Gemeinschaft von Verschiedenen: Die „Recht auf Stadt“-Bewegung stellt sich gegen die Privatisierung von öffentlichem Stadtraum. Von GABU HEINDL
Ein Blick auf Wikipedia: Dort werden Commons definiert als „globales öffentliches Gut“, das charakterisiert ist durch Nicht-Ausschließbarkeit und Nicht-Rivalität. Das heißt, dass niemand vom Konsum des globalen öffentlichen Gutes ausgeschlossen werden darf und dass es zur gleichen Zeit von verschiedenen Individuen konsumiert werden kann. Der dänische Stadtplaner Jan Gehl – verantwortlich für das Konzept shared space, auf dem etwa die Begegnungszone auf der Wiener Mariahilfer Straße beruht – versteht öffentlichen Stadtraum insgesamt als „literal commons“: als gemeinschaftlich genutzte urbane Fläche.
Recht auf Stadt. Gerade dieser Sicherung des freien Zugangs und insbesondere dem Schutz vor Kommodifizierung (vor dem Zur-Ware-Machen, der Kommerzialisierung) von Urbanität hat sich die „Recht auf Stadt“-Bewegung verpflichtet. Basierend auf Henri Lefebvres kanonischem Text „Le droit à la ville“ (1968) geht es bis heute um freien Zugang zu Urbanität mit allem, was dazugehört: Kunst, Kultur, Feste, öffentlicher Raum, Mobilität, leistbarer Wohnraum in guter städtischen Lage. Kein Teil der gemeinsam hergestellten Stadt darf Menschen ausschließen. Das heißt, VertreterInnen eines bestimmten Bezirks oder Viertels dürfen zum Beispiel nicht verkünden, bei ihnen dürften sich keine Asylsuchenden niederlassen. Vielmehr ist in der globalisierten Stadt, in der wir heute leben, der öffentliche Stadtraum ein im starken Sinn globales öffentliches Gut – also für alle da, ungeachtet ihrer Herkunft. Zudem ist die Herstellung und Erhaltung von Urbanität als kollektive Handlung ein Commoning. Und nicht zuletzt ist Urbanität der Zustand des (In-der-)Stadt-Seins, ein Commons. (Und dann wäre natürlich zu klären, was Stadt ausmacht: Manche sagen, es sind touristische Hotspots; ich würde etwa die Mischung von Anonymität und Nähe als Kriterium bevorzugen.)

Gefährdete Freiräume. Die Nicht-Ausschließbarkeit gilt auch für den Zugang zu Freizeitorten – ohne Konsumzwang. Auch das ist zwar selbstverständlich, aber in der urbanen Realität leider keineswegs selbstredend: Erinnern wir uns etwa an die Vertreibung von Obdachlosen aus dem Wiener Stadtpark 2013 oder generell an die laufenden Prozesse der Kommerzialisierung von öffentlichem Raum.
Womit wir beim Punkt sind: Commons sind durchaus gefährdet durch die gegenwärtige neoliberale Unterordnung jeder Lebens- und Wissensform unter die Logik des Marktes. Es ist leider schon ohne Science Fiction vorstellbar, dass es Zugang zu Wasser, zur Natur, zu Bäumen nur noch gegen Bezahlung gibt. Allerdings sollten wir Neoliberalisierung nicht vorschnell auf Privatisierung reduzieren. Öffentliche Commons sind zwar privater Aneignung unterworfen – aber: An dieser Aneignung sind staatliche, administrative, insbesondere bürokratische AkteurInnen maßgeblich mitbeteiligt. Sprich: Neoliberalismus ist immer auch ein Ergebnis von Politik und ihren Setzungen. Deshalb richten sich nun einige Hoffnungen auf Commons als eine Alternative zum Privaten wie auch zum Staat. Allerdings: Wir sollten uns Commons nicht zu sehr als „sauber getrennt“ von diesen beiden Polen vorstellen. Denn zum einen sind unter Bedingungen der (National-)Staatlichkeit von Gesellschaften staatliche Institutionen oder die „öffentliche Hand“ Kräfte, die Commons zwar nicht produzieren, aber ihnen Schutz vor Kapitalisierung bieten (können). Zum anderen sind Commons längst häufig Teile von Kapitalökonomie, etwa in Form von Urbanität, die, zugerichtet oder wahrgenommen als Lifestyle, zur kommodifizierten Erlebnisdienstleistung auf globalen Tourismusmärkten wird.
Migrantische Wurzeln. Umso wichtiger ist es, das Potenzial der Commons auch in der Stadtplanung politisch zu definieren. Gerade in Zeiten von Urban-Gardening-Flächen für weiße Mittelschichten, offenen Bücherschränken oder Food Coops gilt es, die historische Verknüpfung von Commons und Klassenkämpfen zu reflektieren und zu aktualisieren. Und natürlich muss mensch Marx lesen, aber feministisch. Als Gewährsfrau dient mir hier Silvia Federici, die an Marx kritisiert, dass er die Reproduktionsarbeit unterschlagen hat. Denn es waren und sind Frauen, die an vorderster Front im Kampf um freie Nutzung natürlicher Ressourcen (Land, Wasser, Wälder) stehen. Federici untersucht beispielsweise die Kämpfe von Frauen gegen Formen des Landraubs, aber sie ruft auch die Entstehungsgeschichte von Urban Gardening in Erinnerung, das in den 1980ern in den USA als Initiative migrantischer Communities begann.
Eine nachhaltige Politik der Commons basiert also auf der aktiven Verhinderung von Privatisierung. Nun macht aber Privatisierung von Gemeinschaftsgütern heute auch vor Wien nicht Halt. So war der Verkauf der Grundstücke der Schrebergärten in diversen Wiener Kleingartensiedlungen seit 2011 an EinfamilienhauseigentümerInnen ein Musterfall für Privatisierung von Land, das früher nicht nur zur eigenen Obst- und Gemüseproduktion, sondern auch als Teil der „grünen Lunge“ Wiens gedacht war – die je privatisierter, umso mehr abgeholzt wird.

Spekulationsfreier Boden. Der Entkapitalisierung von Allgemeingut widmen sich heute diverse Initiativen, in Hinblick sowohl auf Land als auch auf Wohnraum. So arbeiten die Stiftung trias in Deutschland oder die junge Stiftung Rasenna in Österreich an der Entziehung von Grundstücken aus der kapitalistischen Verwertungslogik, indem sie Grundstücke für die Stiftung erwerben und sie ausschließlich in (Erb-)Baurecht zur Nutzung weitergeben. Es gibt also nur Bodennutzungsrecht, kein Eigentum am Boden, das Spekulation ermöglichen würde. Die neue Genossenschaft WoGen versammelt neue Wohnprojekte, die in partizipativer Planung und in Gemeinschaftseigentum entwickelt werden – zur Unterstützung gemeinschaftlicher, selbstbestimmter Wohn- und Lebensformen. Anders funktioniert das Mietshäuser Syndikat in Deutschland: Dieser Solidarzusammenhang hat ebenfalls die Entprivatisierung von Häusern zum Ziel und unterstützt die Finanzierung von selbstorganisierten Hausprojekten. Als Pendant in Österreich versucht habitat in Linz etwas Ähnliches.
Investitionsdruck auf öffentlichen Raum. Verhinderung von Privatisierung heißt aber auch Protest. So manche BürgerInneninitiative protestiert gegen die Privatisierung und Kommodifizierung von öffentlichem Stadtraum, in Wien etwa gegen die Kommerzialisierung der Praterwiese und der Donaukanalwiese. Das private Geschäft mit Urbanität und somit der Investitionsdruck auf öffentlichen Raum und Freiraum intensiviert sich nicht zuletzt durch massives Stadtwachstum: Wien wird ein Wachstum von 15.000 neuen EinwohnerInnen pro Jahr vorausgesagt.
Das stellt Planung, Verwaltung und Politik vor Herausforderungen: Wo und wie kann Wien dichter werden? Wie kann Recht auf leistbares Wohnen für alle umgesetzt werden? Das braucht Grundstücke und Bebauung. Zugleich: Was sind Mittel und Instrumente der Sicherung von ausreichend öffentlichem Stadtraum – dem literal common?
Das bringt uns zurück zum „Recht auf Stadt“-Diskurs. Commons-orientierte Politik muss Wege finden, wie die verschiedenen Initiativen von unten eine Basis für größere politische Forderungen abgeben, Allianzen bilden, gar eine neue Form von Produktion entwickeln können. Im Jargon politischer Hegemonietheorie gesagt, geht es um neue Äquivalenzketten – zum Beispiel zwischen Feminismus und Kapitalismuskritik: Kann Stadtplanung hier eine Vermittler- und Vorreiterfunktion übernehmen?
Federici formuliert ihre feministische Perspektive auf Commons mit dem Slogan „Keine Commons ohne Community“ – mit einer relevanten Ergänzung: „Community nicht als abgeschottete Realität, als eine sich von anderen absetzende Gruppe von Menschen mit exklusiven Interessen, wie dies bei den auf religiöser und ethnischer Grundlage sich definierenden Communities der Fall ist.” Es geht also um Gemeinschaften, um Kommunalität, von Verschiedenen – unter Bedingungen, die ihre gleichen Rechte sicherstellen.
Gabu Heindl ist Architektin und Stadtforscherin in Wien (www.gabuheindl.at).