Die renommierte Scheidungsanwältin Helene Klaar steht der geplanten Reform des Familienrechts kritisch gegenüber – und legt Frauen die zweite Strophe der Internationalen ans Herz. Andrea Czak, Vorsitzende des Vereins Feministischer Alleinerzieherinnen, hat sie zum Gespräch getroffen.
an.schläge: Die österreichische Regierung plant aktuell eine Novelle des Kindschafts- und Unterhaltsrechts. Sie haben Ihr Jus-Studium noch vor der großen Familienrechtsreform von 1977 abgeschlossen. Wie waren Ehe und Familie zu dieser Zeit gesetzlich geregelt?
Helene Klaar: Wir hatten das patriarchalische Ehe- und Familienrecht aus dem Jahr 1811. Der Vater war berechtigt und verpflichtet, das Kind gesetzlich zu vertreten und sein Vermögen zu verwalten. Pflege und Erziehung oblag der Mutter und das ist grundsätzlich auch nach einer Scheidung so geblieben. Die gesetzliche Vertretung blieb aber beim Vater, wenn dieser keine schwerwiegende Verfehlung begangen hatte. Frauen, die sich keinen Anwalt leisten konnten, mussten damit leben, dass sie für jeden Passantrag und jeden Lehrvertrag ihrer Kinder die Zustimmung des Ex-Ehemanns brauchten. Man hat damals Frauen schlicht nicht zugetraut, z. B. einen Bausparvertrag für ihr Kind abzuschließen, auch wenn die Frau vielleicht bei einer Bank oder Bausparkasse berufstätig war und täglich Kunden beim Abschluss solcher Verträge beraten hat.
Nicht alle Väter haben ihre Entscheidungsgewalt im Sinne ihrer Kinder ausgeübt.
Mir hat einmal eine Juristin von ihrer damaligen Tätigkeit im Lehrlingsreferat der Arbeiterkammer erzählt. Da saß sie tagelang und hat Väter angerufen, deren Kinder einen Lehrvertrag abschließen wollten – meist hat der Vater nicht zugestimmt. Denn dann hätte er immer noch ein bisschen Unterhalt neben der Lehrlingsentschädigung zahlen müssen. Diese Väter wollten, dass das Kind sofort arbeiten geht, damit sie keinen Unterhalt mehr zahlen müssen.
„Es darf nie mehr ein Zurück hinter die Reform geben“, hat Johanna Dohnal später gesagt.
Ich habe immer beobachten können, dass die Alleinerzieherinnen überlastet sind, besonders wenn eine Frau berufstätig ist und sogar mehrere Kinder in ihrem Haushalt betreut. Die in der Früh alle versorgt und in Schulen und Kindergärten ausliefert, dann arbeiten geht, die Kinder wieder einsammelt, mit ihnen einkaufen geht, kocht, die Hausaufgaben überwacht, schaut, dass sich alle waschen und für den nächsten Tag wieder ein frisches Gewand haben. Wenn die Mutter am Abend ins Bett sinkt, hofft sie bloß noch, dass sie um sechs Uhr früh den Wecker hört. Diese Mutter schreibt keine Briefe an Abgeordnete. Die Väter hingegen, die die Kinder alle 14 Tage am Sonntag gesehen haben, die hatten unendlich viel Tagesfreizeit. Die haben sich in Vereinen zusammengerottet und beklagt, dass die Frauen die ganze Macht hätten.
Wenn man nachliest, was die in ihren Positionspapieren schreiben! Sie beklagen die Familienrechtsreform, aber da ist keine Rede von „Wir wollen unsere Kinder waschen, ihre Nase schnäuzen, sie frisieren, für sie kochen und ihr Gewand bügeln! Mich wundert, warum es nicht einen Aufschrei gab, dass diese Männer für alle sprechen durften. Es gab und gibt ja durchaus andere Väter, warum haben die sich vereinnahmen lassen von diesen Typen?
Auch die Frauenorganisationen haben die reale Gefahr ein bisschen verschlafen, die von diesen selbsternannten Väterrechtlern ausgegangen ist, und zu wenig mobilisiert. Man muss Errungenschaften ununterbrochen verteidigen.
Die Familienrechtsreform 1978 im Bereich des Kindschaftsrechts war ein wirklicher Befreiungsakt für die Frauen. Die Reform hat keineswegs vorgesehen, dass Kinder zwangsläufig bei ihren Müttern leben müssen, sondern, dass nach der Scheidung das Kind im Haushalt eines der Elternteile betreut werden soll. Der Elternteil, der das Kind in seinem Haushalt betreute, bekam nach einer Scheidung die gesamte Obsorge mit allen Rechten und Pflichten. Dass dann in mehr als neunzig Prozent die Mütter obsorgeberechtigt waren, empfinde ich als Versagen der Väter und nicht als einen Fehler des Gesetzes.
Sie vertreten Mütter – und Väter – bei Scheidungen vor Gericht. Wie haben Sie die Zeit nach der Reform als Anwältin erlebt?
Ich war im Jahre 1978 dreißig Jahre alt, war seit zwei Jahren selbstständige Rechtsanwältin und eine große Freundin der Emanzipation von Frauen und Männern. Ich war fest davon überzeugt, dass zwanzig Jahre danach, also noch vor der Jahrtausendwende, bei einer Scheidung in etwa gleich viele Kinder bei ihren Vätern leben werden wie bei ihren Müttern. Ich habe mir z. B. vorgestellt, dass doch alle Lehrer die Obsorge für ihre Kinder übernehmen könnten, weil eine Frau, die vielleicht Sekretärin in einem Industriebetrieb ist, mit damals vier oder schon fünf Wochen Urlaub, nie die gleichen Möglichkeiten hat, ein Kind zu betreuen. Zu meiner negativen Überraschung war der Wunsch der Väter, dass Kinder in ihrem Haushalt leben, sehr bescheiden. Ich habe ganz wenig Fälle mit Vätern gehabt, die ihre Kinder in ihrem Haushalt betreuen wollten, und jeden einzelnen Mann, der sich für die Obsorge entschieden hat, habe ich an die Brust genommen und gehätschelt.
Die meisten, die sich verweigert haben, haben tatsächlich berufliche Gründe angeführt. Aber warum lässt sich denn der Beruf von Frauen mit der Kinderbetreuung vereinbaren? Weil die Frauen beruflich zurückstecken, damit sie sich kümmern können. Solche Opfer bringen Frauen eben selbstverständlich und einem Mann ist das wahrscheinlich nicht zuzumuten. Daher haben Männer bessere Versicherungsverläufe, höhere Pensionen und die Frauen landen in der Altersarmut.
Viele der Forderungen der Aktion „Recht des Kindes auf beide Elternteile“, eine Initiative von Väterrechtlern in den Achtzigern, wurden 2013 umgesetzt – jedoch nicht alle.
Es war nicht erst das KindNamRÄG 2013 – der eigentliche Sündenfall war die Reform aus dem Jahr 2001 unter Schwarz-Blau. Die Kinder haben nach wie vor bei den Müttern gelebt, wurden von ihnen betreut, aber die rechtliche Vertretung durfte auch der Vater in gleicher Weise haben, sofern die Mutter zugestimmt hat. Und natürlich haben die Mütter danach jedes finanzielle Zugeständnis gemacht, wenn der Mann dadurch bereit war, auf die Obsorge zu verzichten. Im Jahr 2013 hieß es dann, dass die Mütter immer noch viel zu viel Macht hätten, weil sie sich gegen die Obsorge beider Eltern aussprechen konnten.
Seither sind es die Gerichte, die entscheiden, ob beide Elternteile die Obsorge bekommen. Es waren die Psycholog:innen, die mit dem Totschlagargument „Wenn der Vater keine Rechte hat, verliert er das Interesse an dem Kind und wenn der Vater das Interesse verliert, dann ist das ganz furchtbar schädlich für das Kind“ argumentiert haben. Und daher ist die Obsorge beider Eltern vermeintlich immer im Interesse des Kindes – außer der Vater frühstückt kleine Kinder oder ist gewalttätig oder hat ein Kind sexuell missbraucht. Gewalttätigkeit gegen die Mutter ist letztlich zu exkulpieren.
Sie waren in den Arbeitsgruppen zum neuen Kindschafts- und Unterhaltsrecht des Justizministeriums eingebunden. Wird die Novelle Verbesserungen für Kinder und Mütter bringen?
Mir gefällt an der Reform sehr wenig. Zu sagen, eine elterliche Verantwortung, die kann man nicht loswerden, die kann einem nicht entzogen werden, weil die hat man immer, das gefällt mir natürlich. Aber das ändert nichts daran, dass nicht alle Elternteile ihrer elterlichen Verantwortung gerecht werden. Also muss der Elternteil, der sich seinen Aufgaben stellt und das Kind betreut, vom Gesetzgeber unterstützt werden. Oft sind gerade Fragen der Kindererziehung der Grund für Zerwürfnisse und Trennungen. Dass dann den Eltern nach einer Scheidung etwas gelingen soll, was ihnen bei aufrechter Ehe nicht gelungen ist, diese idealistische Erwartung darf der Gesetzgeber eigentlich nicht pflegen. Zu sagen: „Trennt die Elternebene von der Paarebene“ ist ein frommer Wunsch, aber unrealistisch.
Es wird ja stolz als ein Erfolg der Reform 2013 verkauft, dass die gemeinsame Obsorge sich bestens bewährt, weil so wenig Folgestreitigkeiten entstehen. Die entstehen deshalb nicht, weil eine Frau, die einmal dieses langwierige und demütigende Verfahren erlebt hat, nie wieder zu Gericht geht.
Noch ärger als das geplante Kindschaftsrecht sind aber die vorgesehenen Regelungen zum Kindesunterhalt. Es wurden jetzt die Regelbedarfssätze erhöht aufgrund der letzten Kinderkostenanalyse. Das ist großartig. Aber was nicht dazu gesagt wird, ist, dass kein Vater mehr Unterhalt in voller Höhe zahlen wird. Den muss ja nur jemand zahlen, der nicht einmal ein Drittel betreut. Und nach Wunsch des Kindschaftsrechts soll ja jeder Vater mindestens 35 Prozent betreuen.
Die letzten Deppen, die noch vollen Unterhalt zahlen werden müssen, sind Schichtarbeiter oder LKW-Fernfahrer, denn bei denen sehe ich beim besten Willen nicht, wie die auch nur zu einem Drittel ihre Kinder betreuen sollen. Das neue Gesetz wird also eine schöne Handlungsanleitung für glückliche Ehen der gehobenen Stände.
Die Novelle hat jenseits von dem, worüber wir reden, wie z. B. die Verkürzung der Unterhaltspflicht, noch sehr viele unsympathische Details, die man erst beim zweiten oder dritten Mal lesen wahrnimmt. Ich zitiere immer sehr gerne die zweite Strophe der Internationale, die da sagt: „Es rettet euch kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.“ Es wäre Zeit für eine entschiedene Frauenbewegung. Zeit, dass die Frauen aufwachen und erkennen, dass niemand für sie eintritt, wenn sie es nicht selbst tun. •
Andrea Czak ist Gründerin und geschäftsführende Obfrau des Vereins Feministische Alleinerzieherinnen – FEM.A.