Lust auf duftende Musik, Rollerdisco und dramatische Balladen? Kopfhörer auf die Ohren und raus in die Kälte! Von CHRISTINA MOHR
Zunächst scheint es wahrlich eine kapriziöse Idee, passend zur Platte ein eigens kreiertes Parfum herauszubringen. Die vielseitige Potsdamer Musikerin Louise Gold erklärt das ungewöhnliche Goody ganz unkapriziös damit, dass ihr während eines USA-Aufenthalts Gerüche aufgefallen seien, die es hierzulande nicht gibt: Kaktusfeigen, heißgefahrene Autoreifen oder Reste vom Barbecue. Ihre Eindrücke auch in einem Duft einzufangen, schien ihr also ganz plausibel. Das Album Terra Caprice (Motor/Good To Go), klingt ganz anders als das salonjazzige „Debut“. Gold ist stets auf der Suche nach dem perfekten Popsong, jetzt kommt sie ihrem Ideal mehr als nah: Wehmütig, nonchalant, immer unterwegs und doch zentriert ist die Musik aus Hammondorgeln, Wurlitzer-Piano und Surfgitarren, zusammengehalten von einer dunkelklaren Stimme, die assoziativpoetische Texte singt. Mehr als einmal denkt man an The Carpenters, an großen, erwachsenen Pop also. Nur im Titelsong lässt Gold ihrer rockigen Ader freien Lauf – kapriziös im besten Sinne.
Ebenfalls perfekten Pop präsentiert Allroundkünstlerin Héloïse Letissier, deren Bandname Christine and the Queens von einer Pariser Drag-Queen-Truppe inspiriert ist. Mit ihrem nach einigen EPs und Singles sehnlich erwarteten Debütalbum Chaleur Humaine (Because Music/Warner) unterzieht Letissier das klassische Chanson einem gehörigen Update: Mal englisch, mal französisch gesungen, theatralisch wie ihre Bühnenshows und dabei so leichtfüßig wie Teenie-Filme aus den 1980ern, wirken die Songs so bezaubernd wie mysteriös. Streicher und Synthesizer gehen elegante, kühne Liaisons ein, das ganze Album ist stimmungsmäßig eine Mischung aus großem Konzertsaal und Rollerdisco. Drag Queens und Queers zollt Christine/Héloïse gleich in mehreren Stücken Respekt, zum Beispiel im Opener „It“ oder „Half Ladies“ – „Chaleur Humaine“ ist für Christine and the Queens Konstatierung und Forderung zugleich.
Eigentlich wollte sie eine Platte über Gewalt machen, entstanden sind zehn Liebeslieder – wobei die Grenzen zwischen diesen Polen durchaus fließend sein können. In jedem Fall aber steht die Norwegerin Susanne Sundfør musikalisch auf das ganz große Drama: Sie bettet ihre an Klavier und Gitarre entstandenen Songs gern in bombastische Orchesterarrangements, weshalb sie unlängst den Titelsong zum Endzeit-Blockbuster „Oblivion“ singen durfte. Das Album Ten Love Songs (Kobalt/Good To Go) wirft die Hörerin von einem emotionalen Extrem ins andere, FreundInnen von Zola Jesus im Besonderen und (zuweilen tanzbarem) Neo-Gothic im Allgemeinen werden sich hier angesprochen fühlen.
Das Album beginnt zwar mit einer Coverversion des Pixies-Songs „Caribou“, doch weiter gehen Tanya Tagaqs (Six Shooter) Konzessionen an den Indiepop nicht. Tagaq ist kanadische Inuit und hat den traditionellen Kehlkopfgesang für ihre Kunst perfektioniert. Sie stellt schier unglaubliche Dinge mit ihrer Stimme an, gurrt, seufzt und gibt Gutturallaute von sich; die Musik dazu ist elektronisch-industrial-beeinflusst und doch organisch. Die digitale und die „natürliche“ Welt gehen auf Animism eine faszinierende Verbindung von unmittelbarer Intensität ein, wobei Tanya Tagaq nicht ins Esoterische abdriftet.
Verglichen mit Tanya Tagaq wirkt die Platte mit dem sprechenden Titel Bridges (Tutl/Hoanzl) von Eivør leichter zugänglich: Die von den Faröer Inseln stammende Künstlerin hat sich Singer/Songwriterpop und Folktronica verschrieben und bleibt dieser Linie auch auf ihrem neuen Werk treu. Die Tracks changieren zwischen Sixties-Anmutungen und zeitgenössischem Elektropop. Buchstäblich hervorragendstes Instrument ist Eivørs helle Sopranstimme, die in Balladen wie „Remember Me“ am Besten zur Geltung kommt. Durchgängiges Thema von „Bridges“ ist die Bedeutung von Beziehungen, die bei Eivørs Auftritten rund um die Welt auf die Probe gestellt werden. Von „home, sweet home“-Kitsch weit entfernt, ist „Bridges“ ein Plädoyer für Liebe und Freundschaft.
Louise Gold: Terra Caprice www.iamlouisegold.com
Christine and the Queens: Chaleur Humaine www.christineandthequeens.com
Susanne Sundfør: Ten Love Songs www.susannesundfor.com
Tanya Tagaq: Animism www.tanyatagaq.com
Eivør: Bridges www.eivor.com