Feministische Impfgegner*innen gehen in der Pandemie gefährliche Bündnisse mit reaktionären Kräften ein. Eine Analyse von Meret Siemen und Judith Goetz
Rund fünfhundert Personen sammelten sich Anfang letzten Jahres in Berlin zu einem sogenannten „Multikulturellen Frauenmarsch“, um gegen den Faschismus zu trommeln. Dabei war auch die Rede von „natürlicher Immunität“, „Finanzkartellen“ und einem erfundenen Virus, das die Gesellschaft spalte. Das Schweizer Kollektiv „Feministischer Lookdown“, dem auch die feministische Intersektionalitätstheoretikerin Tove Soiland angehört und das sich selbst als „links, feministisch und antirassistisch“ begreift, sammelt indes auf seiner gleichnamigen Website bunte Beiträge zu Care-Notstand, Medienmanipulation und „Profiteuren der Angst“. Darunter Aufrufe, sich nicht impfen zu lassen, und simple Verharmlosungen des Coronavirus.
In Wien wiederum nahm im Jänner 2022 die ehemalige Bundessprecherin der Grünen, Madeleine Petrovic, gemeinsam mit bekannten (rechtsaffinen) Corona-Verharmloser*innen an mehreren Anti-Covid-19-Maßnahmen-Demonstrationen wie z. B. „Gegen Impfzwang und digitale Überwachung“ teil und stimmte dort als Rednerin in den seit zwei Jahren verbreiteten verschwörungsmythischen Tenor ein. Sie teilte die Bühne u. a. mit Andreas Sönnichsen, der zuvor schon Pressekonferenzen mit der FPÖ abgehalten hatte und sich in Bayern bei der Partei „Die Basis“ engagiert, deren Kanzlerkandidat u. a. durch die Rede von einem „KZ für Ungeimpfte“ aufgefallen war. Beworben wurde die Wiener Demonstration auch von Autonomen Feministinnen. Sie taten sich hierzulande auf feministischen E-Mail-Listen und durch ihr Engagement in entsprechend fragwürdigen Kontexten als Maßnahmengegnerinnen und Impfkritikerinnen hervor. Kaum verwunderlich, dass auch sie bei der besagten Demonstration mitmarschierten und Flugblätter verteilten. Haben wir es aktuell also mit einer feministischen Querfront zu tun?
Neues Virus, alte Leier. Die Redakteurin der „Streifzüge“, Maria Wölflingseder, schreibt in einem Sammelband mit dem reißerischen Titel „Herrschaft ohne Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand“, erschienen 2021 im in der Kritik stehenden Promedia Verlag, von einer „kollektiven Amnesie“ der Linken, denen angesichts der Gefahren einer sogenannten Pharmaindustrialisierung „jegliches Verständnis für historische Kontinuität“ fehle. Historische Kontinuität besitzen vor allem die unbehaglichen Überschneidungen ökofeministischer mit verschwörungsmythischer Impfkritik. Wölflingseder ist sich nicht zu schade, von der „Verfolgung“ Ungeimpfter zu sprechen, und spitzt damit ein Motiv zu, das impfkritische Feminist*innen, linke Querfront und Corona-Leugner*innen teilen: die Berufung auf ihre vermeintliche Betroffenheit von Ausgrenzung und Stigmatisierung. Ein, häufig antisemitisch aufgeladenes, Narrativ, das so alt ist wie die Impfkritik – die wiederum so alt ist wie die Impfung selbst.
Viele Thesen der vermeintlich fortschrittlichen Impfkritiker*innen decken sich wortwörtlich mit den schier endlosen Artikelserien einschlägiger Verschwörungsmedien von KenFM über „Rubikon“ bis hin zum rechtsextremen „Compact-Magazin“. So scheinen die Feindbilder „Corona-Diktatur“, „Bill-Gates-Komplott“ oder „Pharmalobby“ den Betreiber*innen von rechten und klar verschwörungsmythischen Infokanälen auch viele Klicks von Feminist*innen zu bescheren.
Friede, Freiheit, Abwehrkräfte. Es besteht wohl feministischer Konsens darüber, dass Misstrauen gegenüber Medizin und Gesundheitssystem grundsätzlich angebracht ist. Dieses Misstrauen ist dem tradierten Androzentrismus in Forschung und medizinischer Wissenschaft geschuldet. Die strukturelle Benachteiligung durch vergeschlechtlichte Wissenschaft und Medizin verursacht zwar wirklich ganz konkretes Leiden – in ihrem Schatten jedoch gedeihen Esoterik und Quacksalberei als Zufluchtsorte jenseits rational-männlicher und vermeintlich künstlicher „Medizin-Technik“. Sie bieten Einfallstore für reaktionäre Ideologien auch in feministischen Erzählungen. Klassische Männerdomänen wurden bereits in den frühen Frauenbewegungen boykottiert, um Platz für Selbstfindung, die Suche nach „weiblicher Identität“ jenseits patriarchaler Zuschreibungen und der menschenfeindlichen Konsequenzen der „profitgetriebenen, technologischen Massenindustrie“ zu schaffen – üblicherweise waren damit Atomkraft, Kriege, Imperialismus und Gentechnologien gemeint. Frieden, Fürsorge und Naturbewahrung lauteten die Grundsätze, die ökofeministische, aber eben auch esoterische Kämpfe miteinander verbanden.
Doch der propagierte Individualismus der aktuellen Impfkritiker*innen birgt in einer ohnehin schon neoliberalen Gesellschaft keine emanzipatorischen Momente. Denn die konkreten Antworten auf die Covid-Pandemie beschränken sich auf die Rücknahme der Maßnahmen und die Rückkehr zu einer idealisierten Normalität, in der jede*r für die eigene Gesundheit selbst verantwortlich ist, was häufig auch mit sozialdarwinistischen Theorien argumentiert wird.
Kollektive feministische Antworten auf die Pandemie, die Verletzbarkeit in den Vordergrund rücken, wären also längst überfällig. Die Impfkritik, etwa der Autonomen Feministinnen, klingt aber nach reflexartiger Opposition, die ihre Handlungen auf „den Staat“ ausrichtet und primär das Gegenteil möchte von dem, was er ge- oder verbietet. Dabei hat auch die feministische Kritik an der Impfkritik eine lange Tradition. So finden sich etwa bereits in der feministischen Berliner Zeitschrift „Schwarze Botin“ in den 1970er-/1980er-Jahren Polemiken, die auf gefährliche Schnittmengen von Narrativen der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung, Grünen und Ökofeministinnen mit völkischen Weiblichkeitsfantasien hinwiesen. Inzwischen gibt es zahlreiche queer-, trans- und cyberfeministische Diskurse, die Vorstellungen von vollständiger Gesundheit und Immunität grundlegend dekonstruieren.
Die „virozentrische“ Linke. Und trotzdem tut sich die liberale bis radikale Linke zu Pandemiezeiten erstaunlich schwer, dieses Problem zu adressieren und selbstkritisch zu bleiben. Da sich bei den wöchentlichen Protesten der Corona-Maßnahmengegner*innen in Österreich rechtsextreme bis rechtsoffen-esoterische Positionen finden, wurden kurzerhand alle Teilnehmer*innen zum Feindbild erklärt. Andererseits musste, wer sich nicht auf die Regierenden verlassen wollte, seit dem Frühjahr 2020 selbst Ideen solidarischer Pandemiebekämpfung aus dem Ärmel schütteln, auf die eigene Gesundheit und die der anderen achten und dabei mit Isolation, Unsicherheiten und Ängsten umgehen.
Die eigenen Privilegien kritisch zu reflektieren, sich um sich selbst und andere zu kümmern und empathisch auf das Leiden der anderen zu blicken, erweist sich dabei als deutlich mühsamer, als mit simplen Schuldzuweisungen in Opposition zu gehen. Viele feministische Kämpfe drehen sich ja um die Sichtbarkeit marginalisierter Positionen – aber niemand hatte damit gerechnet, dass wir einmal für die Anerkennung eines Virus kämpfen müssen. Außerdem könnten wir auch dafür eintreten, dass jede Person aus freien Stücken, unter Abwägung der Interessen aller Mitmenschen, unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper und der ungleich verteilten Versehr- und Verletzbarkeit aller Körper, zu dem informierten Schluss kommen kann, sich impfen zu lassen – aus Rücksicht auf diejenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Unabhängig davon, ob das nun von einer Regierung gefordert wird oder nicht. •
Meret Siemen studiert Philosophie und engagiert sich in feministischen Zusammenhängen in Wien.
Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschaftlerin, Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit, des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus sowie der European Feminist Platform.