Occupy Patriarchy? Vier Aktivistinnen berichten von ihren Erfahrungen mit Occupy Berlin. Was hat sie frustriert, was motiviert sie weiterzumachen? Von KATHARINA LUDWIG
Mittlerweile ist Winter in Berlin, und in der U-Bahnstation hängt eine Zeitungsreklame mit der Schlagzeile „Europa lernt Deutsch“ neben einem Bild von Angela Merkel. In den Zeitungen ist zu lesen, dass „die Krise“ dieses Jahr richtig zu spüren sein wird; dass Deutschland und Frankreich einen EU-weiten Sparkurs vorantreiben; und dass das Frauen besonders treffen wird. „We are the 99%!“ heißt die Parole der Occupy-Protestbewegungen in den USA und auch in Europa. Doch dem eigenen Anspruch einer hierarchiefreien basisdemokratischen Gemeinschaft, die alle gleichermaßen repräsentiert, wird Occupy selten gerecht. Das kritisieren Feminist_innen in den USA unter dem Motto „Occupy Patriarchy“*. Welche Erfahrungen haben Aktivist_innen in Berlin gemacht?
Mehr direkte Aktion. Als Occupy-Aktivistin würde sich Julia nicht bezeichnen. Zwei, drei Mal war sie im Herbst vor dem Reichstagsgebäude. Dabei hat sie beobachtet, dass 80 Prozent der Redebeiträge von Männern kamen, obwohl Frauen die Hälfte der Anwesenden stellten. Auf der Website von Occupy Berlin postete sie deshalb einen Text, in dem sie „bewusst vorsichtig Quotierung als eine von mehreren Möglichkeiten“ nannte. Dass auf der Website paternalistisch geantwortet wurde, jede könne bei Occupy gleichermaßen sprechen, und wer das nicht tue, sei selber schuld, hat sie demotiviert. Basics wie Rederecht möchte sie nicht einfordern müssen. Das zwiespältige Gefühl von der Demo ist geblieben, obwohl sie sich auch an positive Rückmeldung auf (queer-)feministische Forderungen erinnert. Als Teil der Gender-AG von attac hatte Julia bei einer pinken Aktion mitgemacht. Gleich bei der S-Bahn habe eine Frau gesagt: „Super, dass ihr da seid!“ Die Großdemo hat aber nicht gereicht, um mit anderen Aktivist_innen wirklich in Kontakt zu kommen. In feministischen Zusammenhängen in Berlin vermisst sie gerade mehr direkte Aktion und liest derzeit viel über Frauenwiderstandsgruppen und ‚Reclaim the Night’ – es gäbe so viel, was man aufgreifen könnte, sagt sie. Fürs Erste hat sie mit rund zehn Freund*innen eine kleine Mailingliste gestartet. Wer nicht ohne queer-feministische Unterstützung zu einer Aktion will, zum Beispiel von Occupy, schickt eine Mail. Dann geht die ganze Gruppe oder ein Teil gemeinsam hin. „Ich sehe gerade, da hat eine eine Ankündigung geschickt“, sagt Julia, bevor wir unser Gespräch beenden.
Eben gerade jetzt. Natürlich würde sie sich eine super queer-feministische Bewegung wünschen, sagt Ann. Sie könne aber nicht fünf Jahre warten, weil eben gerade jetzt die Entscheidungen für Sparkurs, Lohnkürzungen und Umverteilung nach oben getroffen werden, und zwar in Deutschland. „Wir können uns die gegenwärtige Bewegung nicht aussuchen“, sagt sie – aber einbringen könne sie sich dort. Ann spricht von der „sogenannten“ Occupy-Bewegung, weil sie sich auf die Reihe internationaler Proteste bis hin zu den Streiks gegen Lebensmittelteuerungen in den arabischen Staaten bezieht. In Berlin seien jetzt viele Menschen aktiv, die außer ein paar Umweltdemos wenig Erfahrung mit Sozialen Bewegungen haben – das sieht sie durchaus als Chance. Männliches Dominanzverhalten bei den Asambleas (Versammlungen) sei definitiv kein reines Occupy-Problem, auch bei Studierendenprotesten beispielsweise hätten Frauen irgendwann gesagt: „Es ist Zeit, dass wieder mal eine Tomate fliegt!“ Aber sie will ihre Kritik nicht essenzialisieren, denn auch Männer und Trans*personen litten unter solchem Rollenverhalten. Ann beobachtet, dass es dort mehr Probleme gibt, wo die Bewegung nach außen repräsentiert werden muss, und dann, wenn es mehr Medienaufmerksamkeit gibt, wie etwa bei der Berlin Biennale. Doch Medien verkürzen Occupy oft auf Großdemos und Asambleas. AGs und Stadtteilgruppen, die militante Untersuchung beim Jobcenter, Aktionen in Einkaufszentren oder Kuchen-Verteilen in der S-Bahn komme da nicht vor.
Die prekarisierten Arbeitsbedingungen der Aktivist_innen würden sich schnell bemerkbar machen, viele kämen völlig geschafft zu den Treffen. Alleinerziehende hätte sie noch keine getroffen. „Ich habe noch keine Asamblea mit Kinderbetreuung gesehen“, sagt sie. Ann wünscht sich, dass sich der Protest verbreitet und zum Alltagsthema wird und dass sich die vorhandene Resignation – „Das bringt ja eh alles nichts“ – aufbrechen lässt.
Konflikte zur Sache der Gruppe machen. „Bei mir rennst du offene Türen ein“, antwortet Alinka auf die Interview-Anfrage für diesen Artikel. Sie sei bestürzt, was sich Frauen bei Occupy teilweise gefallen lassen. „Platzhirsch! Platzhirsch!“, hat sie einem zugerufen, der oft als erster das Mikro hat und lange redet, aber andere, die lange sprechen, „asozial“ nennt – mit den Fingern formt sie beim Erzählen Hörner und lacht. Die Antwort des Sprechers: Alinka verstoße gegen die Asamblea-Regeln. Eine eigene feministische AG hat sie anfangs nicht angeregt, weil sie die Inhalte in die Gesamtbewegung hineintragen wollte. Bei einem Weltcafé hat sie den Konflikt mithilfe von Augusto Boals „Theater der Unterdrückten“ aufgegriffen und bearbeitet. Sie mag an der Methode, dass ein Konflikt zwischen zwei Personen zur Sache der Gruppe wird. Es gibt mehrere Ideen, wie in Asambleas Grundwerte wie Antisexismus und Antirassismus am Anfang kollektiv erinnert werden könnten – oder wie auch die unterschiedliche Situation der Aktivist_innen thematisiert werden könnte. Alinka kann sich ein Women-only-Camp vorstellen oder zumindest einen sicheren Raum für Frauen und Trans*. Wichtig ist ihr die Beteiligung von internationalen Gruppen und Migrant_innen. Sie beschäftigt sich gerade intensiv mit der Rolle von Frauen in der Französischen Revolution und der Pariser Commune. Was ist da passiert, dass Frauen sich beteiligten, aber keine Gleichberechtigung erlangten? In Berlin möchte sie gerne kleine Geschichtsstunden anbieten, für alle Aktivist_innen.
Aktivistinnen feiern. Ob es naiv oder überhaupt nötig sei, hat sich Pippa diesen Januar gefragt, als sie die AG Frauen bei Occupy ins Leben gerufen hat. Seitdem hat sie so oft „Wir brauchen das nicht“ gehört, dass sie sich mittlerweile ganz sicher ist. Sie war überrascht, dass es bei Occupy zuvor noch keine entsprechende Initiative gab, aber auch sie selbst war erst einmal zwei Monate lang wie in einem Fulltime-Job damit beschäftigt, den Alltag im Camp zu organisieren. Wenn dort alle selbst ihre Aufgaben wählen, hat sie bemerken müssen, hacken Aktivisten tendenziell wirklich Holz und Aktivistinnen räumen wirklich das Camp auf oder spülen Geschirr, weil es sonst niemand tut. So oft habe sie gesehen, wie sich bei Asambleas zwei Personen gleichzeitig melden und dann die Frau sagt: „Nach dir.“ Pippa wünscht sich deshalb ein persönliches Frauen-Netzwerk mit wöchentlichen Treffen, um Aktivistinnen zu bestärken und ihren Protest bei Occupy zu feiern. Pippa selbst hat es schon sehr ermutigt, ihre Kritik auszusprechen und zu hören, dass es anderen Aktivistinnen ähnlich geht. Beim nächsten Treffen der AG Frauen soll es Torte geben – das helfe immer.
Katharina Ludwig ist freie Journalistin in Berlin.
* www.occupypatriarchy.org
„Occupy Patriarchy“ findet am 12. Mai erstmals auch in Wien statt. Infos auf www.20000frauen.at.
1 Kommentar zu „„Super, dass ihr da seid!““
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