Die Arbeitslosigkeit in Österreich hat einen historischen Höchststand erreicht. Was es braucht, sind nicht Appelle, die heimische Wirtschaft zu stützen, sondern eine gerechte Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, findet Veronika Bohrn Mena.
In Zeiten wie diesen vergeht kaum ein Tag ohne Pressenkonferenzen von Regierungsmitgliedern. Wochenlang werden uns in Österreich nun schon nahezu täglich neue Maßnahmen zum Schutz unserer Gesundheit verkündet. Der ständige Blick auf die Entwicklung der Infektionszahlen, die schrecklichen Nachrichten über bis zum Bersten gefüllte Spitäler in Ländern wie Italien und Spanien und Menschen, die unbehandelt in ihren Wohnungen einen stillen Tod überlassen werden mussten, haben die politischen Entscheidungsträger*innen in ganz Europa zu Schritten veranlasst, die zuvor undenkbar erschienen. Für manche Politiker*innen scheint es nun jedoch gänzlich ungewohnt zu sein, sich in ihrem Handeln nicht wie jahrelang angelernt durch ihr Klientel, das vermeintlich für „die Wirtschaft“ spricht, leiten zu lassen. Rezepte wie „Eigenverantwortung“ und „der Markt regelt das schon“ funktionieren nicht, darüber scheinen sich heute sogar die radikalsten Markt-Ideolog*innen einig zu sein.
1,8 Millionen Arbeitslose. Ganze Wirtschaftsbereiche sind während der Ausgangsperren und Betretungsverbote zum Erliegen gekommen. Wer keinem „systemrelevanten“ Beruf nachgeht und die eigene Arbeit nicht zwingend in einer Betriebsstätte verrichten muss, solle am besten zu Hause bleiben, hieß es. Die Folgen waren absehbar. Anfang Mai sind rund 1,8 Millionen Menschen – das entspricht bald der Hälfte der österreichischen Erwerbstätigen – ohne Job oder in Kurzarbeit. Die rund 500.000 Solo-Selbständigen und Kleinunternehmer*innen kämpfen mehrheitlich um ihre Existenz, auch von ihnen werden viele in den kommenden Monaten ihr Gewerbe abmelden müssen, um zumindest einen Anspruch auf Sozialhilfe zu erlangen. Schulen und Kindergärten stehen leer, während sich Eltern, allen voran die Mütter aufgrund des fehlenden Rechtsanspruchs auf Sonderbetreuungszeit noch mehr als sonst dabei zerreißen, Job, Erziehung, Haushalt und sonstige Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen.
Die Krise betrifft zwar alle, aber bei Weitem nicht alle gleich. Auch das war absehbar. Diejenigen, die schon vor Corona an der Armutsgrenze leben mussten, von einem unsicheren schlecht bezahlten Job zum nächsten wechseln mussten und auf Grund ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft in allen Lebensbereichen schlechter gestellt waren, sind noch tiefer abgerutscht. Kinder, die von Anfang an in unserem so selektiven Schulsystem schlechtere Chancen hatten, fallen auf sich alleine gestellt weiter zurück. Kleine Betriebe und Handelstreibende mit geringen Rücklagen können im Wettbewerb mit den Großkonzernen noch weniger bestehen. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck nahm das vor kurzem zum Anlass, an uns Konsument*innen zu appellieren, dass wir doch bitte bei österreichischen Unternehmen einkaufen gehen sollen. Doch warum begibt sich die Ministerin in Bittstellung, anstatt ihren Handlungsspielraum zu nutzen und ihren Job zu machen? Warum haben so viele Menschen ihre Arbeit und damit auch Existenzgrundlage verloren, wenn die Konsequenzen doch so vorhersehbar waren?
Weil unser Arbeitsmarkt schon vor der Krise fragil war. Weil auch zuvor die bezahlte und unbezahlte Arbeit und die Last der Steuern ungleich verteilt waren. Weil in unserem Wirtschaftssystem kein fairer Wettbewerb herrschte und weil wir weit davon entfernt waren, in einer gerechten Gesellschaft zu leben. Frauen*, Migrant*innen, Junge und Alte haben es schwerer. Jeder lokale kleine Shop zahlt in Österreich höhere Steuern als Starbucks, Amazon, H&M und Co. Und dennoch können auch diese Riesen, die in Geld schwimmen, ihr Personal mit unserem Steuergeld in Kurzarbeit schicken und von unserer sozialstaatlichen Infrastruktur profitieren. Krisengewinner wie Nestlé erwirtschaften nun obszöne Profite, Banken können sich durch die vielen staatlich gesicherten Hilfskredite über regen Zulauf freuen. Was schon vor Corona ein Problem war, wird nun zum Brandherd. Unsere Gesellschaft droht komplett auseinander gerissen zu werden, Ungleichheiten verschärfen sich weiter und die Kluft zwischen Armut und Wohlstand wird größer.
Es braucht Umverteilung. Was es also dringend braucht, ist eine Politik die aktiv umverteilt, aber nicht wie in den vergangenen Jahren weiter von unten nach oben, sondern von oben nach unten. Spätestens jetzt muss diese Ausnahmesituation genutzt werden, um die vorhandene Erwerbs- und Familienarbeit endlich sinnvoller aufzuteilen. Durch eine deutliche Verkürzung der gesetzlichen Normalarbeitszeit würde sich nicht nur die Einkommensschere zwischen Männern* und Frauen* weiter schließen, es würde dadurch auch die vorhandene Arbeit gleichmäßiger auf die Menschen aufgeteilt werden. Deregulierungen im Arbeitsrecht, die ausschließlich der Flexibilität der Unternehmen dienen und Beschäftigte in ihrer Freiheit und Sicherheit einschränken, müssen zurückgenommen und atypische Arbeitsverträge auf höchstens einen kleinen Teil der Belegschaft beschränkt werden. Nicht nur, aber gerade jetzt, in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, darf diese nicht zu Armut und Angst führen, sondern muss weiterhin gesellschaftliche Teilhabe und ein ausreichendes Einkommen sicherstellen. Das Leid derer, die ohnehin schon am härtesten durch die Krise getroffen werden, darf durch zu geringe Sozialleistungen nicht noch weiter verstärkt werden. Wer schon vor der Krise nur schwer einen Job gefunden hat, findet jetzt nämlich erst recht keinen mehr. Und das ist kein individuelles Problem, das dem Versagen von Einzelnen geschuldet ist, sondern dem das Versagen der Arbeitsmarktpolitik zugrunde liegt.
Um auf die Frau Ministerin zurückzukommen: Wir wählen doch eine Regierung nicht dafür, dass sie Unternehmen gut zuredet, ordentliche Arbeitsplätze zu schaffen. Auch nicht für den Versuch, Konsument*innen davon zu überzeugen, wo und wie sie einkaufen sollen. Sondern wir wählen Sie dafür, dass sie die Regeln festlegt, damit Arbeiternehmer*innenrechte gewahrt werden. Eine gerechtere Verteilung der Steuerlast würde uns weiterhelfen, dass eine Ministerin uns lieb bittet, hilft nicht. Das Totschlagargument der letzten Jahre „Das können wir uns nicht leisten“ gilt schließlich nicht einmal mehr vermeintlich. Wann ist der richtige Zeitpunkt, um in aktive Arbeitsmarktpolitik, unseren Sozialstaat, unsere Infrastruktur und soziale Absicherung zu investieren, wenn nicht jetzt?
Veronika Bohrn Mena arbeitet in der Gewerkschaft GPA-djp in der Interessenvertretung als Expertin für atypische Beschäftigung. 2018 erschien ihr Buch „Die neue ArbeiterInnenklasse“.