Jakob Lena Knebl macht sich die Sammlung des Mumok kannibalisch zu eigen und torpediert dabei die klassische Ausstellungsarchitektur. Von FIONA SARA SCHMIDT
Am Eingang prangt der Schriftzug der „Rocky Horror Picture Show“. Der Ausstellungstitel der Personale von Jakob Lena Knebl im Museum für moderne Kunst Wien (Mumok) im Horror-Look verheißt, dass es hier um popkulturelle Referenzen geht, um die 1970er-Jahre, um Travestie und Verkleidung, um Wiederholung und den „Kult“ im weitesten Sinne. Jakob Lena Knebl, geboren 1970 und benannt nach den Namen ihrer Großeltern, ist längst eine Institution, was queere Performance, Fotokunst und Mode angeht. Die Sammlung des Wiener Mumok hat sie lässig auf den Kopf gestellt, ergänzt um Leihgaben von befreundeten Künstler_innen und Flohmarktkäufe oder Kunstwerke, die aussehen, als kämen sie vom Flohmarkt.
Gegen den Strich. Mode und Design sind für Knebl körperliche Erweiterungen, weil sie Identitäten sichtbar machen. Bei „Oh…“ ist das lustvoll und hedonistisch in Szene gesetzt und so gar nicht akademisch gedacht und gemacht. Die Schau feiert samtige Oberflächen, runde Formen, bricht Sehgewohnheiten durch verzerrte Spiegel und spielt mit Erwartungen und Genres. Werke werden miteinander in Beziehung gesetzt, weil es sich anbietet: Martha Jungwirths Zeichnung „Grüner Schuh“ (1970) wird an das Gemälde Green Bust Domenico Gnoli (1969) angebaut, per Photoshop schummelt sich Knebl in ein Familiengemälde und altehrwürdige Giacometti- und Moore-Skulpturen sind in hippe Kleidungsstücke gesteckt. Jedoch werden sie nicht respektlos als Kleiderständer benutzt, sondern es geht darum, ihre Formen zu unterstreichen, durch das Verhüllen erhielten die zigfach abgebildeten Skulpturen eine neue Aura.
Gemälde sind wie übereinandergestapelt gehängt, ein Bild klebt fast an der Decke, ein braunes Quadrat als Strichmännchen mit Streichholzarmen, Paul Klees „Vogelscheuche“ (1935).
Verkehrter Fokus. Die im Kanon besonders wichtigen Maler hingen oben, damit man sie wenig sieht, sagt Knebl in einem Interview. Als Bezugsrahmen sind sie aber doch wichtig, sie werden demokratisch in das Spiel aus Zeichen und Verweisen eingespeist. Das Glasservice von Adolf Loos ist damit an dieser Stelle genauso (un-)bedeutend wie das „Reagenzglas“ mit Glaskondom von Michaela Spiegel.
Es sind Außenseiter_innen, die so in den Fokus rücken, aber auch längst in der Popkultur aufgegangene Typen, wie August Sanders Porträt eines Boheme-Paares („Der Maler Anton Räderscheidt und Marta Hegemann“), das bis auf Hut und Kragen statt von 1924 auch von 2014 stammen könnte. Im Blick zurück räumt Knebl den Ikonen der feministischen Kunst wie Nan Goldins und Cindy Shermans Porträts oder VALIE EXPORTs Strumpfband-Tattoo („Body Sign C“, 1970) viel Raum ein, beschäftigt sich aber auch mit männlicher Nacktheit und Körperinszenierung, etwa in Arbeiten von Wolfgang Tillmans. Der Wiener Aktionismus ist mit den Performances von Rudolf Schwarzkogler vertreten.
Utopie und Begehren. Jakob Lena Knebl hat sich die Sammlung der modernen und zeitgenössischen Kunst zu eigen gemacht, indem sie diese nach den Schlagworten „Objekte“, „Möbel“, „Displayelemente“ und „Körper“ durchsucht hat. Im Zentrum stehen sogenannte Begehrensräume, die Ausstellungsdisplays auf Messen nachempfunden sind und teilweise wie verbaute Theaterbühnen wirken. Mit dem Label „house of the very island’s“ hat Knebl, die sowohl textuelle Bildhauerei als auch Mode studierte, für die Ausstellung eine eigene Kollektion entworfen. Die „Capsule Collection“ besteht aus Kleidungsstücken lediglich in der Konfektionsgröße der Künstlerin*. Sie tritt auch höchstpersönlich in einer digitalen Installation auf: Die Besucher_innen können Knebl, die früher als Beuys’sche Fettecke posierte oder ihren nackten Körper als Picasso- oder Mondrian-Gemälde bepinseln ließ, via Smartphone als Avatar mit ausgestellten Werken interagieren lassen. Giacomettis Knochengerüst bekommt so endlich etwas zu essen verabreicht.
Interieur und Ausverkauf. 1963 fand die Ausstellung „Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus“ statt. Konrad Lueg und Gerhard Richter luden in ein Düsseldorfer Möbelhaus, wo ihre Arbeiten zwischen Sofas und Schrankwänden präsentiert wurden. Knebl beruft sich auf diesen schönen Titel und die Pop-Art sowie die Utopien der 1970er-Jahre und präsentiert Objekte wie Dekoration in Schrankwänden aus dunklem Holz als künstlerische „Wohnlandschaften“. Die Besucher_innen können in einer Sammlung von Platten mit fiktiven Covern blättern – aber sie nicht kaufen. Darf man das überhaupt anfassen? Und ist das gemütlich aussehende braune Cordsofa nun zum Sitzen gedacht, ist es Ausstattung oder künstlerisches Designobjekt? Die Ausstellungshalle wird zur Theaterbühne, genau wie der Concept Store im „richtigen“ Leben. Denn der urbane westliche Alltag ist spätestens seit dem glatten Apple-Look selbst für billige Bügeleisen und dem nüchternen Industriedesign der Bobo-Kaffeeröstereien so weit durchdesignt, dass die Grenzen zwischen Gebrauch und Alltagskunst längst aufgelöst sind. „Die Moderne beginnt um 1900 als ein aufklärerisches Projekt, das Rationalität und Fortschritt in die Kunst einführt“, heißt es im Wandtext der Ausstellung. Statt die zeitgenössische hilflose, auf die eigene Befindlichkeit gerichtete Frage „Was macht das Kunstwerk mit mir?“ zu stellen, macht Knebl etwas mit den Kunstwerken. Um Perspektiven zu verschieben, Ordnungssysteme und Regeln zu hinterfragen.
„Oh… Jakob Lena Knebl und die mumok Sammlung“ bis 22.10., Mumok Wien