Der Wahlerfolg der AfD im Osten ist hausgemacht. Eine Analyse von NADINE LANTZSCH
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen sind desaströs. Durchschnittlich jede_r vierte Ostdeutsche wählt die rechtsextreme AfD, in manchen Regionen sogar jede_r zweite. Das lange Zeit konstruierte Bild des „abgehängten Ossis“, der den Rechten aus Protest seine Stimme leiht, wurde in diesen Wahlen erneut widerlegt. Anders als bei ihren rechtsextremen Vorgängern NPD und DVU vor etlichen Jahren kann die AfD nicht nur diese Wähler_innen für sich gewinnen, sondern auch die Gutverdienenden, sozial Abgesicherten und Studierten. Selbst der öffentlich zelebrierte Schulterschluss mit rechtsextremen Gruppen nach den rassistischen Gewaltausbrüchen im sächsischen Chemnitz stand letztlich nicht im Weg. Die AfD kann weiter ungehindert als parlamentarischer Arm und Versorgerin gewaltbereiter Neonazis dienen – dank des Wahlerfolgs mit noch mehr Ressourcen ausgestattet.
Die Ursachen für den ungebrochenen Aufstieg der AfD sind allerdings nicht allein mit der rassistischen Radikalisierung und Mobilisierung zu erklären, die sich seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 in der gesamtdeutschen Bevölkerung und besonders in den ostdeutschen Bundesländern Bahn brechen. Denn der Osten wählt vor allem dort braun, wo die Transformation der Arbeitswelt durch Digitalisierung, Automatisierung und Klimabewusstsein am tiefgreifendsten zu Veränderungen führen wird: in den Braunkohlegebieten und auf dem Land. In den Regionen also, die die bis heute spürbaren ökonomischen und sozialen Folgen des Mauerfalls mit voller Wucht trafen und die dennoch drei Jahrzehnte lang aufgrund wahltaktischer Leuchtturmpolitik für die Städte vernachlässigt wurden. In den Regionen, wo Abwarten und Verantwortungsabgabe an die Bundespolitik mit politischem Handeln gleichgesetzt wurden. In denen sich selten politische Vertreter_innen haben blicken lassen seit der Wende, wo Bürger_innen keine Ansprechpartner_innen für ihre Themen vorfanden, wo sich Parteien zu lange auf ihre Stammwählerschaft verließen – die immer älter wird (und stirbt) oder inzwischen zur AfD gewechselt ist.
Als linke_r Ossi macht es wütend, wenn der Wahlkampf mit Themen wie Infrastruktur, Arbeit, Mobilität und Klima bestritten wird, als wären diese nicht schon seit der Wende hochrelevant, als hätten die Parteien die letzten dreißig Jahre in der Opposition verbracht. Der Strukturwandel, der nun „ganz dringend“ passieren muss, wurde zu keinem Zeitpunkt und von keiner demokratischen Partei mit Regierungsverantwortung tatsächlich und spürbar vorangetrieben. Die müssen sich von der AfD jetzt in Dreierbündnisse drängen lassen, die weder sie noch die Wähler_innen wollten – mit einer starken rechtsextremen Partei als Oppositionsführerin. Auf kommunaler Ebene wird sich die Zusammenarbeit enttäuschter CDU-Politiker_innen mit eifrigen, zum Teil sehr weit in die Zivilgesellschaft vernetzten und organisierten AfDlern fortsetzen und intensivieren.
Und während eine der „Gegenstrategien“ noch immer heißt, rechten Rhetoriken und Politiken auf den Leim zu gehen, um die an die AfD verloren gegangenen Wähler_innen wieder ins eigene Lager zu holen, wäre längst eine kritische Auseinandersetzung mit der Tatsache fällig, dass man offenbar jahrzehntelang Rassist_innen und Nazis politisch bedienen konnte. Z. B. durch konsequente Leugnung von Rassismus als gesamtgesellschaftlichem Problem seit den Pogromen der frühen 1990er-Jahre oder durch Unterfinanzierung und Kriminalisierung linker Initiativen, vor allem im Jugendbereich. Die Früchte dieser nach rechts offenen Haltung, die Antifaschismus delegitimiert und Rassismus in berechtigte Sorgen und Ängste umdeutet, erntet die AfD nun auch bei jungen Ossis unter dreißig: Sie wählen anders als im Rest der Republik lieber rechts statt links(-liberal). Jugend ist Zukunft, heißt es so oft. Mit dem nächsten Umwälzungsprozess vor der ostdeutschen Haustür ist die vorerst so braun wie die Kohle in der Lausitz.
Nadine Lantzsch ist 1985 in Hoyerswerda geboren und aufgewachsen, hat in der westsächsischen Provinz studiert und lebt in der vergleichsweise linken Enklave Berlin. Sie schreibt und podcastet für das feministische Gemeinschaftsblog maedchenmannschaft.net.