einer Untersuchung der Demographinnen Éva Beaujouan und Caroline Berghammer hervor. Der Fertility Gap ist in diesen Ländern vor allem unter Akademikerinnen auffallend groß. Weitere Erhebungen lassen darauf schließen, dass auch lesbische cis Frauen häufig von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen sind. Doch viele Lebensrealitäten werden in den Studien erst gar nicht berücksichtigt: „Ein Kinderwunsch ist weder weiblich noch männlich, sondern menschlich“, betont etwa der trans Mann Benjamin Czarniak, der in dem nun neu aufgelegten Sammelband „Nicht nur Mütter waren schwanger“ (edition assemblage) über den Schmerz nach seiner ersten Fehlgeburt schreibt.
Die Annahme, dass jede Frau Mutter ist oder sein will, sowie dominante gesellschaftliche Normen, die festlegen, wer wann und unter welchen sozialen, familiären, gesundheitlichen oder ökonomischen Umständen Kinder haben sollte, prägen die individuellen Erfahrungen mit ungewollter Kinderlosigkeit ganz unterschiedlich. Nicht zuletzt geht etwa Unfruchtbarkeit und Kinderlosigkeit in besonders patriarchal geprägten Gesellschaften mit Stigmatisierung oder Verlust der ökonomischen Sicherheit einher. Die britische Autorin und Begründerin des Gateway-Women-Netzwerkes für kinderlose Frauen, Jody Day, publizierte auf ihrer Plattform eine Liste mit fünfzig Lebensumständen, die Elternschaft verhindern – von Unfruchtbarkeit aufgrund von Chemotherapie über die Abwesenheit der gewünschten Paarbeziehung bis hin zu Armut oder gesetzlicher Diskriminierung. „Das Zimmer namens Kinderlosigkeit hat viele Türen; nicht nur die mit ,will nicht‘ und ,kann nicht‘ markierten“, unterstreicht sie.
Hoffnung. Auch Miriam hat viele Metaphern für ihre Situation. Sie ringt nicht nach Worten und man merkt ihr an, dass sie oft über das Thema spricht und sich rundum informiert hat. Über Reproduktionstechnologie zum Beispiel. „Ich habe mich dagegen entschieden“, erklärt sie. Das hat zum einen gesundheitliche Gründe, zum anderen kritisiert sie, dass der deutsche Staat bei der finanziellen Unterstützung von künstlicher Befruchtung ein Beziehungsmodell, das Hetero-Ehepaar, bevorzugt.
In-vitro-Fertilisation, das klingt für manche wie ein Heilsversprechen. Doch nur bei etwa vierzig Prozent dieser Behandlungen, bei denen die Befruchtung der Eizellen außerhalb des Körpers stattfindet, kommt es zu einer Schwangerschaft. Die oftmals über Jahre andauernde Hormonbehandlung geht nicht selten mit psychischen und physischen Problemen einher. Zur finanziellen Belastung gesellt sich häufig jene, die durch die ungleiche Rollenverteilung innerhalb einer bestehenden Partner:innenschaft entstehen kann. „Mein Kinderwunsch ist sehr groß, aber ich springe nicht durch jeden Reifen, den man mir hinhält“, sagt Miriam klipp und klar. Diese Haltung passt zum Vorschlag der Soziologin Gayle Letherby, unfreiwillige und freiwillige Kinderlosigkeit nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern sie als ein Kontinuum mit ganz unterschiedlichen Ausgangssituationen, aber eben auch Möglichkeiten zu betrachten. „Seit ich mit anderen Betroffenen spreche, hat sich mir eine größere Perspektive auf Kinderlosigkeit eröffnet“, sagt Miriam. „Uns beschäftigen vielleicht dieselben Eckpunkte des Themas, aber die Sorgen und Ängste, der Schmerz und die Schwere sind ganz unterschiedlich verteilt – und es gibt immer noch einen riesigen Entscheidungsraum. Das weicht das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins auf.“
Die Psychologin Helga Krüger-Kirn regt als eine Art Fazit der feministischen Diskursgeschichte zu Elternschaft eine begriffliche Trennung von Mutterschaft und Mütterlichkeit an. Wobei letzteres Prinzip weder an ein bestimmtes Geschlecht noch an Care-Verantwortung für eigene Kinder gebunden ist und etwa in der Rolle als Onkel, erwachsene Freundin oder Mentorin verwirklicht wird. Sich darin wiederzufinden und den eigenen Kinderwunsch bewusst zu verabschieden, können Schmerz und Wehmut lindern. Noch ist Miriam nicht soweit. Auch wenn der gelungene Umgang mit Kindern von Freund:innen mittlerweile eine große Trostquelle für sie geworden ist. Trotzdem. Die Momente bleiben bittersüß.
Cornelia Grobner ist Journalistin und lebt in Wien.
1 Kommentar zu „Hoffnung. Enttäuschung. Trauer. Wut. Repeat.“
Meine Schwester kann leider keine Kinder bekommen, was natürlich ein großer Schock für alle war. Es war immer ihr Traum, 2-3 Kinder zu bekommen. Wir suchen nun nach einem Gynäkologen für unerfüllten Kinderwunsch. Vielleicht ist es ja doch noch möglich. Danke!