Die Miniserie „Fleabag“ zeigt eine sehr einnehmende Einzelgängerin zwischen sexuellen Abenteuern und ihrem Meerschweinchen-Café. Von JULIA MARTIN
Eine attraktive junge Frau liegt mit ihrem Liebhaber im Bett und hat gerade mittelmäßig aufregenden Sex, als sie bemerkt, wie er sich langsam ihrem Hintern nähert. Sie stellt fest: Er möchte Analsex. „Du lässt ihn einfach machen, denn du bist betrunken und er ist extra den weiten Weg gekommen“, sagt sie – und sieht uns dabei mit einem verschmitzten Lächeln an, während wir beobachten, wie der Mann sich hinter ihr abmüht. Nur wenige Minuten später schauen wir ihr dabei zu, wie sie zu einer Rede von Barack Obama masturbiert, während ein anderer Mann neben ihr im Bett schläft.
Ohne Filter. Die Frau, die uns solche intimen Einblicke in ihr Liebesleben gibt, ist Fleabag (deutsch: „Ekelpaket“), die namenlose Hauptdarstellerin der gleichnamigen BBC-Serie, die in Großbritannien wegen seiner expliziten Szenen als „schmutzigste Show im TV“ bezeichnet wurde. Seit Februar ist sie auch im deutschsprachigen Amazon Prime zu sehen. Fleabag ist eine 31-jährige Einzelgängerin, die in London ein schlecht laufendes Café mit Meerschweinchen-Motto führt und einen großen sexuellen Appetit hat. Sie spricht ungefiltert und ohne jeden Sinn für Feingefühl alles aus, was ihr gerade in den Kopf kommt. Dass diese Ehrlichkeit für ihre Mitmenschen unangenehm oder gar verletzend sein könnte, bemerkt sie einfach nicht. Wir als Zuschauer_innen fühlen uns ihr dennoch so nah wie unserer besten Freundin. Als selbstbewusste, leicht neurotische und exzentrische junge Singlefrau in der Großstadt scheint sich Fleabag zunächst in eine Reihe typischer weiblicher, unbekümmerter Großstadt-Heldinnen einzureihen, doch schnell bemerken wir: Irgendetwas läuft gewaltig schief in ihrem Leben.
Trauerarbeit. Die On-Off-Beziehung zu Fleabags Partner Harry läuft denkbar schlecht, das Verhältnis zu ihrer Familie ist distanziert und argwöhnisch. Ihre Schwester Claire ist eine verkniffene, gefühlskalte Karrierefrau, die ihre scheiternde Ehe zu retten versucht. Ihr Vater ist emotional unnahbar, im Umgang mit seinen Kindern unsicher. Nach dem Krebstod von Fleabags Mutter hat er sein Glück mit der eifersüchtigen, passiv-aggressiven Patentante der jungen Frauen gefunden. Als Ausgleich für seine Unfähigkeit, seinen Töchtern väterliche Liebe zu geben, schenkt er ihnen regelmäßig Eintrittskarten für feministische Vorträge und schickt sie zur Krebsvorsorge.
Am Ende der ersten Episode erfahren wir, warum Fleabags Welt aus den Fugen geraten ist: Ihre beste Freundin Boo hat vor Kurzem Suizid begangen. Plötzlich werden viele Verhaltensweisen dieser seltsamen Protagonistin verständlich. Es ist herzzerreißend mitanzusehen, wie Fleabag ohne ihre Freundin haltlos durch die Welt taumelt, auf der Suche nach Trost und Erlösung von diesem Schmerz. Fleabag sucht nach Anschluss, nach einer Verbindung wie jener, die sie nur mit Boo hatte. Ihre sexuellen Eskapaden dienen zur Ablenkung von den schrecklichen Erinnerungen, die immer wieder in Flashbacks auftauchen, ihr zynischer Humor ist lediglich ein Schutzmechanismus. Fleabag selbst bezeichnet sich ihrem Vater gegenüber als „gierige, perverse, verkommene, selbstsüchtige und moralisch bankrotte Frau“ – und wie mächtig ihre dunkle Seite wirklich ist, erfahren wir erst ganz am Ende der Staffel.
Radikale Antiheldin. Phoebe Waller-Bridge, die mit ihrem preisgekrönten Bühnenstück die Vorlage zur Serie geliefert hat und auch die Hauptdarstellerin verkörpert, zeigt eine zeitgenössische, radikale Weiblichkeit, wie sie so offen selten zu sehen war. Dabei ist besonders die Protagonistin in ihrer Komplexität so einnehmend: „Was macht die eigentlich da?“, fragen wir uns ständig und sympathisieren trotzdem immer mit ihr. Trotz aller Störrischkeit ist Fleabag eine Figur, mit der sich die Zuschauer_innen identifizieren können. Sie ist eine typische Antiheldin, dabei aber viel radikaler als Carrie Bradshaw und offensiver als Lena Dunhams Figur Hannah Horvath – und eben verdammt ehrlich, auch wenn es manchmal unangenehm ist, ihre Fettnäpfchen mitansehen zu müssen. Gerade weil Fleabag Ecken und Kanten hat, wirkt sie als Figur so überzeugend, ihre Geschichte so berührend. Und trotzdem fehlt es der Serie nicht an Humor. Und wie nebenbei werden als Draufgabe auf manchmal zynische, manchmal ironische Weise auch noch wichtige Themen wie Slut-Shaming, Eltern-Kind-Beziehungen, Verlust, Trauer und Vergebung verhandelt.
Fleabag
USA 2016