Die Pandemie macht sichtbar, wie prekär Künstler_innen und Kunstarbeiter_innen ohnehin immer arbeiten. Nun kommen massive Einkommensausfälle hinzu. Von Olja Alvir
Künstler_innen sind bezogen auf das Erwerbseinkommen öfter armutsgefährdet – in Österreich sogar fünfmal so oft wie andere Erwerbstätige. Fast drei Viertel der Kunstschaffenden verdienen mit der Kunst weniger als 10.000 Euro jährlich. Und das künstlerische Einkommen von Frauen ist trotz höherem Ausbildungsgrad, größerer Weiterbildungsaktivität und stärkerer Vernetzungen um 35 Prozent niedriger als jenes ihrer Kollegen. Das zeigt der Bericht „Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich“. Daniela Koweindl, kulturpolitische Sprecherin der IG Bildende Kunst, fügt hinzu: „Seit den 1990er Jahren sinken die Realeinkünfte. Bis heute ist es nicht gelungen, mit adäquaten kultur- und sozialpolitischen Strategien umzulenken.“ Aus all diesen Gründen gehören auch Künstler_innen in der Corona-Krise zu besonders gefährdeten Gruppen.
Pflaster-Paket. Angesichts dieser Situation wurden verschiedene Unterstützungen eingerichtet. Die Künstler_innen-Sozialversicherung und die Wirtschaftskammer etwa unterstützen Selbstständige und kleine Unternehmen aus eigens eingerichteten Fonds. Verwertungsgesellschaften wie die Literar Mechana oder die AKM richteten ebenfalls Katastrophentöpfe ein.
Das „einmalige Arbeitsstipendium aufgrund von COVID-19“ der Stadt Wien beantragten schon innerhalb der ersten Tage 1.100 Menschen. Zumindest wurde der Topf daraufhin auf drei Millionen aufgestockt, und am Ende sogar auf 6,3 Millionen. Mit dieser Summe konnten 2310 Künstler_innen unterstützt werden. Die Gesamtzahl der Kunstschaffenden in Wien dürfte sich allerdings auf mehrere zig Tausend belaufen; so schätzt jedenfalls die oben erwähnte Studie, in Auftrag gegeben vom BMUKK 2007. Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sagt: „Der große Bedarf zeigt, wie wenig die Maßnahmen der Bundesregierung greifen, wie wenig sie die Lebensrealität der im Feld der Kultur Arbeitenden im Blick haben.“ Die Bundesregierung solle laut Kaup-Hasler nun unverzüglich ähnliche Instrumente wie die Arbeitsstipendien entwickeln.Das „einmalige Arbeitsstipendium aufgrund von COVID-19“ der Stadt Wien beantragten schon innerhalb der ersten Tage 1.100 Menschen. Zumindest wurde der Topf daraufhin auf drei Millionen aufgestockt, und am Ende sogar auf 6,3 Millionen. Mit dieser Summe konnten 2310 Künstler_innen unterstützt werden. Die Gesamtzahl der Kunstschaffenden in Wien dürfte sich allerdings auf mehrere zig Tausend belaufen; so schätzt jedenfalls die oben erwähnte Studie, in Auftrag gegeben vom BMUKK 2007. Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler sagt: „Der große Bedarf zeigt, wie wenig die Maßnahmen der Bundesregierung greifen, wie wenig sie die Lebensrealität der im Feld der Kultur Arbeitenden im Blick haben.“ Die Bundesregierung solle laut Kaup-Hasler nun unverzüglich ähnliche Instrumente wie die Arbeitsstipendien entwickeln.
„Jetzt wird vor Augen geführt, was schon seit vielen Jahren ein Problem ist: Selbstständige Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen in Österreich haben keinerlei funktionierendes soziales Auffangnetz für Zeiten der Krise“, sagen Fariba Mosleh und Anne Wiederhold-Daryanavard von der Brunnenpassage in Wien. „Und das, obwohl sich Österreich als Kulturnation rühmt!“ Es gäbe Länder mit anderen Herangehensweisen, in denen die Situation eine weniger angespannte sei. In Belgien beispielsweise gibt es den statut d’artistes („Artistenstatus“, er berechtigt zu einer Art bedarfsorientiertem Einkommen für Künstler*innen) und ein Anrecht auf Arbeitslosengeld (chômage). In Deutschland wurden „Soforthilfepakete“ mit einmaligen Zuschüssen für Kleinstunternehmer_innen (mit Geduld und Kenntnis der Bürokratie) beschlossen. Einzelne Institutionen bezahlen Ausfallhonorare für abgesagte Engagements. Und der Zugang zur umstrittenen und mit Stigma behafteten Hartz-IV-Grundsicherung wurde für Künstler_innen „vereinfacht“.
Hürde statt Hilfe Die Voraussetzungen für obige Förderungen sind oft streng, die (virtuellen) Behördenwege kompliziert. Musikerin und Illustratorin Anna Kohlweis schildert: „Ich kann momentan diverse Förderungen in Wien nicht beantragen, da ich nicht in Wien hauptgemeldet bin. Generell macht mir Bürokratie extrem zu schaffen.“
Josef Jöchl vom PCCC*, Wiens erstem queeren Comedyclub, kritisiert die gesamte Ideologie, die sich hinter den Förderungen verbirgt: „Wieder diese Beweiskultur: Künstler_innen wird nicht geglaubt, wenn wir um Unterstützung bitten. Wir müssen durch komplizierte und zeitaufwändige Anträge beweisen, Anspruch darauf zu haben. Du hast dauernd das Gefühl, kein Recht darauf zu haben; der Verdacht auf Förderungsmissbrauch kommt auf.“
Ein Problem sind auch Vorstellungen davon, welche Kunst „erhaltens- und förderungswert“ ist und welche nicht. Jöchl dazu: „Wir haben nie Förderungen bekommen, weil es heißt, Comedy sei keine Kunst. Wir können bei der MA7 nicht für Performance oder Theater einreichen. Das ist eine sehr altmodische bourgeoise Einstellung und gehört natürlich sofort geändert.“
Modernes Mäzenatentum. Viele Künstler_innen müssen aktuell umsatteln oder Einkünfte mithilfe neuer Methoden generieren. Kohlweis veröffentlichte als Squalloscope am 1. Mai die (thematisch passende) Doppel-Single Investments/Insults beim online Musikanbieter Bandcamp. Dieser verzichtete an diesem Tag aufgrund der Corona-Krise auf alle Gebühren und ließ den gesamten Umsatz Künstler_innen zukommen. Kohlweis ist im Vorteil, da sie sich schon lang und souverän im Virtuellen bewegt. Sie arbeitet seit jeher im Home-Studio, und streamt Live-Sessions. Dennoch steht sie Online-Musikdiensten kritisch gegenüber, die sie auf Instagram als „Highly questionable“ bezeichnet. Kollegin Therese Terror, DJ und Veranstalterin des RRRIOT-Festivals, betont: „Es sollte mehr Platz geben für diejenigen, die schon vor Corona Schwierigkeit hatten, sichtbar zu sein oder in Austausch zu treten. Vielleicht wegen körperlicher Gegebenheiten, Sprachbarrieren, vielleicht weil ihnen das Equipment fehlt.“
Auch Crowdfundings stehen als Alternative im (Cyber-)Raum. Doch die Kunst darf nicht auf die Gutmütigkeit von Unternehmen oder einen großzügigen Privatsektor angewiesen sein, findet Sheri Avraham, Vorsitzende der IG Bildende Kunst: „Kunst- und Kulturprojekte sind öffentliche Dienstleistungen, die nicht an den Privatsektor delegiert werden sollten.“ Auch Crowdfunding-Plattformen sind immerhin kapitalorientierte Unternehmen, auf denen kleine oder nicht marktkonforme Projekte kaum Chancen haben. Avraham weiter: „Durch die Vermittlung auf Crowdfunding-Plattformen werden Künstler_innen gezwungen, Content-Macher_innen zu werden und sich am Markt zu orientieren. Sie verbringen immer mehr Zeit damit, exklusive Inhalte für die Plattform zu erstellen und sich im Bereich Werbung zu professionalisieren.“
Das Ausweichen in den virtuellen Raum hat auch andere Nachteile. Therese Terror fehlt die (demokratie-)politische Dimension: „Es ist ja nicht so, dass etwa Clubkultur nur Bumm Bumm ist. Sie ist gerade in Wien auch sehr politisch. Die gemeinschaftliche Rezeption von Musik etwa hat ja in vielen Fällen auch den Zweck einer kollektiven Formulierung von alternativen Realitäten.“ Auch in der Brunnenpassage wird das so gesehen: „Insbesondere dezentrale Kunstorte sind ein Tool für gesellschaftliche Veränderung und für progressive Stadtentwicklung. In der Brunnenpassage lernen sich Menschen über Kunst kennen, die ansonsten wenig miteinander in Beziehung treten würden. Es entsteht neuer kollektiver Raum und sozialer Zusammenhalt“, so Mosleh und Wiederhold-Daryanavard.
Arbeit oder Abschiebung. In einer besonderen Misere befinden sich gerade jene Menschen aus Drittstaaten, die eine sogenannte „Niederlassungsbewilligung für Künstler_innen“ haben. Um ihren Aufenthaltsstatus zu behalten, müssen sie ein Arbeitsverhältnis im Kulturbereich oder Einkünfte aus Tätigkeiten aus dem Kulturbereich nachweisen. Doch abgesagte Festivals und Events sowie geschlossene Türen bei Kulturinstitutionen bedeuten auch hier ausgefallene Honorare und verschwundene Engagements. Diese Menschen dürfen weiterhin keine Jobs außerhalb des Kulturbereichs annehmen, um sich über Wasser zu halten – das ist mit einem Künstler_innenvisum nicht vorgesehen.
Die ersten Personen in Wien haben nun bereits Schreiben von der Einwanderungsbehörde bekommen und sind akut von Abschiebung bedroht. Nicht selten handelt es sich dabei auch um queere Personen, für die eine Rückkehr in ihre Heimat gefährlich ist.
Solidarische Strukturen. „In der Krise sehe ich zumindest auch ein paar positive Aspekte: Die Solidarität untereinander steigt“, beobachtet Therese Terror. Ein Beispiel schildert Anna Kohlweis: „In meiner Arbeit als Illustratorin hingen ein paar Aufträge in der Luft. Die Veranstaltungen, für die ich Poster designen sollte, wurden abgesagt bzw. verschoben. Ich hatte aber das Glück, dass mir meine AuftraggeberInnen entgegenkamen und mich teilweise sogar früher als geplant bezahlten, weil sie wussten, dass wir jetzt alle zusammenhalten müssen.“ Auch der PCCC* spricht von Solidarität innerhalb der Communities: „Wir haben ein großes Glück bei einer super Institution wie WUK Performing Arts zu sein, die uns in dieser Krise weiterhin unterstützt, damit wir unsere Comedians bezahlen können.“ Und eine langfristige Lösung? Da ist der Tenor bei allen für diesen Text Befragten gleich. „Ganz einfach; Grundeinkommen für alle!“, fasst Jöchl zusammen.
Olja Alvir ist Autorin in Wien. Sie hat zwei Anträge an Sonderfonds geschickt und wartet nun auf die Antworten. Gerade lebt sie größtenteils von Erspartem.