Sebastian und Christian statt lebendiger Parteiendemokratie: Wie die Personalisierung (nicht nur) in der österreichischen Politik inhaltliche Auseinandersetzungen in den Hintergrund drängt. Von BRIGITTE THEISSL
Kann Sebastian auf deine Unterstützung zählen? Wer dieser Tage den Webauftritt der ÖVP besucht, findet dort zwar keine Inhalte, aber ein Foto des Neo-Parteichefs und einen Link zur eigentlichen Seite der Volkspartei: www.sebastiankurz.at. Die ÖVP ist jetzt Sebastian. Auf seiner schick designten Webseite schüttelt Kurz alten Damen die Hand, macht Selfies mit strahlenden Teenagern und beschreitet energisch das Parkett der internationalen Politik. Das Konzept Türkis statt Schwarz, charismatischer Führer statt bündischer Machtkämpfe scheint bisher voll aufzugehen: Zuletzt publizierte Wahlumfragen sehen die ÖVP, die bei der Nationalratswahl 2013 nur noch knapp 24 Prozent der Wähler*innenstimmen gewinnen konnte, bei Werten zwischen 31 und 35 Prozent – und damit klar vor der FPÖ und den Sozialdemokrat*innen.
Glänzende Fassade. Vor dem Hintergrund einer grassierenden Partei- und Ideologieverdrossenheit präsentiert sich Kurz als neues Gesicht einer erneuerten Partei – wenngleich hinter der Fassade wenig substanziell Neues zu finden ist, frauenpolitisch freilich schon gar nicht. Auch Sebastian Kurz stellt sich nach wie vor gegen die Ehe für alle, und das Reißverschlusssystem auf Wahllisten, das wiederum vom Vorzugsstimmenwahlkampf konterkariert wird, wurde schon unter Parteichef Mitterlehner im Statut verankert. Nur mit der neuen Generalsekretärin Elisabeth Köstinger, die seit 2009 die ÖVP im Europaparlament vertritt, und drei designierten Stellvertreterinnen des Parteiobmanns setzt die „neue Volkspartei“ tatsächlich ein Zeichen in Richtung struktureller Geschlechtergerechtigkeit, ein Kursschwenk auf eine moderne, feministische Frauenpolitik ist allerdings kaum zu erwarten. „Ich werde Frauen aus voller Überzeugung auf allen Ebenen immer fördern, aber jede Frau soll selbst entscheiden können, ob sie Mutter sein will oder Vorstandsvorsitzende“, erklärte Köstinger Ende Mai im Interview mit der „Kronen Zeitung“ auf die Frage hin, warum sie Frauenquoten ablehne.
Führungsfiguren. Dass an der Spitze der Partei nach wie vor ein Mann steht, ist nicht nur wenig verwunderlich, sondern logische Konsequenz. Kurz repräsentiert einen neuen Typus des Politikers, der zugleich die Sehnsucht nach dem „starken Mann“ befriedigt – der in Österreich eine erschreckend hohe Zustimmungsrate von 43 Prozent hat – und moderne Kommunikation mit weitgehender Ideologiefreiheit kombiniert. Während traditionellen Parteien die Wähler*innenschaft wegbröckelt, feiern Politiker wie Emmanuel Macron in Frankreich mit neu gegründeten „Wahlplattformen“ Erfolge. Dass diese Strategie nicht nur im konservativen Lager bzw. in der vielbeschworenen Mitte funktioniert, beweisen letztendlich auch Barack Obama und Justin Trudeau, die es verstehen, medienwirksam Geschichten zu erzählen und Emotionen zu wecken und damit die Herzen ihrer Anhänger*innen zu erobern. Auch in der SPÖ spitzt sich seit dem Antritt des ehemaligen ÖBB-Chefs alles auf Christian Kern zu. Der charismatische wie überlegt und differenziert auftretende Bundeskanzler ist das Aushängeschild der Sozialdemokrat*innen, der zwar nicht im Kurz’schen Ausmaß die Partei allein regiert, bei programmatischer Ausrichtung und einzelnen Personalentscheidungen aber die Zügel fest in der Hand hat.
Eine Frage des Framings. Wir sind die Guten, das kommt nur bei den Wähler*innen noch nicht an – diese Überzeugung scheint sich in so mancher Parteizentrale manifestiert zu haben, wo Berater*innen im „Framing“ schulen und am perkfekten Facebook-Auftritt feilen. Demokratische Prozesse und (fruchtbare) Auseinandersetzungen innerhalb von Parteien scheinen hingegen mittlerweile als bloßes Übel zu gelten. Selbst die Grünen zeigten sich in der jüngsten Vergangenheit streng darauf bedacht, öffentlich nicht als zankende Basisdemokrat*innen wahrgenommen zu werden, statt Basisdemokratie als Stärke zu begreifen. Werbeagenturen wie Jung von Matt verliehen der Partei unter dem ehemaligen Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner einen hippen Anstrich, Abgeordnete zeigten sich mit Baby-Tieren auf Plakaten, „Bio macht schön“-Taschen werden immer noch eifrig durch Wien getragen. Ob sich die Partei mit einer profilierten, feministischen Sachpolitikerin wie Ulrike Lunacek, die als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf zieht, strukturell auch dahingehend neu aufstellt, darf nun mit Spannung erwartet werden. Als einzige Partei links der Mitte und „die einzigen, die garantieren, dass es mit uns keine FPÖ in der Regierung gibt“, will die Doppelspitze Lunacek-Felipe die Grünen positionieren – ein Punkt, der sich angesichts des Ringens der SPÖ um Koalitionsvarianten erneut zum brisanten Thema entwickelt hat. Die Sozialdemokrat*innen, seit Jahrzehnten in der „Geiselhaft“ der ÖVP, die im Sinne des Machtanspruchs prinzipiell keine Partei für eine Zusammenarbeit ausschließt, haben jüngst einen Kriterienkatalog veröffentlicht. Dieser schließt die Blauen anhand einzelner inhaltlicher Bedingungen wie einem klaren Bekenntnis zur Gleichstellungspolitik zwar implizit aus, lässt eine Koalition mit den Rechtspopulist*innen (bzw. -extremen) aber durchaus offen, was trotz SPÖ-FPÖ-Regierung im Burgenland eine Zäsur darstellen würde. Jahrzehntelang galt für die Sozialdemokrat*innen die „Vranitzky-Doktrin“ und damit ein Nein zu den Freiheitlichen. „Der Kriterienkatalog öffnet offiziell die Tür zu Rot-Blau. Er signalisiert, über die Zusammenarbeit mit der FPÖ könne man im Einzelfall entscheiden und es brauche keine grundsätzliche Position dagegen“, kritisiert die Frauensprecherin der Sozialistischen Jugend Oberösterreich, Nina Andree, im „Mosaik“-Blog.
Schwarz-Blau III. Heinz-Christian Strache könnte bei der vorgezogenen Nationalratswahl am 15. Oktober als lachender Dritter aus der Wahl hervorgehen, der sich den Koalitonspartner quasi aussuchen darf. Sebastian Kurz, der mit der Forderung nach einer „Schließung der Mittelmeerroute“ durch Europa tourt und Steuern senken will, dürfte ihm wohl näherstehen als eine SPÖ, die jüngst die – längst überfällige – Einführung der Erbschaftssteuer in Österreich und einen Rechtsanspruch auf Ganztageskinderbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr forderte. Die versprochene Steuersenkung von Noch-Außenminister Kurz ist indes ein mehr als nur populistisches Konzept: Sozialleistungen bei Zuwanderern sollen (weiter) gekürzt werden, eine Verwaltungsreform soll kommen – die in Österreich fast schon als Running Gag gilt – und selbst auf Förderungen für Vereine zielt Kurz bereits ab (wer hier gemeint sein könnte, ist wohl naheliegend). Eine Neuauflage von Schwarz-Blau wird von Linken und Feministinnen dementsprechend nicht zu unrecht als größtes Schreckgespenst an die Wand gemalt: Noch immer bezahlen Steuerzahler*innen die Folgen von Korruption und Misswirtschaft, Sozialleistungen könnten unter Kurz-Strache massiv beschnitten, die Förderungen für Frauenvereine zusammengekürzt werden. Die restlichen Parteien (das nicht mehr relevante Team Stronach einmal ausgenommen) sind dazu angehalten, im Wahlkampf zu erklären, welche Folgen eine solche Politik haben würde. Autor und Historiker Doron Rabinovici erklärte im Interview mit „Profil“ hingegen eine Rot-Blaue Regierung zur größeren Gefahr: Die Sozialdemokratie würde dadurch gespalten und eine Schwarz-Blaue Koalition vorbereitet und legitimiert. Dass frauenpolitische Themen, für die sich auch die meisten Journalist*innen nicht interessieren, wie so oft untergehen werden, ist zu erwarten. Und das zeigt bereits Wirkung: Laut einer aktuellen Umfrage sehen sich vier von zehn Frauen in Österreich von keiner Partei vertreten. Zeit, das auszudrucken und in Parteizentralen an die Wand zu pinnen.