Die sprachliche Anpassung von Texten ist in linguistischer Hinsicht längst eine Selbstverständlichkeit. In moralischer ganz offenkundig noch nicht. NADIA SHEHADEH und ANTJE SCHRUPP über die Debatte um das N-Wort in Kinderbüchern.
Es ist schon erstaunlich, in welchem Ausmaß die Entscheidung eines Verlags und eines Autors, ein Kinderbuch von rassistischer Sprache zu befreien, auf Abwehr stößt. Im konkreten Fall ging es um Otfried Preußlers Buch „Die kleine Hexe“, dessen zukünftige Ausgaben ohne das N-Wort auskommen werden. So viel wurde debattiert, scheinbar alles wurde gesagt – sowohl von den Befürworter_innen als auch den Gegner_innen der Änderungen. Was aber nicht oft genug gesagt werden kann: Die Debatte zeigte, inwiefern vor allem die Gegner_innen nur marginal über Rassismus und Rassismusreproduktionen Bescheid wissen – und wie stark die Entsolidarisierungstendenzen in unserer Gesellschaft mittlerweile ausgeprägt sind. Denn was zu beobachten war: Wichtige Vertreter_innen nicht-Schwarzer Minoritäten, die seit Jahren sowohl von Rassismus betroffen als auch aktivistisch gegen Rassismus engagiert sind, haben sich bei dieser Debatte zum Teil auf die Seite der N-Wort-Verfechter_innen gestellt. Und zwar mit bestem Gewissen. So nutzte etwa der Schriftsteller Feridun Zaimoglu in einem Interview mit dem Autor und Journalisten Eren Güvercin die Gelegenheit, seinen Tacheles in die Debatte einzubringen: „Die Sprachhygieniker können uns Schreiber mal.“ Zaimoglu betonte sprachgewaltig, wie sehr ihn die Text-änderungen anwidern. Ich beziehe mich deshalb auf dieses Interview, weil es von allen textbasierten Dokumenten, die uns dank der Debatte nun zur weiteren Analyse zur Verfügung stehen, menschlich gesehen das ärgerlichste war. Soziologisch hingegen ist das Interview und die Attitüde Zaimoglus kein besonders spektakuläres Phänomen – sondern eigentlich nur ein Beleg für Cornel Wests alte These („Race Matters“), dass Entsolidarisierungstendenzen nicht nur ein Phänomen der Mehrheitsgesellschaft, sondern insgesamt ein Symptom der mittleren und oberen Schichten sind.
Nadia Shehadeh ist als Bloggerin unter anderem für die Mädchenmannschaft und auf ihrem eigenen Blog Shehadistan (www.shehadistan.wordpress.com) aktiv.
Im analogen Leben arbeitet sie als Soziologin im Weiterbildungssektor. Die Frage ist nicht, ob Texte im Lauf der Zeit verändert werden müssen, sondern wie. Sogar die Lutherübersetzung der Bibel wird alle paar Jahre von einer offiziellen Kommission den veränderten Sprachgewohnheiten angepasst. Denn Texte, die nicht verändert werden, sind irgendwann schlicht und ergreifend unbrauchbar und taugen nur noch für Archive oder Museen. Die Bedeutung von Wörtern verändert sich nämlich im Lauf der Zeit, weil sich die Welt weiterentwickelt und mit ihr auch die Sprache. Deshalb ist ein Buch, das über hundert Jahre hinweg sprachlich nicht verändert wird, schlicht und einfach nicht mehr dasselbe Buch. Banales Beispiel: Ein Buch enthält Worte, die zu der Zeit, in der es geschrieben wird, völlig geläufig sind – zum Beispiel „Schuhwichse“. Hundert Jahre später benutzt kein Mensch mehr dieses Wort. Damit nimmt die entsprechende Textstelle einen anderen Charakter an. Während ZeitgenossInnen einfach drüber hinweg gelesen hatten, weil „Schuhwichse“ für sie ein völlig normales Alltagswort war, werden junge LeserInnen hundert Jahre später an dieser Stelle stolpern und unter Umständen erst einmal googeln müssen, was das eigentlich sein soll. Es geht also bei der Frage, ob zum Beispiel das rassistische N-Wort ersetzt werden soll, nicht darum, Werke nachträglich „politisch korrekt zu verfälschen“, sondern darum, dem Autor oder der Autorin durch die sprachliche Anpassung an den neuen Kontext gerecht zu werden. Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass jemand, der oder die sich zu Lebzeiten für Gerechtigkeit eingesetzt oder sich vielleicht sogar aktiv gegen Rassismus engagiert hat, heute das N-Wort nicht mehr benutzen würde. In so einem Fall wäre es geradezu eine Verfälschung des Originaltextes, Formulierungen, die vielleicht vor hundert Jahren weithin geläufig waren, deren Rassismus inzwischen aber erkannt wurde, einfach weiter so stehen zu lassen. Es kommt natürlich auch vor, dass Autoren und Autorinnen schon zu Lebzeiten rassistisch waren. Ihre Bücher gehören dann aber heute ohnehin nicht mehr in Umlauf zum alltäglichen Gebrauch, sondern tatsächlich ins Museum.
Antje Schrupp ist Politikwissenschaftlerin und Journalistin und bloggt auf www.antjeschrupp.com.
2 Kommentare zu „an.sprüche: Schuhwichse und Sprachgewalt“
mir fehlt ein hinweis auf tarantino, der ja sagt, so reden die halt, oder haben halt so geredet (django unchainched), kannst du darauf noch eingehen?
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