1995 fand die vierte Weltfrauenkonferenz statt – und brachte bahnbrechende Erfolge. Seither hat es keine mehr gegeben. 25 Jahre später ist die Angst vor einem globalen Backlash groß. Von ALEKSANDRA KOLODZIEJCZYK
Die Erwartungen an die vierte und bislang letzte UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 waren groß. Ging es doch um nichts weniger als darum, die Staaten zu konkreten Maßnahmen zu verpflichten, mit denen strukturell verankerte Benachteiligungen von Frauen beseitigt werden sollten. In die Geschichte ging sie als größte und für die weltweiten Frauenrechtsbewegungen erfolgreichste Weltfrauenkonferenz ein. 17.000 Menschen, darunter 6000 Delegierte aus 189 Ländern, nahmen an ihr teil. 30.000 Aktivist_innen aus aller Welt beteiligten sich am parallel durchgeführten Forum der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit seinen 4000 Veranstaltungen und Aktionen. Am Ende wurde das bislang fortschrittlichste und umfangreichste Maßnahmenpaket für die weltweite Verwirklichung der Frauenrechte angenommen.
Ausgerechnet in China die Rechte von Frauen voranbringen, dem Land der staatlich verordneten Ein-Kind-Politik, mit Zwangssterilisationen von Frauen und erzwungenen Schwangerschaftsabbrüchen? Als die Wahl auf Peking als Veranstaltungsort für die vierte Weltfrauenkonferenz fiel, löste das allgemein Verwunderung, aber nur wenig laute Proteste aus. China wollte mit der Weltfrauenkonferenz seine angeschlagene Reputation nach dem 1989 verübten Tian’anmen-Massaker verbessern. Das Land bekam den Zuschlag, da bislang keine Weltfrauenkonferenz in Asien stattgefunden hatte.
Druck von unten. 1995 war ein Momentum der weltweiten Frauenrechtsbewegungen. Als Sprachrohr von Frauen an der Basis hatten sie ihre Möglichkeiten ausgebaut, auf die Regierungen einzuwirken. Obwohl das NGO-Forum von der chinesischen Regierung von Peking ins fünfzig Kilometer entfernte Huairou verlegt worden war, standen seine Teilnehmer_ innen – Frauenrechtsaktivist_innen aus allen Kontinenten – im Fokus des medialen Interesses. Die von dort ausgehenden Impulse hatten erheblichen Einfluss auf die in Peking tagende Regierungskonferenz. So wurden die Diskriminierungen und die Rechte von Mädchen auf Druck von afrikanischen NGOs erstmals zu einem Schwerpunktthema der Weltfrauenkonferenz und fanden Eingang in die Peking-Aktionsplattform. 1995 war auch der Gipfel des politischen und moralischen Drucks auf die UN-Staatengemeinschaft erreicht. Die vierte Weltfrauenkonferenz baute auf den errungenen Bekenntnissen der Weltfrauenkonferenzen in Mexiko (1975), Kopenhagen (1980) und Nairobi (1985) sowie anderer großer UN-Konferenzen wie der Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo auf. Die Forderungen der Frauenrechtsbewegungen nach Gleichstellungsmaßnahmen für Frauen und Mädchen konnten nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Die Delegierten der 189 UN-Mitgliedstaaten feilschten dennoch bis zuletzt um einzelne Absätze und Formulierungen des Abschlussdokuments, das konkrete und wirksame Maßnahmen zur Verwirklichung der Frauenrechte beinhalten sollte.
Frauen haben Menschenrechte. An hart und kontrovers debattierten Themen wurden die Bruchlinien zwischen den Staaten und ihren Auffassungen von Frauenrechten erkennbar. Einige ideologisch umkämpfte Bereiche umfassten Erbrechte von Mädchen, gleichgeschlechtliche Sexualität, Schwangerschaftsabbruch und Sexualaufklärung. Am Begriff „sexuelle Orientierung“ entzündete sich die Diskussion um die Rechte von homosexuellen Frauen. Eine kleine, aber lautstarke Gruppe von konservativ- islamischen und konservativ-katholischen Staaten einschließlich des Vatikans lehnten den Begriff ab, da sie die Legitimierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen ablehnten. Bis zuletzt blieb eine Schlüsselfrage der Konferenz, ob Frauen „Menschenrechte“, „universelle Menschenrechte“ oder „universell akzeptierte Menschenrechte“ haben. Was auf den ersten Blick wie reine Haarspalterei wirkt, war ein Angriff auf die Gültigkeit von Frauenrechten. Regierungen wie der Iran wollten eine möglichst abgeschwächte Form durchsetzen. Die Menschenrechte von Frauen sollten unter dem Vorwand kultureller und religiöser Traditionen eingeschränkt werden. Eine Verständigung wurde schließlich durch einen Handel erzielt. Progressivere Länder verzichteten auf die Erwähnung von „sexuellen Rechten“ und „sexueller Orientierung“ im Abschlussdokument. Als Gegenleistung wurde die Menschenrechtsrelativierung gestrichen und Frauen Menschenrechte zugebilligt. Der Begriff „sexuelle Orientierung“ kam zwar nicht vor, doch wurde den Frauen zum ersten Mal das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Sexualität zugestanden, was implizit auch das Recht auf gleichgeschlechtliche Sexualität miteinschließt.
Bahnbrechend. Am 15. September 1995 einigten sich schließlich die Delegierten der 189 Staaten nach einem nervenaufreibenden Verhandlungsprozess. Sie beschlossen die Peking-Deklaration und -Aktionsplattform. Die 150-seitige Aktionsplattform beinhaltet umfassende Verpflichtungen und Maßnahmen zur Umsetzung von Frauenrechten in zwölf Themenbereichen. Was 1995 als müde Lippenbekenntnisse, Minimalkonsens bis hin zu revolutionär bezeichnet wurde, gilt heute als das umfangreichste und zugleich fortschrittlichste UNO-Dokument für die Verwirklichung von Frauenrechten. Als Benchmark ist es ein wichtiger Referenzrahmen für Frauenrechtsaktivist_ innen sowie internationale und nationale Geschlechtergleichstellungspolitiken. Die Peking- Deklaration und -Aktionsplattform haben zu einem Bewusstseinswandel geführt. So werden Frauenrechte in den Abschlussdokumenten der vierten Weltfrauenkonferenz als Menschenrechte anerkannt und Frauen damit als Trägerinnen eines Rechtsanspruchs legitimiert. Auch Gewalt gegen Frauen wird in der Aktionsplattform als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Dies führte unter Druck der Zivilgesellschaft zur Verabschiedung von Gesetzen gegen häusliche Gewalt in Ländern wie China oder Vietnam oder zu Gesetzen gegen Frauenhandel in Thailand und den Philippinen. Auf europäischer Ebene hat die vierte Weltfrauenkonferenz dazu beigetragen, dass sich die EU 1996 zur Strategie des Gender Mainstreamings verpflichtet hat. Die in der Peking- Aktionsplattform vorgenommene Verpflichtungserklärung der Staaten, „in allen unseren Politiken und Programmen eine geschlechtsbezogene Perspektive“ einzubringen, war damals bahnbrechend. Fortan konnte Geschlechtergleichstellung nicht mehr auf den Bereich der Sozialpolitik reduziert werden.
Backlash. Im März 2020 wird die Umsetzung der Peking-Deklaration und -Aktionsplattform zum fünften Mal überprüft. Der anfängliche Optimismus vieler Frauenrechtsaktivist_innen und NGOs ist bereits fünf Jahre nach der vierten Weltfrauenkonferenz Ernüchterung gewichen. Die Umsetzung des völkerrechtlich unverbindlichen Abschlussdokuments, das eine reine Willenserklärung und Empfehlung an die Staaten ist, gestaltet sich sehr schwierig. Sie wird gebremst und verhindert durch fehlende finanzielle Mittel und nationale Umsetzungspläne. Kurzum: Es fehlt vielerorts der politische Wille.
Die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking vor 25 Jahren war auch die letzte. Seither hat es keine neue Weltfrauenkonferenz gegeben und es zeichnet sich auch keine ab. Warum nicht? Zu groß ist die Befürchtung vieler progressiver Stimmen, es könnte Rückschritte beim bereits Erreichten geben, sollten die Inhalte der Aktionsplattform erneut zur Debatte gestellt werden. Der Gegenwind für Frauenrechte ist rauer geworden. Frauenrechtsaktivist_ innen erleben in vielen Ländern zunehmende Gewalt und die Einengung ihrer Partizipations- und Einflussmöglichkeiten. Die Themen, die Länder spalten, sind zum überwiegenden Teil die gleichen wie vor 25 Jahren. Die Fronten in Bezug auf Schwangerschaftsabbruch, Sexualaufklärung oder die Anerkennung von diversen Genderidentitäten haben sich jedoch verhärtet. Fundamentalistische und rechtspopulistische Strömungen werden mächtiger. Die lauter werdenden Forderungen nach nationalen Souveränitätsklauseln zielen darauf ab, die Allgemeingültigkeit von Menschenrechten zu unterlaufen.
Die Maßnahmen und Forderungen der Peking-Aktionsplattform sind 2020 leider noch genauso aktuell wie vor 25 Jahren. Sie sind bis heute bestenfalls teilweise umgesetzt. Doch obwohl wir heute in Zeiten der closing spaces leben, sind es noch immer Frauenrechtsaktivist_ innen, die jeden Tag in mühsamer Kleinarbeit und abseits des medialen Rampenlichts an der Umsetzung der Aktionsplattform arbeiten. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Rechte wurden noch nie jemandem geschenkt, sondern immer erkämpft.
Aleksandra Kolodziejczyk ist Vorstandsmitglied der Frauen*solidarität, die entwicklungspolitische feministische Bildungs-, Medien und Öffentlichkeitsarbeit macht. Sie wird beim heurigen review der Peking- Aktionsplattform auf UN-Ebene dabei sein.