Die beiden Kinder von ANTONIA WENZL sind seit ihrem ersten Lebensjahr in Ganztagsbetreuung. Im Vereinbarkeitshimmel ist sie trotzdem nicht.
Ein „Nach-Hause-geh-Kind“ möchte mein Kind sein, das sagt es mir immer wieder. „Nach-Hause-geh-Kinder“ sind die Kinder, die um 15.30 Uhr gehen und nicht zum „Spätdienst“ bleiben. Die Unterscheidung zeigt deutlich: Mit einem Ausbau von Ganztagsbetreuungsangeboten für Kinder, wie er auch in feministischen Kreisen gefordert wird, ist es nicht getan. Natürlich begrüße auch ich jeden weiteren Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten und jede Qualitätsoffensive in diesem Bereich. Gleichzeitig bin ich jedoch davon überzeugt, dass für echte Vereinbarkeit eine tiefgehende Reform unseres Sozialstaates sowie ein Kulturwandel unbedingt notwendig sind, auch was den Mythos der „guten Mutter“ betrifft.
Ich lebe mit meinem Partner und meinen Kindern (drei und acht Jahre alt) in Wien, wo das Angebot an institutioneller Ganztagsbetreuung bereits relativ gut ausgebaut ist. Eine Umfrage im Auftrag der Arbeiterkammer ergab 2018, dass es für drei Viertel der Volksschulkinder in Wien ein Ganztagsbetreuungsangebot gibt. Auch in den Krippen und Kindergärten sind Ganztagsplätze üblich (1), wenn auch definitiv noch nicht ausreichend vorhanden.
Meine beiden Kinder besuchen seit ihrem ersten Geburtstag Ganztagseinrichtungen, der Kindergarten schließt um 17:00 Uhr, die Ganztagsschule bietet Betreuung bis 17:30 Uhr an. Dazu kommt ein Job mit flexiblen Arbeitszeiten. Ich lebe quasi im Vereinbarkeitshimmel, habe die Strukturen zur Verfügung, die irgendwann landesweit ausgebaut werden sollten. Denn – so die Erwartung – wenn die Kinderbetreuungsangebote erst einmal da sind, werden Mütter Vollzeit arbeiten können, der Gender Pay Gap und die Altersarmut von Frauen werden sich reduzieren und alles wird gut, oder zumindest besser.
Gute Mutter. Die „gute Mutter“ holt ihre Kinder früh ab (oder kann diese Aufgabe delegieren) – der „gute Vater“ holt seine Kinder hin und wieder ab. Der Kindergarten meiner Tochter – es gibt dort ausschließlich Ganztagsplätze – schließt um 17:00 Uhr. Trotzdem werden neunzig Prozent der Kinder um spätestens 15:30 Uhr abgeholt. Das löst einen gewissen Druck aus, es auch so zu machen. „Weißt du, die arbeitet Vollzeit“, „Die ist Alleinerzieherin, deshalb kann sie nicht früher“ oder „Obwohl sie gar nicht arbeitet, holt sie trotzdem ihre Kinder so spät ab“, heißt es dann über die Handvoll Mütter, die später kommen.
2017 arbeiteten in Wien von den Müttern, deren jüngstes Kind zwischen vier und sechs Jahre alt war, zwölf Prozent Vollzeit, 36 Prozent waren teilzeitbeschäftigt und 46 Prozent waren nicht erwerbstätig (der Rest entfiel auf Selbstständigkeit oder andere Beschäftigungsformen). Inwiefern diese Zahlen mit dem Vorhandensein eines Ganztagsbetreuungsplatzes korrelieren, wurde leider nicht erhoben.
Zum Gute-Mutter-Mythos gehört es mittlerweile, gleichzeitig „nicht nur“ Mutter zu sein, sondern auch noch andere Ziele im Leben zu verfolgen und einen Beruf zu haben. Ob eine da mitspielen kann, ist von ihren Erwerbsarbeitsmöglichkeiten (falls sie zu den Lohnabhängigen gehört), von ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse sowie von der Verfügbarkeit familiärer und sozialer Netzwerke abhängig. Kann eine Mutter die Kinder nicht selbst abholen und hat es nicht geschafft, den Vater der Kinder dazu zu bewegen, das auch regelmäßig zu machen (ja, auch das liegt offenbar vielfach in der Verantwortung der Mütter), dann kann hoffentlich die Großmutter einspringen. Oder sie gehört zur Mittelschicht und kann eine Babysitterin bezahlen, die diese Aufgabe übernimmt. Gehört sie zur Oberschicht, hat sie vermutlich eine (hoffentlich angestellte) Haushaltshilfe, die dafür zuständig ist. Tendenziell wird, so die Beobachtung in meinem Umfeld, unbezahlte oder prekäre Arbeit eher auf weniger privilegierte Frauen umverteilt als zwischen den Geschlechtern.
Es wird besser? Je älter die Kinder, umso leichter wird es mit der Vereinbarkeit, heißt es – leider stimmt das nicht. Mit der Ganztagsschule wird es besser, hatte ich gehofft und zum Schuleintritt meiner Tochter optimistisch meine Arbeitsstunden auf fast Vollzeit (35 Wochenstunden) erhöht. Schon bei der Schulanmeldung empfahl die Direktorin, das Kind, besonders im ersten Schuljahr, um 15:30 Uhr abzuholen. Die Tage seien für die Kinder sehr anstrengend und sie müssten sich erholen. Da war es also wieder, mein geliebtes 15:30 Uhr – an das wir uns dann wieder nicht gehalten haben. Aber es braucht schon Selbstbewusstsein und Widerstandsfähigkeit, um diesem permanenten Druck standzuhalten.
Hinzukommt, dass sich die öffentliche Ganztagsschule (zumindest in unserem Fall) nicht als Betreuungseinrichtung versteht. Hat der Kindergarten eine Schließwoche pro Jahr, so hat die Schule neben 14 Wochen Ferien an rund 15 Tagen im Jahr Gründe (Konferenzen, Fortbildungen, erste Schulwoche, letzte Schulwoche etc.), am Nachmittag keinen Unterricht und keine Betreuung anzubieten und die Kinder zu Mittag zu entlassen. Im Notfall dürfen Eltern sich an die Direktorin wenden. Ich habe 25 Urlaubstage pro Jahr – ist das der Betreuungsnotfall, den sie meinen?
Männliche Norm. Warten wir nicht auf den Ausbau der Ganztagsbetreuung, denken wir schon jetzt weiter. Der Ausbau der Ganztagskinderbetreuung soll es mehr Müttern ermöglichen, in Vollzeit erwerbstätig zu sein, und sie damit aus der „Teilzeitfalle“ holen. Mehr Frauen würden damit auch in den Genuss der Existenzsicherung kommen, die unser Sozialstaat in erster Linie an durchgehende Vollzeiterwerbstätigkeit knüpft (existenzsicherndes Einkommen, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Krankengeld, ausreichende Alterspension etc.). Die Frauen sollen sich an die männliche Norm anpassen, ist die Botschaft. Dabei wird ignoriert, dass unserem Sozialstaat die heteronormative, patriarchale Idee der Familie eingeschrieben ist, in der der Mann erwerbstätig ist und die Frau (unsichtbar und unbezahlt) die Reproduktionsarbeit leistet. Wenn nun beide Eltern Vollzeit arbeiten und die Kinder während dieser Zeit außer Haus betreut werden, löst sich aber nicht die Frage der Reproduktionsarbeit. Schon gar nicht für Ein-Eltern-Familien, die beide Bereiche alleine schultern müssen. Es löst sich auch nicht die Frage, wer alle Termine für die Kinder koordiniert, wer sich ihren Ängsten und Sorgen widmet, in der Nacht aufsteht, wenn sie weinen, und bei ihnen bleibt, wenn sie krank sind und die Pflegefreistellungstage bereits aufgebraucht sind.
Anstatt Druck auf die Mütter auszuüben (die vielfach ohnehin schon an ihrer Belastungsgrenze leben), ihre Erwerbsarbeitsstunden zu erhöhen, sollten wir Druck auf Väter ausüben, ihre Arbeitszeit zu reduzieren bzw. sollten Väter selbst diese Arbeitszeitreduktion vehement einfordern. Wir sollten außerdem über Elternteilzeit mit Lohnausgleich nachdenken und die Dreißig-Stunden-Woche für alle fordern.
Antonia Wenzl ist müde und kann es trotzdem nicht lassen, ihre kaum vorhandene Freizeit dem Kampf für mehr selbstbestimmte Zeit für Mütter zu widmen. U. a. macht sie das auf „umstandslos – Magazin für feministische Elternschaft“.
(1) 87 Prozent der Kindertagesheime hatten im Jahr 2018/19 je Betriebstag zehn Stunden oder länger geöffnet.
2 Kommentare zu „30-Stunden-Woche“
Danke für den Artikel. Nur eine Anmerkung: Keine 30 Stunden, 20-Stunden-Woche für alle reicht vollkommen!!!!
Sie haben so recht mit ihren Worten… Ich habe mich wiedergefunden… Bin selbst Mutter dreier Kinder…12, 5 und 4… Die grosse ist sogar schwerbehinderte mit muskelschwund und auf den Rolli angewiesen… Trotzdem arbeite ich vollzeit weil irgendwer das Leben bezahlen muss… Männer ziehen sich gerne aus sämtlichen verantwotungen raus… Frauen hingegen bekommen immer mehr drauf… In jedem Fall immer mehr Druck…. Einheitliche 30 Stunden Woche könnte helfen aber was machen wir wenn der Kita dann nur die abdeckt… Dann sind wir irgendwie im gleichen Dilemma… Eine gute Mutter zu sein ist gar nicht so einfach…
Lg