An Universitäten kämpft der „Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen“ – ehrenamtlich – gegen Diskriminierung. Julia Pühringer im Gespräch mit Sabine Weißensteiner 1 über gefürchtete Gremien und unerschrockene Täter.
Was geschieht, wenn sich Betroffene beim Arbeitskreis für Gleichbehandlung an einer Universität melden? „Viele haben Angst vor negativen Konsequenzen, empfinden Scham, Ohnmacht, Schuldgefühle und Selbstzweifel“, da spricht Sabine Weißensteiner aus Erfahrung. Seit über zehn Jahren ist sie im Arbeitskreis tätig. Und es stimmt: Letztlich müssen als Konsequenz ausgerechnet eher die Opfer von Übergriffen ihr Verhalten verändern und sich einschränken, und auch die Aufarbeitung lastet letztendlich auf ihren Schultern.
an.schläge: Auf der Seite des Arbeitskreises für Gleichberechtigung (AKG) einer österreichischen Universität ist zu lesen: „Die tatsächlichen Möglichkeiten werden besprochen“ – das klingt wenig ermutigend. Was sind denn die „tatsächlichen Möglichkeiten“?
Sabine Weißensteiner: Es hängt von der Universität ab, wie ernst der AKG genommen wird. Er ist schon ein gefürchtetes Gremium – natürlich mehr bei den Männern als den Frauen. Man will nicht vom AKG angesprochen oder in den AKG gerufen werden. Als Mitglied im Arbeitskreis ist es jedenfalls sehr wichtig, dass man Entschlossenheit zeigt, sonst wird man ständig an die Wand gefahren. Was der AKG unbedingt braucht, ist Rückendeckung vom Rektorat. An unserer Uni ist das glücklicherweise der Fall. Der Grundsatz muss lauten: „Bei uns gibt es das nicht“, und nicht: „Na schauen wir uns das einmal an, vielleicht war das ja gar nicht so schlimm.“
Wie ist der Arbeitskreis besetzt?
Drittelparitätisch, also Professor:innen, Mittelbaukurie und Studierende zu gleichen Anteilen. Es ist tatsächlich nicht einfach, Mitarbeiter:innen in den AKG zu holen. Die Tätigkeit ist unbezahlt, also ehrenamtlich, wie sämtliche Gremienarbeit an Universitäten. Man kann sich damit nicht profilieren, viele wollen sich nicht damit herumschlagen, es kommt auch im Lebenslauf nicht fesch daher. Es ist nicht leicht, Leute zu finden – wer hat überhaupt die Kompetenzen, das Feingefühl, das Interesse. Außerdem ist es wichtig, dass der AKG niederschwellig ist und sehr offen. Das beginnt ganz simpel: Der AKG muss gut zu finden sein. Aber dabei nicht so zu finden, dass alle sehen können, wenn man zur Tür reingeht: Aha, die geht zum AKG.
Wie läuft das ab, wenn sich jemand bei Ihnen meldet?
Wir führen das erste Gespräch, klären vorher ab, ob wir mitschreiben und den Namen verwenden dürfen. Es gilt absolute Geheimhaltung. Dann gehe ich ins Rektorat und sage, dass es Handlungsbedarf gibt. Wir stellen den Kontakt zum Gewaltschutzzentrum her, bieten an, gemeinsam hinzugehen, manche wollen das, manche nicht. Wir arbeiten eng mit dem Gewaltschutzzentrum zusammen, mit Juristinnen, die ganz genau wissen, wie das funktioniert, wenn es zur Anzeige kommt. Wenn das Gewaltschutzzentrum mit dem Opfer zur Polizei geht, ist das etwas ganz anderes, als wenn das Opfer allein geht. Das ist auch der Grund, warum wir nie die Polizei rufen.
Wie lange begleitet man dann ein Opfer?
Die Fälle sind so individuell, dass man auch individuelle Lösungen finden muss. Ich habe Studierende auch schon über Jahre begleitet, eine Betroffene ist noch immer nicht an die Uni zurückgekommen. Man versucht dann auch mit anderen Universitäten zusammenzuarbeiten. Aber der Mut zum Reden, der Mut, einen Vorfall zu melden, ist ein wahnsinniger Kraftaufwand für die Betroffenen. Selbst bei einer Verurteilung ist das schon vorgekommen: Die Täter gehen ihrem Studium weiter nach, während die Opfer ihnen traumatisiert aus dem Weg gehen. Dann wohnen auch alle in derselben Stadt, treffen sich bei denselben Veranstaltungen. Der Radius der Opfer wird total eng.
Reicht denn der Arbeitskreis oder bräuchte es noch andere Werkzeuge?
Bei manchen Dingen hat man eine schlechte Handhabe. Man kann z. B. dem Täter Hausverbot geben, darf aber Studierende nicht am Studium hindern. Das ist ein heikler Punkt.
Im Grunde wäre wünschenswert, dass sämtliche Lehrende von der Volksschule bis zu den Universitätslehrenden zu einer Ausbildung verpflichtet werden, wie man in der Lehre mit bestimmten Themen umgeht. Wir machen zum Teil auch solche Veranstaltungen. Viele wissen gar nicht, was Rassismus ist oder wo Mobbing schon anfängt, nämlich auch bei jenen, die zuschauen und nichts sagen.
Stehen die Unis auch in Austausch?
Alle AKGs sind in Austausch, es gibt immer wieder Treffen, da berät man sich auch gegenseitig, klopft Fälle auf der juristischen Ebene durch. Einmal war auch der sogenannte Einzelunterricht Thema. Da gab es ja in Deutschland einen Skandal, wo der Professor an einer Schauspielschule „gezeigt“ hat, wie man eine Vergewaltigung wirklich spielt, das ist erst vor zwei Jahren publik geworden. Ich bin dafür, dass es keinen Einzelunterricht geben sollte, schon gar nicht in geschlossenen Räumen, das muss auch anders gehen. Selbst wenn es eine gewisse Körperlichkeit braucht, kann Nähe auch sachlich sein, man kann das sehr wohl unterscheiden.
Und wie verläuft in der Regel ein Gespräch mit einem Täter?
Die Reaktionen kann man sich eh vorstellen, die reichen von „Die fantasiert“ bis zu „Das ist alles gar nicht passiert“. Ich frage dann immer: „Welche Lösungen gäbe es denn jetzt für dich?“, und versuche, die Verleugnung zu ignorieren, eine Situation herzustellen, in der etwas geschehen muss. Ich erkläre auch, dass das Gespräch unter uns und in diesem Raum bleibt, aber dass Handlungen gesetzt werden für das Opfer. Kaum sagt man: „Wie gehen wir denn jetzt weiter vor?“, kommen plötzlich ganz andere Ansätze. „Es war gar nicht so schlimm“, das ist schon etwas anderes als „Es war gar nichts“.
Der Täter weiß ja oft, wer geredet hat. Wie geht man damit um?
Das ist natürlich schrecklich, auch wenn das Opfer anonym bleiben will. Denn die Täter wissen sehr wohl, wer ihre Opfer sind, und da gilt es, die Leute zu schützen. Das ist ganz schwierig. Es gibt auch Täter, die dann so seltsam herumfragen, weil es eben nicht bei einem Mal geblieben ist und es mehrere Opfer gibt, die etwas gesagt haben könnten. Nichtdestotrotz sind die Täter oft sehr unerschrocken. Sie wiegen sich in einer relativen Sicherheit, dass eh nicht viel passiert. Deshalb ist es auch enorm wichtig, da wirklich beharrlich zu sein. Wenn einmal publik wird, dass es Konsequenzen gibt – das verändert etwas.
Da hat schon auch #MeToo den Diskurs verändert, oder?
Es ist ein gewisses Tabu gefallen, auch wenn es noch immer schwer für die Opfer ist, darüber zu reden. Aber man weiß mittlerweile: Ja, ich kann darüber reden, ich bin nicht die Einzige und es liegt nicht an mir.
Julia Pühringer, Journalistin und Filmkritikerin, beschäftigt sich u. a. mit Genderfragen im Film- und Serienbereich.
1Name geändert, Sabine Weißensteiner möchte zum Schutz ihrer Arbeit und der Opfer anonym bleiben.
Der „Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen“ ist seit 2002 rechtlich im österreichischen Universitätsgesetz verankert. „An jeder Universität ist vom Senat ein Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen einzurichten, dessen Aufgabe es ist, Diskriminierungen durch Universitätsorgane aufgrund des Geschlechts sowie aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung entgegenzuwirken und die Angehörigen und Organe der Universität in diesen Angelegenheiten zu beraten und zu unterstützen“, so steht es im Gesetz.