Gemeinsames Essen kann die Welt besser machen. Nicht nur deshalb, weil Revolutionen mitunter in der Küche oder am Esstisch beginnen. Von LEA SUSEMICHEL
Kochen ist ein Sinnbild dafür, dass wir mit unseren eigenen Händen etwas schaffen können. „Dass aus Eiern, Zucker, Milch und Mehl tatsächlich ein Kuchen wird, zeigt uns, dass Veränderung möglich ist und wir sie herbeiführen können“, schreibt die populäre US-Kochbuchautorin Julia Turshen in ihrem neuen Buch „Feed the Resistance: Recipes + Ideas for Getting Involved“. Manchmal brauche es in politisch hoffnungslosen Zeiten dringend zumindest solch kleine Erfolgserlebnisse und Glücksmomente.
Persistence-Biscuits. Die Idee zu der schönen Rezeptsammlung, die nicht nur die Zutatenliste für griechischen Kichererbsensalat und „Persistence“-Biscuits enthält, sondern auch Widerstandstipps wie „10 Dinge, die Du in weniger als 10 Minuten tun kannst“, kam ihr während der Formierung der Protestbewegungen unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps. Denn Turshen hat während dieser Zeit buchstäblich getan, was ihr Buchtitel verheißt: Sie hat den Widerstand genährt. Sie hat gekocht, wenn AktivistInnen sich trafen. Und sie hat damit nicht nur die Bekochten glücklich und zufrieden gemacht, auch für sie selbst war diese Aufgabe befriedigend und beglückend. Denn sie habe ihr bewusst gemacht, wie viel Macht Essen hat. Nicht nur liefert es der Bewegung im wahrsten Sinne neue Energie. Das Thema Essen rühre auch an die existenziellen Fragen nach Versorgung, nach einem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und gerechter Verteilung. Das Bedürfnis zu essen verbinde zudem ausnahmslos alle Menschen miteinander, es sei „die demokratischste Sache der Welt“, so Turshen.
Gemeinsam das Brot brechen. Eine ähnliche Liebesbeziehung zum Essen hat auch Alicia Garza, die Mitbegründerin der Black-Lives-Matter-Bewegung, die nach dem Freispruch im Fall des von einem Wachmann getöteten Trayvon Martin 2013 den inzwischen berühmten Facebook-Eintrag schrieb: „Black people. I love you. I love us. We matter. Our lives matter, Black lives matter.“
Neben der politischen Arbeit war das Kochen immer eine ihrer großen Leidenschaften. Und wenn Garza am Herd steht, sind ihre Türen für FreundInnen und MitstreiterInnen weit offen. In der Küche sprechen sie dann beim Zubereiten von „Creamed Corn“, einem Familienrezept von Garza, über ihre politischen Ideen und Ziele – oder eben danach, beim gemeinsamen Essen. „Genährt zu werden scheint etwas an unserer Biochemie zu ändern“, wird sie von der „Washington Post“ zitiert. „Wenn ich ein schweres Thema mit jemandem besprechen muss, tue ich das lieber beim Essen.“ Bevor sie im Team eine neue Aufgabe angehen, gebe es deshalb immer eine gemeinsame Mahlzeit: „Wir brechen das Brot gemeinsam.“
Breakfast & Busboykott. Garza reiht sich damit in eine Black-Liberation-Tradition ein. So unterstützte auch schon die Aktivistin Georgia Gilmore den durch Rosa Parks initiierten Busboykott in Montgomery, indem sie bei den großen Versammlungen erfolgreich den Verkauf von selbst gekochtem Essen organisierte, um so Mittel für die Widerstandsbewegung zu lukrieren. Damit inspirierte sie wiederum andere.
Die Black Panther Party versorgte mit ihrem „Free Breakfast for School Children Program“ jeden Morgen an die 10.000 Kinder in vielen Städten mit einem Frühstück, die sonst hungrig in die Schule gegangen wären. Das kollektive Mahl war nicht nur eine konkrete Hilfsmaßnahme gegen die rassistische Ungleichheit in den USA und das konkrete Elend, das sie für viele AfroamerikanerInnen mit sich brachte. Das Breakfast Program wurde zugleich zu einer ungeheuer erfolgreichen Aktion, um in der Black Community für die eigenen politischen Überzeugungen zu werben.
Revolution am Kochtopf. Es sind auch heute noch vor allem Frauen, die in vielen verarmten Barrios lateinamerikanischer Megacities solche kollektiven Versorgungsstrukturen organisieren. Was zunächst eine unausweichliche Überlebensstrategie war, entwickelt sich oft zu gut funktionierenden Formen von Gemeinschaft, die wegweisend für eine solidarische Gesellschaft insgesamt sein können, wie der Journalist Raúl Zibechi an vielen Beispielen zeigt. Auch Silvia Federici, Professorin für politische Philosophie, widmet sich solchen solidarischen Strukturen, bei denen Frauen eines Stadtteils bspw. gemeinsam einkaufen gehen und in großen Gruppen gemeinsam kochen. Aus feministischer Perspektive ist dabei entscheidend, dass es sich nicht einfach um die ungebrochene Fortführung weiblicher Reproduktionsarbeit handelt. Die „Isolation als Kennzeichen der Hausarbeit wurde durchbrochen und eine Kultur des Widerstands entstand“, so Federici.
Wie viel Revolution und Kochtopf miteinander zu tun haben können, zeigt auch das Buch „Die Rote Köchin“, das Geschichte und Rezepte von Hannah enthält, die in den 1920ern in Weimar ein Gasthaus betrieb, in dem sie ihre Gäste regelrecht „einkochen“ wollte für die sozialistische Sache. Oder die Aufzeichnungen von „Durrutis Köchin“, das Tagebuch einer jungen Kämpferin im spanischen Bürgerkrieg, deren alltäglicher politischer Kampf auch das Organisieren von Lebensmitteln und das Kochen für die Kolonne umfasste.
Volxküche. Auch die in der linken Szene bis heute fest etablierte „Volxküche“ verbindet Versorgung mit Politisierung. Als Gegenstück zur christlichen „Armenspeisung“, wo es zur Suppe den kirchlichen Segen dazugab, will sie für alle erschwingliche Mahlzeiten bieten, bei deren gemeinsamem Verzehr nicht nur über Politik gesprochen werden darf, sondern auch gleich Politik gemacht werden kann.
Esstische, resümiert entsprechend auch die Kochbuchautorin Turshen, dienen nicht nur der Nahrungsaufnahme. „Sie sind auch sichere und vertraute Orte, um sich zu versammeln, zu verbinden, zu organisieren, zu planen und sich zu erholen. Essen ändert nicht nur das Gefühl in einem Raum, es ändert auch das Verhalten. Denn wenn wir uns sicher und wohlfühlen, sind wir frei, um unangenehme, aber dringend notwendige Gespräche miteinander zu führen.“