Die Schriftstellerin Mareike Fallwickl hat für die Schauspielerin Stefanie Reinsperger ein Stück über Sisi geschrieben. Lea Susemichel hat die beiden bei Probenstart zum Interview am Burgtheater getroffen, wo „Elisabeth!“ unter der Regie von Fritzi Wartenberg im April uraufgeführt wird.
an.schläge: Im Stück gibt es den Satz, dass Sisi nur als „Cash Cow“ funktionieren kann, wenn sie je nach Zeitgeist immer wieder neu erzählt wird. Und deswegen gäbe es jetzt auch eine Neuerzählung von Sisi als feministischer Galionsfigur. Tatsächlich war sie ja eigentlich Antifeministin, es gibt Statements von ihr, wonach Frauen sich nicht in politische Geschäfte einmischen sollten und sie selbst sich nicht für Politik interessiert. Wie wollen Sie die Figur erzählen?
Stefanie Reinsperger: Aus der Sicht einer Schauspielerin, die eine Figur spielt, wäre meine Antwort: Es gibt nicht nur zwei Seiten, es gibt sehr, sehr viele. Wenn ich an Rollen rangehe, versuche ich es mir, aber auch einem Publikum, nicht einfach zu machen. Elisabeth ist eine historische Figur, zu der alle eine Meinung haben. Für mich besteht der Kern des Stücks darin, dass Mareike sagt: Es gibt so viel, was auf diese geschichtliche Figur schon draufgepappt wurde, wir versuchen das jetzt eher abzutragen.
Fallwickl: Wir wollen sie eher aus Schubladen rausholen, als sie da jetzt wieder reinzustecken.
Sie beide haben Bücher über die Wut und das Wütendsein geschrieben. Welche Rolle spielt Wut in diesem Stück?
Fallwickl: Was hat eigentlich nicht mit Wut zu tun? Ich glaube, wenn ich schreibe, spielt Wut immer eine Rolle. Wut ist ein völlig legitimer Grund, etwas zu tun als Frau im Patriarchat, oder?
Reinsperger: Absolut. Für mich hat alles zumindest immer mit Spielwut zu tun. Als Schauspielerin ist dieses Auswüten auf einer Bühne mit einem fantastischen Text für mich immer ein toller Spielantrieb.
Ist Elisabeth eine wütende Figur?
Fallwickl: Ist sie wütend? Ja. Aber sie ist auch traurig und enttäuscht, alles. Ein Anliegen des Textes ist sicher, sie einfach menschlich zu zeigen. Man darf auch rausgehen nach diesem Theaterabend und anfangen, das zu erforschen. Was hat das in mir ausgelöst und warum?
Reinsperger: Wir proben ja erst seit einer Woche, da machst du etwas heute so und morgen so. Genauso, wie es unendlich viele Möglichkeiten gibt, sich dieser Figur textlich zu nähern, gibt es unendlich viele Möglichkeiten, etwas zu spielen. Diese Suche – sie ist ja das Tolle am Proben! Und das Tolle am Theater ist, dass es Fragen aufwirft und keine Antworten liefert, ich bin ja auch nicht gescheiter als irgendwer da im Publikum. Ich will vielmehr alle Menschen dazu ermutigen: Das, was du im Theater siehst und spürst und erfährst, das ist wahr! Eine ganz falsche Erwartung ans Theater ist: Ihr müsst auf alles Antworten haben und Lösungen anbieten.
Es gibt von Liv Strömquist die Graphic Novel „Im Spiegelsaal“, in der sie darlegt, dass Sisi verfolgt, regelrecht „tyrannisiert vom eigenen Bild“ war, von diesem ikonischen Bild mit dem Diadem im Haar, das wir alle kennen. Strömquist zeigt, wie rigide ihr Schönheitsregiment war, das quälende Prozedere mit den langen Haaren, die zur Gewichtsentlastung angebunden wurden, ihre Sportsucht, im Stück ist von „Schönheitssucht“ die Rede. Dieser Kampf gegen den eigenen Körper verhindert den Kampf gegen das Patriarchat: Lässt sich das auch für die Gegenwart noch so sagen?
Fallwickl: Ja, genau. Das Stück ist ein Versuch, diesen Blick auf sie zurückzuwerfen. Die ganze Zeit schreiben wir und drehen Filme über sie, machen sie auch gerne ein bisschen lächerlich mit ihrem Schlankheitswahn und dem Sportwahn und so weiter. Jetzt soll sie sich auch einmal hinstellen dürfen und das zurückwerfen und fragen: Und was ist mit euch? In welcher Form ist das denn heute irgendwie anders oder besser?
Stefanie Reinsperger, Sie sind immer wieder öffentlich gegen Bodyshaming und Gewichtsdiskriminierung aufgetreten. Hat Sie die Figur auch deswegen interessiert, weil es bei Elisabeth so stark um den Körper und seine Disziplinierung ging?
Reinsperger: Ich bin in allererster Linie Schauspielerin und freue mich, mich darin auch zu verlieren. Aber natürlich gibt es Themen oder Passagen, die sehr nah an einem dran sind, das Thema gehört dazu. Aber ich war selber überrascht beim Lesen, dass es auch ganz andere Themen sind, die mir nahegehen, man verändert sich ja auch, wird älter, blickt anders auf die Dinge.
Sehr selten wird ja die politische Wirksamkeit von Kunst so schön deutlich, wie bei dem Fall eines Salzburger Landespolitikers, der nach der Lektüre von „Die Wut, die bleibt“ tatsächlich seine Karriere beendet hat, um sich mehr um sein Kind kümmern zu können. Bei Ihnen beiden hat Ihre Arbeit immer auch mit gesellschaftspolitischem Engagement zu tun, also Dinge anstoßen und verändern zu wollen, oder?
Reinsperger: Ja, ohne den Glauben, dass Theater eine kathartische Wirkung hat, könnte ich gar nicht da rausgehen. Das ist für mich der Ur-Antrieb beim Theatermachen, um etwas laut zu machen, etwas darstellen und sich in den Dienst eines Themas, einer Figur, einer Sache zu stellen, eben mit dem Wesen, dem Körper und Mensch, der man so ist.
Fallwickl: Ich werde in Interviews oft gefragt, warum ich politische Literatur schreibe, warum ich es mir so schwer mache und den Lesenden auch. Erstens finde ich, das spricht allen ab, dass sie mündige, gesellschaftskritische Menschen sind. Es stimmt ja nicht, dass die Leute sich nicht für die eigenen Lebensumstände interessieren, weil die eh nur am Handy scrollen und Netflix schauen wollen. Sie sind da, sie hören zu und sie füllen alle unsere Säle.
Und ich finde es auch scheinheilig, dass bei allen, die was verändern wollen, alles sofort politisiert wird. Dabei ist jede patriarchale Erzählung genauso politisch! Die tut nichts anderes, als die gängigen Machtstrukturen zu zementieren in einer ewigen Reproduktion dieser Erzählmuster.
Es gibt im Stück Parallelsetzungen mit historischen Figuren und Personen, Rosa Parks und Gisèle Pelicot kommen z. B. vor. Die Analogie wird dabei immer über den Körper vollzogen, über „die liliengleichen Hände“, die Rosa Parks z. B. nicht hatte.
Fallwickl: Diese Parallelsetzungen zeigen: Es hat sich nie geändert. Es war immer dasselbe, egal wo, egal in welchem Jahrhundert, egal welche Frau. Ich will den Blick weiten, sodass es nicht nur dieser Spot auf Elisabeth ist, sondern sie sagen kann: Ich bin die eine Frau, die ihr dauernd anschaut, aber ich bin eigentlich alle Frauen und alle Frauen sind ich.
Es geht dabei nicht nur ums Körperliche, sondern auch darum, die Muse sein zu müssen, während die Männer die Genies sind, die über Jahrhunderte Reichtum, Erfolg und Ruhm auf sich versammeln, während es ja – ganz egal, in welchem Bereich, von Wissenschaft über Kunst bis hin zur Literatur – oft genug Frauen waren, die Ideen, Entdeckungen usw. geliefert haben. Daraus erwächst ja auch eine Wut hoffentlich.
Reinsperger: Ja, darum geht es im Kern, dass sie zurückblickt. Und vor allem ist das eine Elisabeth, die seit 127 Jahren verstorben ist und mit diesem Blick auf die Welt schaut. Die sagt: Ihr seid so dran gewöhnt, mich anzuschauen – heute schaue ich mal zurück.
Stefanie Reinsperger ist eine österreichische Film- und Theaterschauspielerin. Sie gehörte dem Berliner Ensemble an, kehrte 2024 aber ans Wiener Burgtheater zurück. 2022 veröffentlichte sie ihr erstes Buch „Ganz schön wütend“.
Mareike Fallwickl ist eine österreichische Autorin, deren 2022 erschienener Roman „Die Wut, die bleibt“ bereits als Theaterstück adaptiert wurde. Zuletzt von ihr erschienen: „Und alle so still“.