Die Ursachen für den europäischen Rechtsruck sind in der autoritär-neoliberalen Krisenpolitik der EU zu suchen, die ihre Mitgliedsstaaten zu drastischen Sparmaßnahmen und Sozialkürzungen anhält. Von HANNA LICHTENBERGER
Es ist still geworden um das „Problemkind Nummer eins“ der Europäischen Union, Berichte zu aktuellen Verhandlungen um die Auszahlung der nächsten „Tranche“ an Griechenland sind weit hinten in den Zeitungen versteckt. Seit der rituellen Opferung der griechischen Demokratie am Altar der Austerität sind öffentliche Belehrungen und die Erpressungen des EU-Rates und der EZB in den Hintergrund getreten. Die griechische SYRIZA-Regierung setzt den Kürzungskurs eifrig fort, doch die humanitären Krisen in Griechenland sind nicht verschwunden. Die Arbeitslosigkeit liegt bis heute deutlich über zwanzig Prozent, betroffen sind Frauen und junge Menschen in besonderem Maße. Schutzsuchende werden unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern festgehalten, um sie an einer Einreise in den Schengen-Raum zu hindern. Reportagen über die Suppenküchen, über die selbstorganisierten Betriebe und die solidarischen Kliniken finden keinen Platz mehr im Feuilleton. Ungenutzt blieb das Möglichkeitsfenster, das sich mit dem Oxi der griechischen Bevölkerung öffnete, um der Austerität den Rücken zu kehren.
Fiskalpakt. Die griechischen Zustände wirken sich nicht mehr so stark auf die Kursentwicklung des Euros aus wie 2015, sie schaden der Europäischen Union nicht mehr. Durch den „Coup“ gegen die SYRIZA-Regierung wollten europäische Eliten deutlich machen: Es gibt keine Alternative zur Austerität, keinen Ausweg aus der Krise abseits der Kürzungspolitik. Wahlergebnisse und Widerstand ändern nichts – das Signal richtete sich nicht nur an die griechische Bevölkerung. Es ging auch an die Podemos-UnterstützerInnen und an Linksprojekte in der ganzen EU. Das Prinzip der Kürzungspolitik um jeden Preis, der ausgeglichenen Staatshaushalte wurde nicht angekratzt. Der Fiskalpakt, der die fiskalpolitische Gestaltungsmacht von Regierungen stark eingrenzt, ist in den Verfassungen verankert, das neomerkantilistische Exportmodell à la Deutschland bleibt weiterhin die ausgegebene Losung. Deutlich wurde: Demokratische Prozesse werden der Standortlogik untergeordnet.
Zahnlos. Selbst nach dem Brexit-Votum, den Wahlerfolgen von Marien Le Pen, Norbert Hofer und anderen europäischen RechtspopulistInnen gibt es kein Abweichen von dem Prinzip der Austerität. Wer sich mit den Ursachen des Rechtstrendes beschäftigt, dem/der wird schnell klar: Das Beschwören des Friedensprojektes EU bleibt zahnlos. Denn die EU schaut bei der Steuervermeidung von Konzernen zu und ihr Versprechen von Wohlstand umfasst nur einige wenige. Die EU ist ein Elitenprojekt, den „europäischen Geist“ hochzuhalten mag mancherorts die rechte Machtergreifung hinauszögern. Die Ursachen des gesellschaftlichen Rechtsrutsches verschwinden jedoch nicht – hat doch die Austerität selbst den RechtspopulistInnen zum Aufstieg verholfen.
Soziale Fragen. Aber es geht auch anders. Die Bewegung um den Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn oder auch die Erfahrung in den USA mit Bernie Sanders zeigen: Politik und Wahlkampf müssen nicht bedeuten, darum zu rittern, wer den Ist-Zustand besser konserviert. Corbyn hat gewonnen, weil er die Partei öffnete und soziale Fragen (leistbares Wohnen, Bildungszugang, den Erhalt eines guten Gesundheitssystems für alle) in den Mittelpunkt stellte. Er hat der Austerität eine klare Absage erteilt, dem neoliberalen Dogma der EU ein solidarisches Manifest entgegengesetzt.
Auch Initiativen auf europäischer Ebene gegen TTIP/CETA zeigen, dass effektiver Widerstand gegen weitreichende Ein- und Angriffe auf Demokratie und Sozialstaat möglich ist, wenn die Zivilgesellschaft breite Bündnisse sucht, um der Logik des Kapitals entgegenzutreten.
Hanna Lichtenberger ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin in Wien und im UnterstützerInnenkreis von mosaik-blog.at
1 Kommentar zu „an.sprüche: Der europäische Geist ist neoliberal“
Pingback: Wie wir durch den Kauf von Smartphones Kriege finanzieren + Mansplaining im Kindergarten + weitere lesenswerte Artikel - Kontrast Blog