Aktuelle Berichte zeigen: Der Umgang mit Fällen sexueller Übergriffe ist in der katholischen Kirche seit Jahrzehnten katastrophal. Weibliche Betroffene sind dabei noch unsichtbarer, weiß Doris Reisinger.
Seit vielen Jahren ist die katholische Kirche mit Missbrauchsfällen in den Schlagzeilen. Seit den 1980ern hat sich wenig getan. Es ist immer dasselbe: Betroffene sprechen, Medien berichten, Kirchenverantwortliche versuchen, mit Floskeln wie „Einzelfall“, „Zuhören“, „Lernkurve“ oder „Reformen“ die Öffentlichkeit zu beruhigen. Erst wenn der Druck sehr groß wird, geben sie Gutachten in Auftrag, um danach erneut von „Lernkurven“ und „Reformen“ zu sprechen: das Ritornello der sogenannten Missbrauchskrise.
Anfangs gelang es der Kirchenleitung noch, das Ganze als US-amerikanisches Problem darzustellen. Mit der Causa Groër Mitte der 1990er wurde das im deutschsprachigen Raum schwieriger. Als dann 2010 Missbrauchsfälle am Canisiuskolleg, in Ettal, in der Mehrerau, in Kremsmünster und in immer mehr anderen Einrichtungen, Klöstern und Pfarren bekannt wurden, wurde endgültig sichtbar, dass die Fälle und der katastrophale kirchliche Umgang damit kein amerikanisches, sondern ein institutionelles Phänomen sind.
Aber bis heute hält das Narrativ eines rein männlichen Phänomens. Täterinnen sind ebenso wenig auf dem Schirm wie weibliche Opfer. Die spezifischen Erfahrungen, Risiken, Perspektiven und Traumata von Frauen werden bis heute weitgehend übersehen: von der katholischen Kirche ebenso wie von Medien und Wissenschaftler*innen, die das Thema bearbeiten. Dabei waren und sind sie und ihre Geschichten die ganze Zeit über präsent.
Frauen wie Barbara Blaine, die in den 1990ern zu einer der wichtigsten Führungsfiguren der US-amerikanischen Betroffenenszene wurde, waren unter den Pionier*innen der Vernetzung und Betroffenenarbeit. Frauen wie Maura O’Donohue, die Hunderte Fälle sexualisierter Gewalt gegen Ordensfrauen dokumentierte, wurden zu wichtigen Aufklärerinnen. Frauen wie Noella de Souza erklären im Globalen Süden öffentlich ihre Solidarität mit betroffenen Frauen und gehen damit ein hohes Risiko ein.
Aber es ist, als gäbe es sie nicht. Sie werden nicht nur von der Kirche und den männlichen Klerikern an ihrer Spitze nicht beachtet. Dabei sind ein Drittel aller minderjährigen Betroffenen Mädchen, rund ein Drittel der befragten Ordensschwestern berichten von sexuellen Traumata, und sexuelle Kontakte zwischen Priestern und Frauen sind oft nur scheinbar einvernehmlich: Priester missbrauchen das Vertrauen und die Notlage von Frauen, die eigentlich Rat und Hilfe suchen. Sie sexualisieren Seelsorgebeziehungen, anstatt zu helfen.
Missbrauchsverläufe sind für Mädchen und Frauen oft anders. Täter framen ihre Taten als „normale“ heterosexuelle Liebesbeziehung. Sie arbeiten mit der Figur der Verführerin (und nutzen dafür biblische Texte). Sexistische und misogyne Dynamiken, die in der katholischen Kirche tief verankert sind, tragen dazu bei, dass gerade weibliche Betroffene nicht ernst genommen werden, ihnen nicht geglaubt wird oder sie selbst beschuldigt und verleumdet werden. Bei Frauen wüsste man eben nie, schrieb ein Kleriker in Köln an seinen Vorgesetzten.
Nicht zuletzt leben betroffene Mädchen und Frauen mit dem Risiko, schwanger zu werden. Die Angst davor, die Scham für die ungewollte Schwangerschaft oder für die (oft vom Täter erzwungene) Abtreibung, ist ganz ihre: in den Augen der Gesellschaft, ihrer Familie und der Kirche. „Just don’t get pregnant because your father will kill you“, sagte eine Mutter in Texas, als ihre zwölfjährige Tochter ihr anvertraute, dass ein Priester sie penetriert hatte. Solange die Empathie mit gewaltbetroffenen Mädchen und Frauen in unseren Gesellschaften nicht größer ist, werden sie sich auch in der Kirche hinten anstellen müssen.
Doris Reisinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der katholisch-theologischen Fakultät der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, forscht u. a. zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche.
2 Kommentare zu „Frauen und Mädchen: Hinten anstellen“
As usual, Doris, you state the problems and realities clearly and powerfully. I totally back what you are saying: my research has also shown your conclusions to be true. Thank you for speaking up.
…ja das kann ich alles nur unterstreichen! Gestern noch, nachdem ich wiederholt eingefordert habe, das der “Eckige Tisch”, der doch für alle Betroffenen DL sprechen wolle, auch die Erwachsenen Betroffenen Frauen, manchmal ja auch erwachsene Männer mit einbeziehen müsse und auch öffentlich erwähnen und da genau so für eintreten müsse, da sagte man mir, dass das so nicht gedacht und auch nicht so gewollt sei. Der Eckige Tisch spreche nur für Betroffenen Kinder, die kleinen Jungen, auch Mädchen werden hier kaum erwähnt. Wie kann das ??? In der Öffentlichkeit wird doch der “Eckige Tisch” als die Dachorganisation aller Betroffenen wahrgenommen. Stellt sich selbst so dar. DA IST DOCH EIN ENORMER WIDERSPRUCH darin?!
Mir scheint das hier sehr deutlich wird, das wir Betroffen Frauen von spirituellem, -geistlichem – sexuellem Missbrauch/Gewalt( erwachsene Betroffene überhaupt ) aufhören müssen zu glauben, das wir überhaupt öffentlich wahrgenommen und gesehen werden, oder gar irgend Jemand sich für uns einsetzt, wenn wie es nicht selber tun, d.h. im konkreten: eine Parallel- Initiative zum “Eckigen Tisch” ins Leben rufen. Seit mindestens 10 Jahren ist es öffentlich kommuniziert durch Frau D. Reisinger. Dennoch werden wir kaum wahrgenommen. Wer möchte denn von uns, das auch hier wieder die Männer über uns bestimmen, wie viel und überhaupt was wir sagen dürfen,Wer empfindet das auch so? MOMO EICHE
P.S. in meiner Zeit der vielen Jahre im Kloster, habe ich es genug erlebt das andere über mich bestimmen, mir sagen was für gut für mich ist, was ich sagen darf und wo ich zu schweigen habe. ” die gehorsame Dienerin zu sein habe”