Wie haben Frauen ihre Abtreibung erlebt? Und wie sprechen sie darüber? Zwei Erfahrungsberichte von SYLVIA KÖCHL und MARGARETHE TRAPP
Schwanger geworden bin ich durch schiere Unwissenheit und jugendliche Dummheit. Das war Ende der 1980er-Jahre und ich ging noch zur Schule. Deshalb und überhaupt, weil ich immer schon wusste, dass ich weder heiraten noch Kinder bekommen wollte, stellte sich mir nur eine Frage: Wie komme ich an eine Abtreibung?
Ich lebte in Vorarlberg, die nächste Abtreibungsklinik war in Innsbruck. Das größte Problem waren aber die Kosten: 3.000 Schilling. Und obwohl mein damaliger Freund ein bürgerlicher Fuzzi war, bekam auch er nicht annähernd genug Taschengeld, um das zu finanzieren. Ich hatte gehört, dass es beim städtischen Magistrat eine Stelle gab, die für schwangere Frauen in Not Akuthilfe leistete, dass hier ohne viel Federlesens Bargeld ausgegeben werde. Und ich war eine schwangere Frau in Not! Das sagte ich dann auch dem zuständigen Beamten. Ehrlich. Er jagte mich hysterisch schreiend hinaus, er finanziere doch keinen Mord. Am nächsten Tag sprach mein schauspielerisch talentierter Freund vor und schilderte demselben Beamten, wie sehr wir uns auf das Kind freuten, dass wir aber nicht einmal genug Geld für Babykleidung und einen Kinderwagen hätten. Der Beamte griff in eine Schublade und zählte meinem Freund 3.000 Schilling in bar auf die Hand.
Ich bekam also meine Abtreibung – zum Glück auch unbehelligt von „Pro Life“-AktivistInnen und ähnlichem Gesocks. Wäre die Geldbeschaffung nicht gelungen, hätte ich mein gesamtes bisheriges Erwachsenenleben damit verbracht, dieses Kind großzuziehen, und hätte ihm ganz sicher nie verziehen, dass es existiert …
Noch heute stellen sich mir die Nackenhaare auf, wenn ich daran denke, dass es die Fristenlösung 13, 14 Jahre davor noch gar nicht gegeben hat. Ich weiß, dass ich alles getan hätte, um die Schwangerschaft abzubrechen, wirklich alles.
Eine (schulische) Sexualaufklärung, die diesen Namen verdient, hätte mich vielleicht vor dem ganzen Schlamassel bewahrt. Und gäbe es Abtreibungen als Krankenversicherungsleistung, müssten SchülerInnen auch keine Betrugsversuche an städtischen Magistraten unternehmen.Schon allein diese Missstände waren für mich immer Grund genug, meine Geschichte zu erzählen, egal, wie die Reaktionen ausfielen. Daher sei v.a. den Sozialdemokratinnen gesagt: Kommt aus der Deckung! Geht offensiv mit dem Thema um und setzt euch endlich für die Abtreibung als Kassenleistung ein! Raus mit der Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch!
Sylvia Köchl ist Journalistin und Wissenschaftlerin, lebt aber nicht kinderfrei-egoistisch in Saus und Braus, sondern nur so selbstbestimmt, wie eben möglich.
„Du hast nie abgetrieben, Mama, oder? Das hätte ja ich sein können!“ Das war meine Reaktion auf die erste Konfrontation mit dem Thema Abtreibung. Meine Mutter, die sich kurz zuvor gegen ein zweites Kind und für einen Abbruch entschieden hatte (und dafür wegen der damals in der BRD geltenden Notlagen-Indikationsregelung noch nach Holland fahren musste), war über diese Aussage so erschrocken, dass sie allen verbot, mir gegenüber je von dieser Abtreibung zu sprechen. Erst viele Jahre später erzählte sie mir selbst davon, diese Geschichte voranstellend.
Ich wünschte, sie wäre anders damit umgegangen. Dass sie eine Form gefunden hätte, die einem Kind glaubhaft macht, dass eine befruchtete Eizelle ähnlich wenig mit einem Geschwisterkind oder gar ihm selbst zu tun hat wie eine Monatsblutung. Und dass sie mir vielleicht sogar in altersadäquater Form etwas über das unveräußerliche und unbedingt zu verteidigende Selbstbestimmungsrecht aller Menschen über den eigenen Körper vermittelt hätte.
Gute zehn Jahre nach diesem Vorfall habe ich selbst abgetrieben. Der Eingriff – ich hatte einen medikamentösen Abbruch, bei dem der Wirkstoff in die Scheide eingeführt wurde – war demütigend und schmerzhaft. Kein Gespräch, keine Erklärungen, nur ein genervtes: „Wenn Sie sich so verkrampfen, wird das nichts.“ Der von starken Blutungen begleitete Abgang zu Hause und die Schmerzen trafen mich deshalb völlig unvorbereitet und machten mir Angst.
Dennoch dominiert heute die Erinnerung an die ungeheure Erleichterung, mit der ich als damals 18-Jährige in mein WG-Zimmer zu meinen beiden Katzen zurückkehrte. Das große Glücksgefühl, mit dem ich dachte: Ich bin weiterhin nur für diese beiden Tiere und mich selbst verantwortlich.
Ich hatte danach immer einen offenen und offensiven Umgang mit meiner Abtreibung. Erst jetzt, beinahe zwanzig Jahre später, ist da erstmals eine leise Befangenheit. Inzwischen bin ich Mutter zweier Kinder und spüre selbst die diffuse Angst, auch sie könnten meinen Schwangerschaftsabbruch auf irgendeine verquere Weise mit sich selbst in Verbindung bringen. Noch sind sie zu klein, um Fragen zu stellen. Ich habe also noch ein bisschen Zeit, mir gute Antworten zu überlegen. Ich bin ganz sicher, es gibt sie.
Margarethe Trapp ist froh, inzwischen Kinder zu haben. Genauso glücklich ist sie darüber, sich früher gegen ein Kind entschieden zu haben.