Schauspielerin Mavie Hörbiger im Interview über Elfriede Jelineks Stück „Burgtheater“, das sich mit der Geschichte ihrer Familie auseinandersetzt, ihren neuen feministischen Film und eigenartige Rollenangebote. Von YOLA PELLICCIA und LEA SUSEMICHEL
an.schläge: Elfriede Jelineks Theaterstück „Burgtheater“, das sich mit Ihren Großeltern Attila Hörbiger und Paula Wessely sowie Paul Hörbiger beschäftigt, hatte mehr als vierzig Jahre nach seiner Entstehung kürzlich Uraufführung am Burgtheater. In einem Interview sagten Sie, dass Sie zwar Bauchweh hatten, an der Inszenierung mitzuwirken, Sie so aber das Narrativ kontrollieren könnten. Welche Geschichte wollen Sie denn gerne erzählen?
Damit meine ich nicht nur, was ich erzähle, sondern wie die ganze Geschichte erzählt wird. Ich konnte an einigen Stellen sagen: „Das geht zu weit“ – oder „Hier kann man noch tiefer reingehen.“ Attila und Paula haben ja in diesem furchtbaren NS-Propagandafilm „Heimkehr“, der wirklich seinesgleichen sucht, mitgespielt. Darin passiert eine perfide Umkehrung der historischen Tatsachen: Deutsche als Opfer in einem polnischen „KZ“, die angeblich nur friedlich leben wollen – und das kurz vor dem Einmarsch in Polen. Diese Form der Propaganda ist erschreckend effektiv.
Meinen Großvater Paul Hörbiger kennt man vor allem durch lustige Unterhaltungsfilme wie „Hallo Dienstmann“, die ebenfalls während des Dritten Reichs entstanden. Zwar ohne antisemitische Inhalte, aber trotzdem Teil desselben Systems. Der Unterschied liegt eher in der Wirkung: Das eine ist das Aufputschmittel, das andere wie Valium – eine vorgespielte heile Welt.
Sie haben mit dem Zwang gehadert, sich öffentlich mit Ihrer Familiengeschichte auseinandersetzen zu müssen. Dennoch haben Sie es immer wieder getan. Das Ensemble des Stücks hat sich öffentlich gegen Kickl ausgesprochen, Sie persönlich waren Teil der Initiative #ActOut, die sich für die Gleichstellung von queeren Menschen einsetzt. Wieso ist Ihnen das ein Anliegen?
Ich sehe es als Teil meiner Aufgabe – vielleicht sogar als meine Pflicht – meine Stimme zu nutzen, weil mir Menschen zuhören. Für mich gehört das zum Beruf der Schauspielerin: Themen anzusprechen, die mir wichtig sind, und Dinge zu unterstützen, hinter denen ich stehe. Ich bin dankbar, dass ich das darf.
Ihr letzter Film „Die geschützten Männer“ handelt von einer feministischen Revolution, und er zeigt auch, dass es ohne eine fundamentale Änderung gesellschaftlicher, auch kapitalistischer, Verhältnisse nicht gehen wird. Würden Sie das unterschreiben?
Der Film zeigt aber auch, dass es schief gehen kann. Den Begriff Fundamentalismus finde ich persönlich schwierig, aber natürlich wissen wir alle, dass ein Wandel notwendig ist. Ich glaube, jede Frau spürt, dass tiefgreifende Veränderungen anstehen – und auch dringend gebraucht werden. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich viele dieser Entwicklungen wohl nicht mehr vollständig miterleben werde. Aber hoffentlich meine Tochter. Was mir Hoffnung gibt, ist die junge Generation. Ich bin voller Bewunderung für sie, sie sind reflektierter, geradliniger und kämpft mit einer Entschlossenheit, die wir in diesem Alter oft nicht hatten.
Welche Impulse würden Sie mit dem Film gerne setzen?
Was mir an dem Film besonders wichtig ist: Man kann auch lachen. Trotz der ernsten Themen ist es eine Satire – und das hat etwas Befreiendes. Der Film ist auf eine wunderbare Weise verrückt. Meine eigene Rolle ist dabei eine besondere Herausforderung, denn ich spiele eher die Gegenseite – den „Bösewicht“, wenn man so will. Was ich aber besonders spannend finde, sind die unterschiedlichen Figuren und ihre Herangehensweisen. Da ist z. B. eine ältere Politikerin, die fast etwas Donna-Haraway-artiges hat und versucht, ökologische Aspekte in ihre Politik einzubinden. Dann gibt es die Hauptfigur, die mit ihrem Partner ein alternatives Lebensmodell lebt. Diese Vielfalt zeigt, wie unterschiedlich Frauen denken, handeln und Zukunft gestalten können.
Im Film werden die Machtverhältnisse ziemlich auf den Kopf gestellt. Wie erleben Sie aktuell Machtverhältnisse in der Filmbranche und hat #MeToo dort etwas verändert?
Ich arbeite vor allem in Österreich und hauptsächlich am Theater. Dort beginnen sich die Dinge langsam zu verändern – sehr langsam. Noch immer gibt es meist eine Person, oft ein Mann, der die volle Kontrolle hat. Aber es tut sich etwas. Vor allem, wenn man auf Menschen trifft, mit denen man wirklich ins Gespräch kommt – und wenn der Zusammenhalt unter Schauspielerinnen wächst. Gerade am Theater spüre ich, dass dieser Zusammenhalt stärker geworden ist. Mir ist es wichtig, besonders auf die jüngere Generation zu achten. Ich möchte, dass sich junge Frauen sicher fühlen. Wenn jemand (noch) nicht in der Lage ist, Nein zu sagen, will ich da sein und für sie dieses Nein aussprechen können. Es geht nicht schnell, aber es geht in die richtige Richtung. Und das macht Hoffnung.
Aber es formiert sich auch Widerstand und wir erleben einen Backlash, siehe etwa den Aufschrei wegen des Schuldspruchs von Gérard Depardieu.
Mit dem Begriff Backlash hadere ich etwas – denn vieles von dem, was heute kritisiert wird, war doch immer schon da. Die Machtverhältnisse, das Schweigen, die Strukturen. Was sich geändert hat, ist, dass wir heute offener darüber sprechen. Bewegungen wie #MeToo haben Mut gemacht, Dinge sichtbar zu machen und sich zu solidarisieren.
Während sich gesellschaftlich viel in Bewegung setzt, erleben wir aber tatsächlich ein Wiedererstarken von Nationalismus und rechtem Gedankengut – und da ist die Rolle der Frau meist klar festgelegt: zurück an den Herd. Das hängt für mich direkt zusammen. Mit dieser politischen Entwicklung wächst auch der Druck auf Frauen, sich wieder traditionellen Rollenbildern unterzuordnen.
Sie sagen im Interviewpodcast „Film des Lebens“, dass es mit 45 als Frau in der Filmbranche schwieriger wird, weil „die Angebote weniger und die Rollen immer eigenartiger werden“.
Ich soll Mütter spielen von Schauspielerinnen, die gerade mal 30 sind – total absurd! Es gibt einfach kaum Rollen für Frauen zwischen 40 und 50. Deren Geschichten interessieren offenbar niemanden. Für dieses Jahr habe ich noch kein einziges Drehangebot. Und dann hat sich die Branche so verändert – Castings sind jetzt E-Castings. Ich muss mich selbst filmen, technisch bin ich da aber echt schlecht. Wahrscheinlich habe ich schon Videos geschickt, bei denen die Leute denken: Was macht die da im Dunkeln, total überschminkt, die lachen sich wahrscheinlich tot über mich! Ich frage mich, wie es älteren Kolleginnen damit geht.
Am Theater ist es nicht besser mit den Rollen für ältere Frauen, oder?
Der Theaterkanon ist aus der Sicht eines weißen jungen Mannes entstanden. Für Frauen gibt’s da oft nur die Mutter von Hamlet oder die Amme. Gretchen, Ophelia, Solveig – die werden einem als tolle Rollen verkauft. Aber wenn man genau hinschaut, sind die meisten Frauenfiguren ziemlich beschissen. Sie opfern sich, bleiben sitzen, lieben sich kaputt. Da macht die Amme mehr Spaß – aber man will ja nicht nur die Amme spielen. Zum Glück gibt’s Autorinnen wie Elfriede Jelinek, eine mahnende, starke Stimme. Aber wie man sie hier behandelt hat – gerade der Skandal rund ums Burgtheater – das war unter aller Sau, so etwas wäre einem Mann niemals passiert. Die Geschichte offenbart viel darüber, wie dieses Land mit klugen, unbequemen Frauen umgeht. Jelinek ist eine Göttin, ich bin so froh, dass wir sie in Österreich haben.