Bei Bewerbungen, beim Erstellen neuer Social-Media-Accounts oder beim Shoppen von Katzenfutter – in Onlineformularen ist die Angabe des Geschlechts meist zwingend nötig. Menschen außerhalb der Kategorien Frau und Mann sind dabei nur selten vorgesehen, wie
Katta Spiel bemängelt. Interview: Helga Hansen
an.schläge: In Ihrer Forschung untersuchen Sie marginalisierte Perspektiven auf Technik, z. B. wie Geschlechtsidentitäten in Software abgebildet werden. Warum ist die Geschlechtsabfrage in so vielen Formularen Standard?
Katta Spiel: Sie sprechen hier nicht nur meine Forschung, sondern auch meinen Alltag an. Ich verstehe oft gar nicht, warum jemand wissen muss, welches Geschlecht ich habe, nur weil ich gerade Katzenfutter bestelle, Zug fahren oder meine Wohnung anmelden will. Im Zweifelsfall denke ich mir immer, dass es eine Art Gewohnheit ist.
In meinem Informatikstudium habe ich gelernt: Wenn ich eine Person in einer Datenbank modelliere, hat diese Person bestimmte Attribute, und Geschlecht gehört da halt dazu. Geschlecht sei so schön einfach, hieß es, weil der Datentyp dafür ein sogenannter Boolean ist. Der kann nur zwei Werte annehmen und braucht deshalb besonders wenig Speicherplatz. So zieht sich das als impliziter Standard durch, weil angenommen wird, dass Leute diese Information haben wollen – auch wegen einer „korrekten, höflichen“ Anrede im Parteienverkehr. Wobei ich persönlich genau jene limitierende Auswahl, die nicht mein legales Geschlecht berücksichtigt, als inkorrekt und unhöflich empfinde.
Mit der Änderung Ihres Geschlechtseintrags auf „divers“ haben Sie begonnen, Firmen und Institutionen zu kontaktieren, wenn Sie auf deren Seiten Ihr Geschlecht nicht korrekt angeben konnen. Wie sah die beste Reaktion aus?
Es gab unglaublich viele negative Reaktionen. Die Arbeit war emotional und mental extrem anstrengend für mich, es gab mitunter direkte Anfeindungen und Drohungen. Dass viele mein Anschreiben lediglich ignoriert haben, war vergleichsweise noch angenehm.
Die beste Reaktion gab es von einem kleinen Wiener Spielzeugladen, der auf Lego spezialisiert ist: brickstore.at. Nach einer Stunde hat mir der Inhaber zurückgemeldet, dass es ihm sehr leidtut, das übersehen zu haben, und er es schon umgestellt hat. Das war so herrlich unkompliziert, wie ich es mir anfangs auch vorgestellt hatte.
Was bedeutet es für Menschen außerhalb der Binarität, wenn sie die Abfrage nicht richtig beantworten können?
Wenn mal eine Abfrage nicht okay ist, wäre das nicht so tragisch. Aber das ist es ja nicht. Es wird dir wiederholt gesagt: „Du bist nicht Teil der Gesellschaft.“ Du stehst draußen, bist immer irgendwie „anders“, und wenn du überhaupt erwähnt wirst, dann eher als Nachtrag. Wenn das ständig der Fall ist, hat das schon psychische Auswirkungen.
Es kann auch richtig gefährlich werden. Einmal bin ich z. B. mit dem Zug gefahren. Da stand ein Geschlecht auf meinem Ticket und der Schaffner fing lautstark an, mit mir zu diskutieren, ob ich wirklich die Person sei, auf die das Ticket ausgestellt war. Das Geschlecht hat tatsächlich nicht gestimmt, es gab ja nur eine binäre Auswahlmöglichkeit. Ich habe also versucht, ihn wieder runterzubringen und leiser zu reden, um das zu erklären.
Es war mir nicht nur extrem unangenehm, in einem vollen Zug mein Geschlecht rechtfertigen zu müssen, hinter mir saß auch eine Gruppe Nazis, so klassisch mit rasiertem Kopf und Thor-Steinar-Klamotten. Ich habe mir dann schnell einen anderen Platz im Zug gesucht, weil sich das echt nicht mehr sicher angefühlt hat.
Ein anderes Mal hätte ich beinahe einen Flug verpasst, weil mein Eintrag im einen System stimmte und im anderen nicht vorgesehen war. Das Problem ist also nicht das eine Mal, bei dem ich auf einer Website mein Geschlecht nicht angeben kann, es sind die konkreten Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Obwohl es den Eintrag „divers“ inzwischen seit einigen Jahren in Österreich und Deutschland gibt, wird er oft vergessen. Welche Maßnahmen sind nötig, um dies zu ändern?
Was es leider noch länger brauchen wird, ist das kontinuierliche Einfordern. Das ist anstrengend und manchmal auch gefährlich. Denn dadurch, dass ich auf ein Problem aufmerksam gemacht habe, wurde ich oft zum Problem. Aber mehr Sichtbarkeit, insbesondere unaufgeregte Sichtbarkeit, hilft. Die entsteht ganz beiläufig, wenn Internetformulare einfach mal mehrere Optionen haben. Das ist eine kleine Erinnerungshilfe für alle, die sonst kaum Berührungspunkte mit dem Thema haben. Außerdem ist es wichtig, um ein entsprechendes Vokabular etablieren zu können. „Divers“ ist ein Begriff, der für alles offen ist. Selber hätte ich ihn mir nicht ausgesucht, aber er öffnet einen Raum. Und der steht dann Leuten zur Verfügung, die ihn für sich entdecken.
Wann macht es eigentlich Sinn für Plattformen und Institutionen, das Geschlecht abzufragen?
Ich weiß es nicht. Insbesondere, wenn wir von einem modernen Geschlechterverständnis ausgehen, das maßgeblich selbstbestimmt ist, frage ich mich, wer das warum wirklich wissen muss. Ich finde, das ist eine hochpersönliche Information, die strengeren Datenschutzbestimmungen unterliegen sollte. Aber effektiv ist mir bewusst, dass vieles in unserer Gesellschaft zumindest von binären Geschlechtsvorstellungen strukturiert wird.
Wenn es sein muss, dass das Geschlecht abgefragt wird, finde ich es wichtig, mindestens eine nicht-binäre Option anzubieten („inter“, „divers“, „offen“ etc.), die Möglichkeit zu geben, die Angabe zu verweigern, und ein freies Textfeld für jene anzubieten, die sich im angegebenen Angebot nicht wiederfinden. Und es braucht die Möglichkeit, das im Zweifelsfall einfach ändern zu können. Das macht es vom Datentyp schwieriger, aber bildet die Geschlechterrealität eher ab.
Gibt es weitere Beispiele in Software und Technik, bei der Sie sich das Einbinden von nicht-binären Geschlechtsidentitäten wünschen?
Wir haben längst nicht so viel Zeit oder Platz, dass ich das alles aufzählen kann! Letztlich ist alles, bei dem Körper mit reinspielen – sei es nun explizit oder implizit –, von Normvorstellungen geprägt, die sich auf marginalisierte Personen negativ auswirken. Um kurz konkreter zu werden: Warum sind viele Fitnesstracker so binär ausgelegt, dass ich sie nicht benutzen kann? Warum gibt es in vielen Spielen keine Avatare, die so aussehen wie ich? Das betrifft nicht nur nicht-binäre Menschen, sondern auch Menschen mit Behinderungen oder Bevölkerungsgruppen, die rassifiziert werden. Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass Technologien zukünftig anders gestaltet werden, dass diese Tendenzen reflektiert werden und so mehr Möglichkeiten zulassen, die Vielfalt dessen abzubilden, was Menschsein ausmacht.
Katta Spiel forscht an der Technischen Uni Wien an der Schnittstelle von Informatik, Design und Kritischer Theorie und schreibt auf katta.mere.st.
Helga Hansen ist Redakteurin bei einer Technikzeitschrift und verknüpft gern Feminismus mit Technikfragen.
1 Kommentar zu „Gefangen in der Binarität“
Passend zum Beitrag folgender Link: https://www.internetrecht-rostock.de/diskriminierung-anrede-internetshop-gleichbehandlungsgesetz.htm
Gruß Gunnar