Ist Alleinreisen für Frauen gefährlich? Betania Bardeleben war auf dem Fahrrad von Ägypten bis nach Wien unterwegs und stellt sich diese Frage immer wieder.
Schon seit Stunden bin ich allein auf der Schotterstraße in den Bergen Nordkurdistans unterwegs. Ich bin vor Morgengrauen gestartet, um ein paar Stunden ohne sengende Sonne zu genießen. Außer dem Wind ist alles um mich herum ruhig. Nichts bewegt sich. Schließlich höre ich hinter mir einen Motor, der langsam lauter wird. Ich drehe mich beim Fahren um und sehe, dass sich ein Auto genähert hat. Die zwei Männer darin schauen mich ausdruckslos an und fahren mehrere Minuten langsam hinter mir. Komm schon, fahr vorbei, denke ich mir. Ich will mich auf die steile Bergstraße und die physische Anstrengung konzentrieren. In der kargen Natur zu fahren kann sehr meditativ sein. Die hundert, tausend Kilometer, die ich auf dem Fahrrad zurücklege, sollen Spaß machen. Stattdessen bin ich ständig damit beschäftigt, mir Sorgen um meine Sicherheit zu machen. Zu dem Zeitpunkt bin ich bereits vier Monate lang unterwegs, gestartet war ich in Ägypten. Doch erst seit einer Woche ist mein früherer Reisepartner nicht mehr dabei und ich bin – als Frau – allein unterwegs.
Ich habe kein Messer und keinen Pfefferspray dabei. Ich war schon oft allein mit dem Rucksack unterwegs und bin dabei auch getrampt, aber fühlte mich dabei nie unsicher. In keiner Reisesituation habe ich die Bedrohlichkeit von männlich gelesenen Personen so zu spüren bekommen wie auf dieser Fahrradreise. Was bedeutet ein gesundes Gefahrenbewusstsein, wenn man sich nicht von der Angst vor Männern einschränken lassen möchte?
UMWEGE UND KLARE GRENZEN. An einem anderen Tag rufen mir Männer von einer abgelegenen Tankstelle aus etwas auf Türkisch zu. Ich verstehe, dass ich zu ihnen ins dunkle Tankstellenbüro kommen und Tee trinken soll. Ich ignoriere sie, woraufhin sie lauter und verärgerter rufen und mir schwerfällig hinterhertraben. Aber auf dem Rad bin ich schneller. Nach dieser Begegnung entscheide ich mich, einen vierzig Kilometer langen Umweg über eine viel befahrene Autobahn zu nehmen, um zu einem größeren Ort zu kommen. Nur, um nicht zelten zu müssen. Um in einem Zimmer zu schlafen, das man abschließen kann. Diese Entscheidung fühlt sich an wie Versagen und den ganzen Abend denke ich an die Begegnungen, die ich mir durch diese Entscheidung entgehen lasse.
Ist Alleinreisen für Frauen nicht viel zu gefährlich? Sara Qui kann diese Fragen nicht mehr hören. Die Spanierin mit chinesischen Wurzeln ist im April 2022 von ihrer Heimatstadt Saragossa aus in Richtung China gestartet und seitdem allein mit dem Rad unterwegs. Frauen, Männer, Kinder aller Länder fragen: Hast du keine Angst? „Ich kann nicht anders, als etwas traurig zu werden, wenn sie mich das fragen. Natürlich habe ich Ängste und ich habe auch meine Vorurteile. Ich versuche, aufmerksam zu sein, die Ängste zu reflektieren. Wir sind alle von Natur aus risikoscheu“, sagt sie.
„ES WIRD ALLES GUT“. Die Südtirolerin Anna Palmann ist auf einer ihrer Solotouren von ihrer Heimat aus bis nach Georgien geradelt. „Es ist ein Balanceakt zwischen auf der Hut sein und sich trauen. Wenn ich jemanden frage, ob ich im Garten zelten kann, werde ich oft nach Hause eingeladen. Das nehme ich nur an, wenn es auch Frauen im Haushalt gibt. Allein reisen ist schon anders, wenn man kein Mann ist. Beim Trampen am Bein berührt und nach einem Kuss gefragt zu werden, kann schon mal passieren. Da sagt man einfach nein und fertig. Man darf diesen Personen nicht erlauben, sich abschrecken oder traumatisieren zu lassen.“
In manchen Ländern nutzte es, zu behaupten, sie sei verheiratet und einen „Ehering“ am Finger zu tragen. In Ostafrika hat das wenig gebracht. „Da hieß es dann: I don’t care, give me sex“, erzählt Anna. Ihre Abweisung wurde aber respektiert. „Abgesehen von den Gedanken um meine Sicherheit empfand ich das Fahrradfahren als empowernd. Mehr als das Autostoppen, weil man vollkommen unabhängig ist und nicht als hilflos wahrgenommen wird“, findet sie.
Vielleicht bekomme auch ich als Fahrradreisende Respekt, wenn ich erzähle, dass ich den Weg von Ägypten bis hierher aus eigener Kraft gefahren bin. Vielleicht schüchtere ich Männer so ein, vielleicht nicht. Aber ich werde definitiv anders angeschaut.
Auch Hannah Birke ist mit dem Rad unterwegs, von Berlin aus in die Osttürkei. Wenn Hannah abends durch Dörfer in der Balkanregion fährt, in denen nur betrunkene Männer auf der Straße sind, kommen Gefühle des Ausgeliefertseins hoch. Dann versucht sie so zu tun, als ob sie ein Mann wäre. „Wenn hinter mir ein Auto langsam gefahren ist, habe ich mich aufgeplustert und bin gefahren wie ein Mann“, sagt sie grinsend. Nachts im Zelt versucht sie sich einzureden, ihre Ängste seien unberechtigt. „Ich hab mir Ohrstöpsel in die Ohren getan, um keinen Mucks mehr zu hören, alles still zu machen. Mir gesagt: Rational betrachtet gibt es keine Gefahr und Angst ist irrational.“ Dazu überredet sie sich, um den Schlaf nicht den Sorgen zu opfern. Sie will daran glauben, dass alles gut wird.
EINEN GANG RUNTERSCHALTEN. Sich allein auf den Weg zu machen, lohnt sich jedenfalls. Für einige Zeit konnte ich mich so der Schnelllebigkeit der Welt und ihrem Produktivitätsdrang entziehen. Immer noch werden Frauen eher bemitleidet, wenn sie Zeit allein verbringen.
Ich litt viele Jahre lang unter Essstörungen und kann immer noch nicht behaupten, ganz davon weg zu sein. Bewegung und Schreiben wurden für mich zu dem, was einer Therapie am nächsten kam. Diese lange Fahrradtour war perfekt für mich. Nach einigen Wochen auf dem Rad bekam ich erstmals in meinem Leben meine Periode verlässlich jeden Monat. Es tat gut, den ganzen Tag in frischer Luft in Bewegung zu sein und zu staunen, was mein Körper kann, ohne ihn für sein Äußeres zu bewerten. Die Gefühle und Begegnungen des Tages festzuhalten und Zeit zu haben, das Erlebte zu reflektieren. Endlich wieder zu lernen, intuitiv zu essen. Mit jedem Kilometer und Höhenmeter die Kraft des eigenen Willens zu spüren. Die Befriedigung, seine zwei Outfits abends mit der Hand zu waschen. Das Rad selbst zu reparieren. Ein Feuer zu machen, wenn es nachts kalt wird. Endlich wieder durchzuschlafen. Das tat gut.
Es ist ein riesiges Privileg, alleine reisen zu können, die nötigen Mittel und den Reisepass dafür zu haben. Die Gründe, um eine Solotour zu starten, mögen individualistisch motiviert sein. Aber ich stelle schnell den entscheidenden Vorteil des Fahrrads fest: Menschen wollen einem nahekommen. Sie sehen eine Geschichte, sehen die Situation, sind offen für Gespräche und laden in ihre Häuser ein, kommen auf einen zu. Auf diese Weise kann man unabhängig reisen, ohne sich den Leuten aufzudrängen.
Keine Angst zu haben kann helfen, Vorurteile abzubauen. So wurde mir riesiges Vertrauen entgegengebracht. Auch unterwegs mit meinem männlichen Partner durften wir im Raum neben den Kindern der Familie schlafen. Obwohl wir die Menschen nicht kannten. Durch die Nähe zu den Leuten lernten wir ihren Alltag und ihr Leben auch in abgeschiedenen Gemeinschaften kennen und begegneten Menschen, deren Wege sich sonst nicht mit dem unseren gekreuzt hätten. Der ganze Weg nach Hause bis Wien war gepflastert mit unerwartet schönen menschlichen Begegnungen. Etwas Schlimmes ist nie passiert.
Es gibt allerdings Ängste, die durchaus angebracht sind. Entgegen der viralen #ManOrBear-Umfrage, wonach die überwiegende Mehrheit der befragten Frauen lieber mit einem Bären als einem Mann nachts alleine im Wald wäre, meint Hannah: „Die Straßenhunde und in manchen Gebieten die Bären sind eine reale Gefahr. Da ist Wegrennen sinnlos.“ Wer also plant, eine Soloreise zu starten – packt euch Bärenspray ein.
Betania Bardeleben studierte Kultur- und Sozialanthropologie und Türkisch-Deutsch Sozialwissenschaften in Wien, Ankara und Berlin und lebt heute als freie Journalistin und Yogalehrerin wieder in Wien.