BARBI MARKOVIĆ’ „Superheldinnen“ sind drei urbane Hexen, die im Kaffeehaus die Weltherrschaft an sich reißen. Von FIONA SARA SCHMIDT
Im Café Sette Fontane am Wiener Siebenbrunnenplatz treffen sich Samstag für Samstag drei junge Frauen und schreiben gemeinsam ihre Kolumne in der esoterischen Zeitschrift „Astroblick“. Wien ist nach Sarajevo, Berlin und Belgrad nun die Stadt ihrer Wahl. Sie haben einen wunderbar schwarzen Humor, sind meistens depressiv und chronisch pleite. „Es war ein Zustand, der uns zu Frauen unserer Zeit machte, zu Hauptstädterinnen, die ein schlechtes, zum Teil allergisches Verhältnis zur Natur pflegten.“
Magische Migrantinnen. Mascha, Direktorka und die Ich-Erzählerin stellen Menschen mit Problemen vor, an die alle Leser_innen zu einer bestimmten Uhrzeit gemeinsam denken sollen. Die so gebündelte Energie soll für den nötigen Impuls zur Verbesserung sorgen – „Schicksalsblitz“ heißt daher die Rubrik. Die Autorinnen werden dafür schlecht bezahlt, die drei Freundinnen profitieren aber auf einer anderen Ebene: „Wir schrieben eine Rubrik, weil das für uns ein einfacher Weg war, an die Energie der Leser heranzukommen. Dadurch verbrauchten wir weniger und konnten uns schneller regenerieren. Die Energie der Leser verlieh unseren Kräften Kontur.“
Im Kulturprekariat wird es ungemütlich, wenn der soziale Aufstieg zu lange auf sich warten lässt, denn „die Mittelschicht zerbröselte allmählich und es sah aus, als würde eine ganze gesellschaftliche Klasse von Menschen mit erträglichem Leben verschwinden, bevor es uns gelingen sollte, diese zu erreichen“. Jener Mittelstand ist zugleich Sehnsuchtsort und gelebter Albtraum, dessen fade Normalität in Form von Werbesprüchen, Konsumterror und scheinheiliger Moral von allen Seiten auf die Figuren einprasselt.
Interventionen für sich selbst haben sich die Freundinnen eigentlich untersagt, aber mit durchschnittlich 33 Jahren kommen gleich zwei von ihnen auf die Idee, dass sie auch einmal an der Reihe sein sollten, ein paar positive Veränderungen für sich zu generieren. Im „Astroblick“ schalten die Casinos Austria mehrseitige Anzeigen. Wäre es nicht möglich, auch ausnahmsweise das eigene Schicksal zu beeinflussen und einen Gewinn abzustauben? Und was würde passieren, wenn das eingespielte Team mit den samstäglichen Sitzungen durch den Weggang von einer destabilisiert wird?
Grenzen überschreiten. Der Roman ist mit Schnipseln und Zitaten der Konsumkultur durchsetzt und damit formal ebenso wenig Mainstream wie seine (Super-)Heldinnen. Die 1980 in Belgrad geborene Barbi Marković, die seit zehn Jahren in Wien lebt und als Popliteratur-Hoffnung galt – als das noch erstrebenswert war –, hat sich mit dem neuen Buch Zeit gelassen. Sie war Grazer Stadtschreiberin, daraus entstand 2012 „Graz Alexanderplatz“, den neuen Roman hat sie teilweise auf Deutsch und teilweise auf Serbisch geschrieben. Mit an Bord war wie bei ihrem Debüt „Ausgehen“ 2009 die Übersetzerin Mascha Dabić. Es ist wohl kein Zufall, dass die Stütze der Gruppe im Roman ebenfalls Mascha heißt, „eine Gottheit für all jene Menschen, die vom Pech verfolgt wurden“.
„Ausgehen“ war ein Remix beziehungsweise eine „falsche Übersetzung ins Serbische“ von Thomas Bernhards „Gehen“, allerdings mit jungen Frauen und Technomusik. Die spiraligen Bernhard-Sätze tauchen auch bei „Superheldinnen“ immer wieder auf, das passt gut zum immer trotz allem auch irgendwie gut gelaunten Nihilismus. Dieser lässt sich ablesen an herabstürzenden Vögeln, einem „rotzigen Kind“, das den Berlinaufenthalt der Erzählerin rasch beendet, und einer Großmutter, die es mit ihren magischen Kräften zu weit treibt.
Der Plot klingt wilder, als es das Leben der Figuren letztendlich ist, eigentlich geht es um die Kunstszene, das Zurechtfinden in neuen Sprachen und Orten, Krieg, Assimilation und politische Programme, Partys und Umzüge.
Die drei Protagonistinnen sind moderne Hexen – oder eben Superheldinnen des Alltags.
Barbi Marković: Superheldinnen
Residenz Verlag 2016
18,90 Euro
1 Kommentar zu „an.lesen: Schicksalsblitze“
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