Ukraine-Krieg und Aufrüstungspolitik spalten progressive Kräfte. Muss der Pazifismus unter allen Umständen hochgehalten werden? Von BRIGITTE THEISSL
In Kriegsnarrativen werden Frauen oft als Opfer dargestellt. In Wirklichkeit spielen sie aber auch eine Schlüsselrolle in den Widerstandsbewegungen.« Widerständig, so sehen sich auch die ukrainischen Feministinnen hinter dem Manifest „The right to resist“, das sie im Sommer 2022 veröffentlichten. Vier Monate liegt der Überfall Russlands auf die Ukraine zu diesem Zeitpunkt zurück, Putin hat seine Truppen bereits aus dem Großraum Kiew abgezogen. Der ukrainische Widerstand ist stark, es zeichnet sich ab, dass der Krieg ein langer werden könnte.
„The right to resist“ ruft Feministinnen weltweit dazu auf, den Kampf gegen den russischen Aggressor und für die Wahrung der Menschenrechte zu unterstützen.
Es sei ein Kampf für einen „gerechten Frieden“, der auf der „Selbstbestimmung des ukrainischen Volkes“ beruhe, „sowohl in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten als auch in den vorübergehend besetzten Gebieten, in denen die Interessen von Arbeiter*innen, Frauen, LGBTIQ+-Personen, ethnischen Minderheiten und anderen unterdrückten und diskriminierten Gruppen berücksichtigt werden.“ Dieses Recht auf Selbstverteidigung, so formulieren es die Autorinnen, schließe auch die Verteidigung mit Waffengewalt mit ein.
Das Manifest, publiziert auf „Commons“, einem linken ukrainischen Medienportal, erscheint nicht aus heiterem Himmel. Es ist eine Reaktion auf ein vorangegangenes Papier, das viele ukrainische Feministinnen vor den Kopf gestoßen hat. „Feminist Resistance Against War – A Manifesto“ richtete sich im März an eine globale Öffentlichkeit – unterzeichnet von einer ganzen Reihe prominenter Feministinnen: US-Philosophin Nancy Fraser etwa, ihre Kollegin Cinzia Arruza oder die argentinische Aktivistin und Wissenschafterin Luci Cavallero. „Wir fordern eine mutige Neuausrichtung der Situation, um die von Russland initiierte und von der NATO unterstützte militaristische Spirale zu durchbrechen“, schreiben die Unterstützerinnen. Krieg, so ist darin zu lesen, sei unvereinbar mit den Werten und Zielen einer feministischen Bewegung: „Wir stehen für Frieden, Koexistenz der Völker und eine demokratische Lösung von Konflikten.“
Dass es für Krieg keine feministischen Mehrheiten gibt, darüber müssen wohl nicht erst Debatten geführt werden. Für die ukrainischen Feministinnen, die das „right to resist“ einfordern, ist er aber Alltag. „Unser Eindruck ist, dass feministische Theorien und Positionen benutzt werden, um eine Ablehnung des ukrainischen Widerstands zu kaschieren“, sagt Oksana Dutchak, eine der Initiatorinnen, im Interview mit Medico International. Einen Dialog mit Aktivist:innen in der Ukraine habe es nicht gegeben, kritisiert Dutchak, unter den Unterstützerinnen des Anti-Kriegs-Manifests findet sich keine einzige. „Was hat es mit Feminismus zu tun, andere über eine Situation zu belehren, von der man selbst nicht betroffen ist?“, fragt sie.
„Moralisch überlegen“. Drei Jahre liegt die Veröffentlichung der beiden Manifeste inzwischen zurück, der zentrale Konflikt aber ist nach wie vor brandaktuell. Die weltpolitische Lage hat sich deutlich zugespitzt: In Washington regiert nicht mehr Joe Biden, sondern ein unberechenbarer Faschist, in Europa stellt sich die Frage, ob die USA noch ein Verbündeter ist. Welche Strategie muss eine feministische Friedensbewegung nun verfolgen – und hält ein abstrakter Pazifismus den realpolitischen Anforderungen stand?
„Ich sehe feministische Friedenspolitik nicht als eine pazifistische Haltung. Ich glaube an das Recht der unterdrückten Völker auf Widerstand“, sagt Selin Cagatay im an.schläge-Interview. Cagatay ist interdisziplinäre Forscherin an der Central European University in Wien und hat das Manifest der Ukrainerinnen unterzeichnet. Weil sie sich solidarisch zeigen und auch ein Zeichen setzen wollte, sagt sie, gegen das Anti-Kriegs-Manifest, das „eine moralisch überlegene Position“ formuliere, während es „nichts Konkretes über die Lebensrealitäten der Menschen im Krieg“ aussage. Der Nato-Politik stehe sie selbst sehr kritisch gegenüber, betont Cagatay, aber eine Initiative, die russischen Imperialismus nicht als Problem sehe, könne sie nicht unterstützen.
Mit ihrer Absage an den Pazifismus vertritt Cagatay innerhalb – linker – feministischer Bewegungen keinen besonders populären Standpunkt. Auch wenn Feministinnen eine Marginalisierung friedenspolitischer Positionen innerhalb des Feminismus beklagen – die Opposition zu Krieg und Gewalt, zu Waffen und Rüstungsindustrie ist geradezu in seine DNA eingeschrieben und historisch gut begründet.
Eine Debatte zu realpolitischen Verhältnissen, die über Appelle an eine Friedenssicherung hinausgehen, macht das jedoch bisweilen schwierig.
Der Friedensbegriff selbst ist indes seit Jahren auf politischer Bühne heiß umkämpft. Es sei „verstörend“, dass der „einzige laut zu vernehmende Friedensdiskurs“ von rechts komme, sagt Zeithistorikerin Lucile Dreidemy im Interview mit „Tagebuch“ – und kritisiert die gegenwärtige Aufrüstungspolitik ebenso wie ein Infragestellen der österreichischen Neutralität scharf.
Braune Friedenstaube. Tatsächlich gerieren sich Rechte neuerdings als friedensbewegt. „Echte Friedenspolitik gibt es nur mit der FPÖ!“, postete Parteichef Herbert Kickl vergangenen Herbst auf Facebook und erinnerte an „wichtige Persönlichkeiten“ in der Geschichte, die die Welt vor einer Katastrophe bewahrt hätten. Einreihen will sich dort ausgerechnet jene FPÖ, die 2016 einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“ schloss.
Mit Friedenstaube auf dem Profilfoto inszeniert sich indes auch Björn Höcke im Frühjahr 2022: „Die Kriegsrhetorik auf allen regierungsnahen Medien ist unerträglich geworden. Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich — aber es ist nicht unser Krieg!“, so der nationalistische Pseudo-Pazifismus der Marke AfD, der auch auf Stimmenmaximierung setzt. Auch abseits der Sympathien für den russischen Autoritarismus, der Frauen- und LGBTIQ-Rechte mit Füßen tritt, kommt nationaler Egoismus schließlich gut an unter den Wähler:innen – wie nicht zuletzt Trump mit seinem Schwenk hin zu einer nicht-interventionistischen „America first“-Politik demonstrierte.
Grüne Bewaffnung. Auf der anderen Seite haftet indes ausgerechnet den deutschen Grünen das Image der kriegslüsternen Partei an. Alice Schwarzer, die gemeinsam mit Sahra Wagenknecht mit ihrem „Friedensappell“ durchs Land zieht, bezeichnete Annalena Baerbock in einem Interview mit der „NZZ“ als „Kriegsministerin“. Tatsächlich unterstützten 72 Prozent der Grünen-Anhänger:innen im Frühjahr 2022 die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine – mehr als in jeder anderen Partei. Das mag überraschen angesichts der Bilder von Friedensmärschen und Anti-Atom-Aufnähern, die immer noch eng verbunden sind mit der Öko-Partei. Tatsächliche Pazifist:innen (wie etwa Petra Kelly) hätten jedoch stets nur eine Minderheit gestellt, sagt Ralf Fücks dazu in der „ZEIT“. Unterstützung für Freiheitskämpfe und den gewaltsamen Widerstand gegen Diktaturen habe es hingegen immer gegeben, so formuliert es der 2024 aus dem Bundestag ausgeschiedene Jürgen Trittin. Wenn Russland nicht besiegt wird, wird Putin auch vor den baltischen Staaten nicht Halt machen, so die Befürchtung.
DRITTER Weltkrieg? In der Linken wird freilich scharfe Kritik geübt am Kurs der Grünen. Nichts fürchte Außenministerin Baerbock mehr als die Kriegsmüdigkeit, sagt Ingar Solty, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in einem Vortrag im November 2022.
„Jeder Krieg in der Geschichte hat die Linke gespalten“, sagt Solty, und spielt in dreißig Minuten zentrale Konflikte seit 1914 durch. Seine Kritik gilt einer „individuellen, an Menschenrechten orientierten, moralischen“ Sicht auf Krieg, dem gegenüber stehe eine friedens- und sicherheitspolitische Perspektive. Wenn Deutschland und Europa sich nicht für Verhandlungen statt für Waffenlieferungen einsetzen, warnt Solty, bestehe die Gefahr, wie einst 1914 „in einen dritten Weltkrieg schlafzuwandeln.“ Die Aufrüstung geschehe aus wirtschaftlichen Interessen, die vermeintliche Bedrohung durch Putins Politik für ganz Europa ist für Solty hingegen vorrangig ideologische Angstmacherei.
„Trump nach Telefonat mit Putin: Kein sofortiger Frieden“, so die Schlagzeile Anfang Juni, die fast schon zynisch anmutet. Während uns Militärexperten im Frühjahr 2022 täglich in Kriegsstrategie schulten, ist der Ukrainekrieg inzwischen in den Hintergrund gerückt – zumindest die Geschichten der Getöteten, Verletzten, Geflüchteten. Laut Schätzungen westlicher Geheimdienste wurden bisher bis zu 100.000 ukrainische Soldat:innen getötet. Auf der russischen Seite geht ein Nato-Beamter von rund 250.000 Toten aus. Sich als Feminist:innen darauf zurückzuziehen, dass das Militär als patriarchale Institution abzulehnen sei, wird schlichtweg nicht reichen.