Die Soziologin CORNELIA KOPPETSCH hat ein viel beachtetes Buch über den Aufstieg des Rechtspopulismus geschrieben. Eine umfassende wie schmerzhafte Analyse, die linksliberalen Verstrickungen auf den Grund geht. Von BRIGITTE THEIßL
Wie konnten reaktionäre und autoritäre Tendenzen in einer Gesellschaft erstarken, die sich auf dem Höhepunkt des Friedens, der Aufklärung und des Fortschritts glaubte? Die Frage, die Cornelia Koppetsch ihrem Buch voranstellt, trieb in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Autor*innen um, die geradezu ein Genre des Rechtsrucks-Erklärens kreierten. Kaum verwunderlich: Der Durchmarsch rechtspopulistischer HetzerInnen, die Erosion des Vertrauens in wissenschaftliche Expertise und journalistische Autoritäten sowie die Etablierung einer rechten Gegenkultur fungierte als Schlag in die Magengrube linker und liberaler Kräfte, die progressive Entwicklung lange Zeit als lineare Fortschrittserzählung imaginierten.
Protest von oben. Rechtspopulismus begreift Koppetsch nicht als „kurzfristige Gefühlsaufwallung“, sondern als einen Mentalitäts- und Strukturwandel, der gesamtgesellschaftlich zu sehen ist und Staaten wie Deutschland langfristig verändern wird. Nicht auf singuläre Ereignisse wie die Grenzöffnung Angela Merkels im Zuge der Flüchtlingsbewegung 2015 sei er zurückzuführen, vielmehr habe sich die „Konterrevolution“ gegen die Folgen der weitreichenden Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozesse über Jahrzehnte hinweg angebahnt. Als emotionaler Reflex auf einen Epochenbruch nach dem Mauerfall, der mit Deklassierungen in ganz unterschiedlichen Milieus einherging, positioniere sich die weiter aufstrebende Rechts-Bewegung gegen die Moderne insgesamt, gegen einen kosmopolitischen Gesellschaftsentwurf, der ausgehend von 1968 eine kulturelle Hegemonie erlangen konnte. Das erkläre auch, warum sich unter AfD-WählerInnen und Pegida-DemonstrantInnen nicht mehrheitlich ökonomisch Abgehängte, sondern auch Konservative aus den Mittel- und Oberschichten finden. Es seien alle jene aus (relativ) privilegierten Gruppen, die eine Entwertung ihrer Vorrechte erleben oder befürchten: der Facharbeiter, dessen Arbeitsplatz in den globalen Süden gewandert ist, die mittelständische Unternehmerin in der Peripherie und der weiße bürgerliche Intellektuelle, der sein Selbstverständnis erstmals infrage gestellt sieht. Im Gegensatz zur linken Revolte gegen Ausbeutungsverhältnisse und Benachteiligung sei der rechte Protest also einer von oben, der im Rechtspopulismus eine sinnstiftende Erzählung gefunden habe.
Bobo-Politik. Koppetsch‘ Interesse gilt vorrangig dem (links-)liberalen Milieu, den KosmopolitInnen, die ihre Privilegien verschleiern und zutiefst verstrickt seien in die Dynamik des autoritären Wandels. Im Grunde keine neue Analyse: Das Bild der liberalen Akademikerin, die sich als weltoffen und egalitär begreift und zugleich ihre Kinder im sozial geschlossenen Stadtviertel auf die exklusive Privatschule schickt, ist beinahe schon zum Klischee geronnen. Doch auch wenn Koppetsch den Begriff der kosmopolitischen – flexiblen, mobilen, leistungsbereiten – Elite sehr unscharf fasst und deren Vormachtstellung in den gesellschaftlichen Institutionen überschätzt oder bewusst zuspitzt, so liefert die Soziologin mit ihrer hartnäckigen wie nüchternen Analyse der neoliberalen Komplizenschaft sowie der Verleugnung des eigenen Anteils an kolonial-rassistischen Strukturen einen wichtigen Denkanstoß. Was einerseits als Zerrbild rechter Kampfrhetorik fungiert, ist andererseits nicht einfach von der Hand zu weisen: Dass Frauen im Westen emanzipatorische Errungenschaften zu einem ökonomischen Aufstieg nutzten, der mit der Auslagerung von Dienstleistungen an einen Niedriglohnsektor bzw. in Länder des globalen Südens einherging, wird von Feministinnen zwar theoretisch reflektiert, blieb innerfeministisch bisher jedoch weitgehend ohne politische Folgen.
Konsequent verweigert sich Koppetsch moralischen Kategorien, einer Einteilung in Gut und Böse, die politische Auseinandersetzung verunmögliche. Politische Wahrheiten seien stets an soziale Standpunkte gebunden, betont Koppetsch nachdrücklich, Linksliberale könnten dem Rechtspopulismus dementsprechend nicht mit „Aufklärung“ begegnen. Gegen das „hochwirksame Gift“, das Rechtsparteien in die Gesellschaft geschleust hätten, wirke vielmehr nur eines: eine Re-Politisierung, die der Neoliberalismus allzu lange verhindert habe.
Cornelia Koppetsch: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter
transcript 2019, 19,99 Euro