Die feministische Begeisterung über einzelne erfolgreiche Frauen kann KATHARINA RÖGGLA nicht teilen.
Während sich in Deutschland Merkels Amtszeit dem Ende nähert, werden bereits feministisch-wehmütige Abschiedsworte formuliert. Und auch in Österreich können wir Feministinnen uns jetzt angeblich freuen – mit Brigitte Bierlein haben auch wir eine Kanzlerin. Denn offenbar finden es manche Feminist*innen irgendwie toller, eine Frau an der Spitze des Staates stehen zu haben. Leider ist das ein Trugschluss. Staaten kürzen Sozialleistungen, organisieren Abschiebungen und führen Krieg. Angela Merkel hat dabei – so wie alle Männer vor ihr – mitgemacht, und auch Bierlein wird nicht alles besser machen. Einem Feminismus, der glaubt, dass es uns automatisch allen nützt, wenn
einzelne Frauen die gläserne Decke durchbrechen, sollten wir mit Misstrauen entgegentreten. Mittlerweile sollte klar sein, dass wir nicht einzelne Andere in Spitzenpositionen, sondern einen Systemwechsel brauchen. Gern wird argumentiert, dass kleine Mädchen davon profitieren, wenn sie Frauen in Spitzenpositionen erleben, weil auch sie sich dann leichter Großes träumen trauen. Auch ich wünsche mir eine Welt, in der Mädchen alle Türen offenstehen. Aber gerade für diese Mädchen brauchen wir auch eine Welt, in der Träume nicht bei divers besetzten Machtpositionen enden, sondern eine Welt, in der soziale Gerechtigkeit realisierbar wird.
Abgesehen von der leidigen Frage nach der gläsernen Decke scheint mir noch ein anderes Missverständnis hinter der Begeisterung über einzelne erfolgreiche Frauen zu stecken, nämlich die Idee, dass jede Selbstverwirklichung einer Frau gleich ein feministischer Erfolg sein muss. Das passt gut zum liberalen Zeitgeist, in dem das Individuelle gefeiert und das Kollektive ignoriert wird. In den Kommunen der 1970er-Jahre galt das vermeintlich Kollektive als Maßstab allen Denkens, dem individuelle Bedürfnisse, die als bürgerlich gebrandmarkt wurden, untergeordnet werden mussten. Bei Fehlverhalten wurde zur öffentlichen Selbstkritik aufgerufen. Das war autoritärer Mist, den wir nicht wiederholen wollen. Aber es lohnt sich, über unser heutiges Verhältnis von Individuum und Kollektiv zu sprechen. Als Worthülse wird gern auf das Gemeinsame verwiesen, in allen konkreten Fragen dann aber doch die Individualität in den Vordergrund gestellt. So kommt es dann auch, dass weibliche Selbstverwirklichung mit Feminismus verwechselt werden kann und quasi jede private Entscheidung legitim wird. Kanzlerin sein, Stöckelschuhe tragen, sich vollverschleiern, schönheitsoperieren, heiraten – alles nicht nur okay, sondern schon ein feministisches Projekt, solange es eine Frau ist, die da ihren Kopf durchsetzt. Feminismus aber kann nicht nur das sein, was mich froh macht, sondern muss sich die Frage gefallen lassen, was es für Geschlechterverhältnisse und Gesellschaft insgesamt bedeutet. Stöckelschuhe mögen ein privates Vergnügen sein, gut finden muss ich als Feministin Kleidung noch lange nicht, die dazu angetan ist, Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. Auch in der Werbung heißt es mittlerweile: „Ich bin stolz, weil ich ein Mädchen bin.“ Von feministischen Diskussionen erwarte ich mir dann aber doch mehr gesellschaftsverändernden Anspruch, der nicht dabei stehen bleibt, mich darüber zu freuen, nicht von einem Mann regiert zu werden.
Katharina Röggla lebt in Wien, sehnt sich generell nach einer antiautoritären, antirassistischen und feministischen Bewegung und gerade ganz speziell auch nach einem kühlen Schattenplatz an der Neuen Donau.