Am 3. November wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Auch wenn Joe Biden gewinnt, so wie es die Umfragen vorhersagen, hat Trump die politische Kultur nachhaltig verändert. Brigitte Theißl hat Rachel Charlene Lewis vom „Bitch“-Magazin gefragt, wie groß der Schaden ist und wie sich die Zivilgesellschaft unter Trump verändert hat.
an.schläge: Der Wahlsieg Donald Trumps war nicht nur ein einschneidendes Ereignis für die Demokratie und internationale Politik, sondern auch für den Journalismus. Trump hat die Hetze gegen seriöse Medien und schamloses Lügen zu seinem Programm gemacht. Welche Strategie haben Sie beim „Bitch”-Magazin entwickelt, damit umzugehen?
Rachel Charlene Lewis: Eines unserer Hauptziele ist es, unser Publikum durch diesen Schmutz zu führen, Fakten zu liefern, Lügen in der Politik auch als Lügen zu benennen. Gerade auch, weil das Wort „Fakten“ mittlerweile völlig verdreht wurde. Wir haben auch unseren redaktionelle Planung und unsere Ziele angepasst, um sicher zu gehen, dass wir eine bestimmte Anzahl von Politik-Geschichten bringen. Außerdem haben wir einen politischen Newsletter gestartet, der gemeinsam mit einer anderen Organisation herausgegeben wird. Während die Wahl vor der Tür steht, arbeiten wir weiterhin an unserer politischen Strategie, um einer breiten Palette von Stimmen Gehör zu verschaffen und sicherzustellen, dass wir unabhängig vom Ausgang der Wahl bereit sind.
Am Tag nach der Angelobung Trumps protestierten Hunderttausende beim Women’s March gegen die Politik Trumps. Mittlerweile ist es ruhig geworden um die feministischen Aktivistinnen des Women’s March – warum hat die Bewegung an Schlagkraft verloren?
Ich würde nicht unbedingt sagen, dass die Aktivistinnen selbst ruhig geworden sind. Ich glaube die Menschen, die sich rund um den Women’s March versammelt haben, sind ruhiger geworden, nachdem die Initiative dafür kritisiert wurde, nicht ausreichend inklusiv sein. Bewegungen wachsen und verändern sich, und so verändern sich auch ihre Prioritäten. Frauen, die am Women’s March teilgenommen haben, haben sich vor einigen Jahren vielleicht den Black-Lives-Matter-Protesten angeschlossen oder den jüngeren Protesten, die nach dem Tod von George Floyd und anderen Fällen von Polizeigewalt entstanden sind. Insgesamt sehe ich ein neues starkes Engagement und den Willen, sich mit den Strukturen unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen und sich zusammenzuschließen, um Veränderung anzustoßen – auch wenn das bedeutet, neue Mittel und Wege zu finden.
Würden Sie also sagen, dass die Präsidentschaft Trumps die Zivilgesellschaft in den USA gestärkt hat? Welchen Einfluss hatte er auf soziale Bewegungen?
Trumps Präsidentschaft hat dazu beigetragen, die Illusion von Gerechtigkeit und Anstand in der US-Politik der Vereinigten Staaten zu zerstören. Ich denke hier vor allem an zwei Dinge. Auf der einen Seite bin ich froh, dass immer mehr Menschen (mich eingeschlossen) das breite Spektrum von Fehlschlägen und Fehltritten in der Geschichte der Vereinigten Staaten sehen. Andererseits bin ich besorgt darüber, dass zu viele Menschen all das „Schlimme”, das in den letzten vier Jahren unter Trump passiert ist, auf sein Konto schreiben und dass sie, wenn Joe Biden der nächste Präsident wird, aufhören werden, Verbesserungen im Gesundheitswesen, den Kampf gegen den Klimawandel und gegen Polizeibrutalität voranzutreiben. Unsere Probleme beginnen und enden nicht mit Trump.
Joe Biden ist ein „alter weißer Mann“, kein progressiver Kandidat der Demokrat*innen. Von links hagelte es während der Vorwahlen deshalb Kritik, zugleich herrscht der Tenor: Jede*r Demokrat*in ist besser als Trump. Wie nehmen Sie die Debatte wahr?
Die Debatte ist kompliziert. Einerseits bin ich persönlich der Meinung, dass wir Trump sofort aus dem Amt schaffen müssen. Andererseits war Biden nicht mein persönlicher Favorit – und ist es auch heute noch nicht. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns etwas zurücknehmen und erkennen, dass es nicht unsere einzige Pflicht ist, den Präsidenten zu wählen. Und dass wir es uns und unseren Communities schuldig sind, uns auch anders politisch zu engagieren, wie z.B. durch Hilfsfonds und Freiwilligenarbeit. Wir müssen unsere Zeit, unser Geld und unsere Energie für die Anliegen einsetzen, die uns am Herzen liegen. Es beginnt und endet nicht mit Trump, und es beginnt und endet nicht mit der Stimmabgabe bei dieser einen Wahl.
Donald Trump hat die politische Kultur dennoch entscheidend verändert. Denken Sie, dass er mit seiner rassistischen Hetze, seiner Leugnung von Wissenschaft irreversiblen Schaden angerichtet hat?
Ja und nein. Ich denke, dass Trump Probleme, die bereits vorhanden waren, noch verschärft hat. Er hat eindeutig Verheerendes angerichtet – selbst wenn wir nur die COVID-19-Pandemie und den Verlust von Hunderttausenden von Menschenleben betrachten. Das ist Trump. Wir können diese Menschen nicht zurückholen, egal wie wir abstimmen oder protestieren. Rassismus und White Supremacy sind unter seiner Führung gediehen. Wir können auch den schrecklichen Schaden für die Umwelt sehen, selbst wenn wir nur Richtung Westküste blicken und sehen, wie sich dort der Himmel durch die wütenden Waldbränden verfärbt hat. Auch das ist Trump. Aber es liegt auch in unserer Verantwortung, diesen Fragen weiterhin Aufmerksamkeit zu schenken, ganz gleich, was Trump tut. Falls Biden gewinnt: Wie wird er Rassismus und White Supremacy, Polizeibrutalität und Klimawandel sowie die Zerstörung des Vertrauens in den Journalismus und die Medien bekämpfen? Tun das die die Verantwortlichen in unseren eigenen Gemeinden ? Und wie kämpfen wir in unserem persönlichen Umfeld dafür? Trump hat schreckliche Dinge getan und einen schrecklichen Einfluss auf das Leben von Hunderttausenden von Menschen gehabt. Wir wären besser dran gewesen, wenn er niemals gewählt worden wäre, absolut. Aber wir können die Schuld nicht einfach auf seinen Schultern abladen, nur um uns selbst aus der Pflicht zu nehmen.
Rachel Charlene Lewis ist Senior Editor beim Bitch Magazine.