ÖVP-Frauen-Vorsitzende DOROTHEA SCHITTENHELM über Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, Mindestsicherung und Schwangerschaftsabbruch. Ein Interview von BRIGITTE THEIßL und LEA SUSEMICHEL
an.schläge: Im Herbst vergangenen Jahres haben Sie mit den ÖVP-Frauen ein Reißverschlusssystem gefordert, um den Frauenanteil zu erhöhen. Das neue Parteistatut soll nun tatsächlich vorsehen, dass abwechselnd Männer und Frauen auf der Liste stehen. Sehen Sie das als persönlichen Erfolg?
Dorothea Schittenhelm: Es ist ein Erfolg für uns ÖVP-Frauen. Wir haben lange dafür gekämpft und es wurde dann vom Parteivorstand einstimmig beschlossen. Darauf bin ich sehr stolz. Aber die zweite Hürde steht noch bevor, das ist der Bundesparteitag im Mai und dort sind viele Delegierte aus den verschiedenen Bundesländern. Ich bin jedoch zuversichtlich. Mittlerweile sehe ich auch nur noch diese Möglichkeit der Reihung für Frauen. Früher hat man gesagt, es braucht die Motivation der Männer und es wird schon werden. Doch kein Reden, keine Motivation hat geholfen. Es ist beinhart, wenn es um die Verteilung der Mandate geht.
Allerdings gibt es Kritik, da die Regelung nur für die Bundes- und Landeslisten, aber nicht bei den Regionalwahlkreisen gilt. Das neue Statut sieht außerdem ein internes Vorzugsstimmensystem vor, das Männer deutlich bevorzugt. Sind Sie mit dem Ergebnis dennoch zufrieden?
Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut wurden. Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden, aber es ist schon richtig: Wir hatten einen wesentlich engeren Text vor, mit allen Wahlgängen, bis hinein in die Gemeinderatswahlen. Doch das war nicht machbar, das sage ich ganz offen.
Ein Kompromiss ist vermutlich auch die 40-Prozent-Quote, die in allen gewählten Gremien vorgesehen ist. Sanktionen allerdings nicht. Hat die Vergangenheit nicht gezeigt, dass Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führt?
Bisher gab es für die Parteigremien (Bezirks-, Gemeinde-, Landes-, Bundesvorstand, Anm.) überhaupt keine Prozentsätze. Wie werden die Parteivorstände beschickt? Da gibt es den Obmann, die bündischen Vertreter – die sind alle männlich. Dann gibt es uns Frauen, die Frauenchefin. Und bis zu vier Stellvertreter, Finanzreferenten, Finanzprüfer und weitere zehn Mitglieder. Die Bünde werden jetzt schon darauf schauen, dass sie auch Frauen entsenden, damit sie einen weiteren Platz in diesem Gremium haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das funktioniert. Am Bundesparteitag wird es hart, weil 85 bis 87 Prozent der Delegierten Männer sind. Da kann man gar nicht wissen, was alles im Vorgespräch stattgefunden hat. Es wird an mir und auch an anderen liegen, das gescheit und sachlich zu erklären – ohne Emotionen. Im Jahr 2015 noch darüber zu diskutieren, ist ohnedies …schwierig.
Als „fäusteschwingende Emanze“ wollen Sie sich selbst nicht bezeichnen, haben Sie einmal gesagt. Aber als Feministin. Warum entscheidet man sich als Feministin für eine konservative Partei? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Ganz im Gegenteil. Ich denke da an meine Familiengeschichte. Mein Opa war Schuhmacher, er war in Kriegsgefangenschaft. Als Kreisky damals Bundeskanzler wurde, sagte er zu mir: „So, jetzt ist es mit der Wirtschaft vorbei. Weil jetzt kriegt sowieso jeder alles und braucht nichts mehr tun dafür. Jetzt wird alles verteilt. Wer wird das denn bezahlen?“
Das heißt nicht, dass wir nicht die Gleichberechtigung für die Frauen wollen oder keinen sozialen Ausgleich. Ganz im Gegenteil, aber sozialen Ausgleich oder Mindestsicherung schaffe ich nur, wenn ich wirtschaftlich etwas erarbeite.
Frauen sind in Österreich häufiger von Armut betroffen und armutsgefährdet – insbesondere (alleinstehende) Pensionistinnen und Alleinerzieherinnen. Wo gilt es hier aus Ihrer Sicht anzusetzen?
Hier denke ich an den Girl‘s Day heute im Parlament. Das beginnt schon bei der Ausbildung. Ich habe den Mädchen gesagt: Bitte macht euren Schulabschluss. Sucht euch einen Beruf, meist wählen sie die drei bis vier selben Ausbildungen aus 250 Lehrberufen. Ich habe als Bürgermeisterin erlebt, dass die Burschen als Erstes fragen, was sie verdienen, die Mädchen hingegen woolen wissen, wie die Arbeit aussieht und sind unsicher, ob sie das schaffen. Es gibt noch viel zu tun bezüglich Verhaltensweisen und Selbstbewusstsein! 87 Prozent der jungen Männer und Frauen wollen außerdem Familie. Eine Frau, die in Karenz geht, kann im Beruf nicht mehr dort einsteigen, wo sie ausgestiegen ist. Bei jedem Kind wird sie immer wieder zurückgeworfen und letztendlich fehlen ihr dann die Zeiten für die Pension. Es kann und darf nicht sein, dass Frauen, die bereit sind, Verantwortung für Kinder zu übernehmen, Nachteile haben. Bevor ein Kind Schaden nimmt, sind wir Frauen da und helfen und tun, auch wenn wir unsere Lebensziele aus den Augen verlieren.
Ich will daher die Anrechnung der Kindererziehungs- und Pflegezeiten bei Gehaltsvorrückungen. Gemeinde- und Bundesbedienstete haben die bereits. Weiters wollen wir die Anrechnung von Elternkarenzzeiten als Vordienstzeiten. Ein Soldat bekommt ja z.B. auch die Zeit im Heer angerechnet.
Was mir noch wichtig ist, auch wenn das eine heiße Diskussion gibt: dass wir für jedes Kind vier Jahre Kindererziehungszeit für die Frauen angerechnet bekommen. Jetzt haben wir es nur für das erste Kind und dann ist es gedeckelt. Jedes Kind bringt Verantwortung und braucht Liebe und Pflege. Man kann über die Anhebung des Frauenpensionsalters reden, aber dann will ich für jedes Kind vier Jahre. Vierzig Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter möchten gar keine Kinder mehr, weil sie keine Nachteile im Beruf und in der Pension wollen. Diese vier Jahre und die Angleichung des faktischen Pensionsalters der Männer an das gesetzliche sind meine Bedingungen für die Erhöhung des Frauenpensionsalters.
Frauenpolitisch wurde zuletzt die Steuerreform heftig diskutiert. Die Grünen kritisierten die geschlechtsspezifischen Effekte heftig: Von den fünf Milliarden Euro Entlastungsvolumen würden zwei Drittel auf Männer entfallen. Wie zufrieden sind Sie mit der Steuerreform? Wurden Frauen ausreichend entlastet?
Ich bin da eine typische Österreicherin und nie mit etwas zufrieden. Aber im Ernst: Wieso nur Männer? Wenn die Familien hundert Millionen bekommen, wenn bei den Sozialversicherungsbeiträgen entlastet wird. Die Männer sind ja auch Familienväter. Ich sehe das immer als Ganzes. Natürlich gibt es auch sehr viele alleinstehende Frauen mit Kindern. Gerade die NiedrigverdienerInnen und Teilzeitbeschäftigten sind aber in diesem Steuerpakt besonders berücksichtigt worden. Die Sozialversicherungsbeiträge werden bis zu 400 Euro im Jahr entlastet. Das spürt man, vor allem bei einem Einkommen von 700 bis 800 Euro. Insgesamt ist das ein Volumen von 4,5 Millionen Euro. Natürlich kann es immer mehr sein. Aber wenn die Flasche leer ist, ist sie leer.
Vermögen und Erbschaften sind in Österreich stark auf Männer konzentriert. Die ÖVP wehrt sich vehement gegen Vermögens- und Erbschaftssteuer. Wäre die Besteuerung nicht eine wichtige frauenpolitische Maßnahme?
Damit kann man einer Frau keinen einzigen Erbteil, ob Haus, Hof oder Hund, beschaffen. Was sich die Leute im Laufe ihres Lebens erarbeitet haben, immer wieder versteuert haben – es kann doch nicht sein, dass ich die wieder bestrafe. Über die Besteuerung von Anleihen und Fonds kann man reden. Aber mit der Substanzsteuer treffen wir jene Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben.
In den frauenpolitischen Papieren auf Ihrer Website ist oft das Wort Sicherheit zu finden. „Unsere Frauenpolitik ist Absicherungspolitik“ ist da zu lesen. Wie stehen Sie zu einem bedingungslosen Grundeinkommen, das insbesondere Frauen vor Armut absichern würde?
Das muss man wirklich diskutieren, auch im Zusammenhang mit der Mindestsicherung. Damit bin ich nicht sehr glücklich. Das war damals ein Tausch: Wir sagen ja zur Mindestsicherung, sie war ein Vorschlag des Koalitionspartners SPÖ. Gleichzeitig sollte es die Transparenzdatenbank geben, die zeigt, wer wie viel Geld bekommt. Wir haben Doppelt- und Mehrfachförderungen in bestimmten Bereichen und können es gar nicht mehr nachvollziehen. Das ist das eine. Das andere habe ich auch in meiner Zeit als Bürgermeisterin gesehen. Da bekommen wir Anträge auf den Tisch von Leuten, die studieren, die noch nie gearbeitet haben. Die sagen sich: Ich bin eine Kindergartenhelferin, kriege im Monat 820 Euro für dreißig Stunden, beantrage ich die Mindestsicherung, kriege ich 780 Euro, gehe noch ein bisschen putzen und dann habe ich insgesamt mehr. Was nicht heißt, dass es nicht viele gibt, die die Mindestsicherung brauchen. Aber es kann nicht sein, dass die, die arbeiten und aktiv sind, in der Früh aufstehen und etwas tun, die Gschnapsten sind. Allein in Wien haben wir 134.209 Mindestsicherungsbezieher, in NÖ haben wir 21.407. Und jetzt haben die beiden in etwa gleich viele Einwohner. Da sieht man schon, was sich abspielt. Das sind Gelder, die fehlen uns dann in der Schule, im Kindergarten.
In Wien ist allerdings auch die Zahl der Working Poor besonders hoch. Menschen, deren Erwerbseinkommen nicht zum Leben ausreicht.
Ja, das stimmt. Das sind auch viele Alleinerziehende. Wir haben ein dichtes soziales Netz, aber trotzdem kann es sich nicht ausgehen. Da würde ich auch bei der Kinderbetreuung ansetzen. Das habe ich in meiner Gemeinde gemacht. Alleinstehende Mutter, zwei Kinder, Scheidung, da haben wir geschaut, dass die Nachmittagsbetreuung in der Schule kostenfrei ist. Kinderbetreuung sollte meiner Meinung nach kostenlos sein. Die einen zahlen zu lassen, die anderen nicht und das zu überprüfen kostet mehr als es bringt.
Die ÖVP will im Gesundheits- und Sozialbereich auf mehr „Eigenverantwortung“ setzen, so ist etwa die Einführung von Selbstbehalten angedacht. Bedeutet das nicht ein weiteres Armutsrisiko für Leute mit geringem Einkommen?
Das muss man breit diskutieren. Eigenverantwortung ist, dass man darauf schaut, was man selbst in die Gesellschaft einbringen kann, und auf sich selbst achtet. Ich kann nicht jede Art von Sport machen und davon ausgehen, dass, wenn ich mit dem Drachenflieger abstürze, die anderen für mich zahlen. Eigenverantwortung bedeutet im Gesundheitsbereich Vorsorge und ein bewusstes Leben. Ich nehme jetzt als Beispiel das Rauchen: Was bedeutet das für mich? Was kostet das auch?
Selbstbehalte bedeuten aber auch konkret, dass Menschen mit chronischen Krankheiten, die über ein geringes Einkommen verfügen, in die Armut getrieben werden.
Wir haben jetzt schon Selbstbehalte bei den Beamten. Wir haben aber auch Zigtausende, die von der Rezeptgebühr und von der Telefongebühr befreit sind, das muss man auch sehen. Bei jenen mit einer kleinen Pension muss man schauen, dass man sie unterstützt. Aber noch einmal: Den Selbstbehalt muss man sich ganz genau anschauen.
Bleiben wir beim Gesundheitssystem. Wie stehen Sie zur Fristenlösung? Ist hier für Sie bzw. die ÖVP eine Verschärfung denkbar?
Nein, hier sollte das Strafrecht so bleiben, wie es ist. Ich fordere seit vielen Jahren eine anonymisierte Abtreibungsstatistik. Da werden wir auch von der Europäischen Union gerügt. Diese Statistiken gibt es in ganz Europa, nur bei uns nicht. Mir geht es darum, zu wissen, wie wir helfen können. Sind es die jungen Frauen, die zu wenig aufgeklärt sind? Sind es die Älteren, die keine weiteren Kinder wollen? Wir geben im Jahr 8,2 Milliarden Euro für Familien aus, wenn ich Bund, Länder und Gemeinden zusammennehme. Gleichzeitig werden etwa 30.000 bis 40.000 Kinder jährlich abgetrieben. Da hilft mir die Sexualerziehung in der Schule nicht, wie meine Enkeltochter das jetzt erlebt hat und geschockt heimgekommen ist. Wie können wir den Jungen helfen? Ich bin immer dafür eingetreten, dass es Schwerpunktkrankenhäuser gibt oder eine First Love Ambulanz. Das haben wir schon unter Liese Prokop versucht. Dort können dann Jungen und Mädchen hingehen und sich über Verhütung informieren.
Wie stehen Sie dazu, den Schwangerschaftsabbruch verpflichtend in allen Spitälern anzubieten? In Westösterreich gibt es hier Probleme, auch die Kosten variieren stark.
Grundsätzlich muss man sagen: Es gibt ja keine Grenzen mehr. Wer abtreiben will und das nicht in der Nachbarschaft machen möchte, fährt ins Ausland. Ich bin dafür, dass es in Spitälern möglich sein soll, dann können wir es auch kontrollieren. Wir sollten das handhaben wie bei Schönheitsoperationen. Hier gibt es mittlerweile die Verpflichtung, dass zwei Ärzte beteiligt sein müssen. Dazwischen gibt es zwei Wochen Bedenkzeit. Muss der Po wirklich kleiner sein? Mädchen bekommen heute zur Matura eine Schönheitsoperation geschenkt – das ist unglaublich. Auch bei Schwangerschaftsabbrüchen sollte es verpflichtend sein, dass Frauen zu zwei Ärzten gehen müssen und dazwischen zwei Wochen zum Nachdenken liegen.
Das wäre dann aber doch eine Verschärfung der Fristenlösung.
Nicht im Sinne des Strafrechts. Das ist im Sinne der Frauen, dass sie sich beraten lassen. Eine Abtreibung ist kein Eis essen.
Glauben Sie, dass Frauen diese Entscheidung nicht verantwortungsvoll treffen?
Ich glaube, dass sie in einer Paniksituation sind. Wenn der Arzt in Ruhe mit ihr spricht, dann hilft das der Frau.
Derzeit wird die Strafgesetzreform diskutiert, das viel zitierte „Pograpschen“ etwa soll strafbar werden, wofür auch Sie sich ausgesprochen haben. Justizminister Wolfgang Brandstetter ruderte zuletzt zurück und meinte, Formulierungen müssten nochmals überprüft werden. Werden Sie hier der Frauenministerin den Rücken stärken?
Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Heute im Plenum sollte mir ein Kollege etwas weitergeben, normalerweise stupst er mich von hinten an, aber heute meinte er, er lasse das lieber. Man kann alles übertreiben. Minister Brandstetter hat den Gesetzesentwurf vorgelegt und wir sollten das in Ruhe diskutieren. Generell bin ich seiner Meinung, ein Pograpscher ist kein Kavaliersdelikt.
Die Frauensektion ist 2014 vom Bundeskanzleramt ins Bildungsministerium gewandert. Braucht es Ihrer Ansicht nach ein eigenes Frauenministerium mit entsprechendem Budget?
Es war ja immer schon zusammengefasst. Die Ministerin bemüht sich sehr. Im Bereich Bildung hat sie natürlich einen Scherbenhaufen übernommen und dem hat sie sich zu 150 Prozent zu widmen. Trotzdem lässt sie die Frauenpolitik nicht aus den Augen, das möchte ich schon betonen. Nicht, weil wir uns gut verstehen, sondern weil ich sehe, wie sie arbeitet. Da darf es dann nicht eine grüne, rote oder schwarze Frauenpolitik geben, sondern eine gute oder schlechte. Sie kämpft genauso wie ich, oder wir Frauensprecherinnen generell, gegen eine Phalanx – nicht auf Parteienebene, sondern von den Inhalten her.
Die ÖVP ist strikt gegen die Öffnung der Ehe für Homosexuelle. Das Thema der standesamtlich eingetragenen Partnerschaften werde „intern diskutiert“, heißt es. Muss man sich in der ÖVP mit solch kleinen Erfolgen zufriedengeben?
Das hat nichts mit Erfolg zu tun, das ist eine Frage der Wertehaltung. Die Ehe hat einen ganz besonderen Wert. Ich habe neun Geschwister. Fünf sind geschieden, wieder verheiratet. Bei uns gibt es alles. Das gilt auch für die Parteizugehörigkeit. Aber klar ist, dass die Ehe schützenswert ist. Und es hat sich bewährt, aus diesem System heraus die Gesellschaft zu stabilisieren.
Für Frauen hat es sich nicht so bewährt.
Für die Kinder. Ich glaube nicht, dass die durch eine Ehe Nachteile haben. Wenn Kinder in einer Partnerschaft aufwachsen, in der Mann und Frau nicht verheiratet sind, dann ist das eben so. Wichtig ist, dass sie gut versorgt sind, bestens betreut und geliebt werden. Dasselbe gilt für gleichgeschlechtliche Paare. Diese können ja heute schon Pflegekinder haben. Pflegekinder großzuziehen ist sicher nicht einfach, das muten wir den gleichgeschlechtlichen Paaren sehr wohl zu – warum also sollten sie nicht auch Kinder adoptieren dürfen?
Sie befürworten also das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Vor einem Jahr haben Sie noch etwas anderes gesagt.
Ja, das muss man sich wirklich anschauen und diskutieren. Das hat der Verfassungsgerichtshof auch so entschieden. Natürlich ist das für uns auch eine moralische Frage, aber wenn man es sich ganz genau überlegt: Neunzig Prozent der sexuellen Übergriffe auf Kinder passieren in der eigenen Familie durch den Vater oder einen Bekannten. Warum sollen da zwei Frauen, die vielleicht sogar schon geheiratet haben, keine Kinder haben dürfen? Genauso muss man es auch bei den Männern sehen. Wir müssen die Scheuklappen runternehmen. Trotzdem unterscheide ich ganz klar zwischen Ehe und Partnerschaft. Ob Standesamt oder nicht, ist mir egal.
Derzeit sind Homosexuelle bei Dienstleistungen oder auf dem Wohnungsmarkt überhaupt nicht vor Diskriminierungen geschützt. Wie stehen Sie zur Ausweitung des Diskriminierungsschutzes, zum sogenannten Levelling-Up für LGBTs?
Ich bin gegen dieses Levelling-Up. Und ich kann das begründen: Es wird immer von Homosexuellen gesprochen. Aber wenn da jetzt einer zur Tür hereinkommt, weiß ich nicht, ob der homosexuell ist. Ich weiß nicht, ob die Wirtin im Weinviertel das weiß und ihm deshalb kein Zimmer gibt. Wenn das Levelling-Up kommt, was auf europäischer Ebene noch nicht beschlossen ist, kann die betreffende Person die Wirtin verklagen. Sie muss dann den Beweis antreten, dass nicht Homosexualität der Grund war, sondern etwas anderes. In England hat eine Barbesitzerin Menschen verwiesen und eine Strafe von 20.000 Pfund zahlen müssen. Wo bleibt da der Diskriminierungsschutz für Private und privates Eigentum? Wenn Sie ein Haus, eine Wohnung oder ein Zimmer vermieten, dann obliegt es Ihnen zu entscheiden, an wen. Diese Beweislastumkehr muss zur Gänze aus dem Entwurf raus.
„Nicht die Herkunft zählt, sondern Leistung“ ist ein Slogan Ihres neuen Programms. Dieser Leistungsbegriff ist mittlerweile in Migrationsdebatten bei nahezu allen Parteien zu finden. Warum sind hier Menschenwürde und Menschenrechte kaum Thema – gerade in einer christlich-sozialen Partei?
Wenn Sie in unserem Programm etwas über unser Menschenbild gelesen haben, steht da genau das drinnen. Wir wollen, dass Kriegsflüchtlinge, andere Asylwerber, Migranten merken, dass wir sie und ihre Leistung annehmen. Wir wissen heute, dass dreißig Prozent der 15-Jährigen nicht sinnerfassend lesen können und ein Großteil kommt aus diesem Bereich. Man muss sagen: Pass auf, du kannst das. Das sind ja gescheite Leute. Die Leistung ist jetzt gar nicht aus wirtschaftlicher Sicht gemeint. Vielleicht haben wir es auch schlecht formuliert, das war auf jeden Fall unser Diskussionsansatz.
Flüchtlinge und AsylwerberInnen dürfen in Österreich nicht arbeiten.
Das habe ich immer kritisiert. Ich habe das in Bisamberg, wo ich lange Bürgermeisterin war, selbst als Problem erlebt. Also da haben wir schon einen Aufholbedarf. Die Öffentlichkeit kann diese Leute brauchen.
Angesichts der Katastrophen im Mittelmeer werfen die Grünen der Regierung Zynismus in der Asylpolitik vor. Einerseits gebe man sich angesichts der Toten betroffen, doch schon einen Tag später werde mit der „üblichen Flüchtlingsabwehrpolitik gnadenlos weitergemacht “. Die Ende April beschlossene Asylnovelle entspricht bezüglich der Schubhaftregeln weiterhin nicht den EU-Vorgaben. Außerdem sieht sie vor, Asylsuchende aus der Grundversorgung zu werfen, wenn deren Berufung abgelehnt wurde. Gerade Wien fürchtet sich davor, dass die Zahl der Obdachlosen steigt.
Ich habe von den Grünen noch nie einen konstruktiven Vorschlag gehört. Aber das ist natürlich ihre Aufgabe als Opposition. Wäre ich die Opposition, würde ich Tag und Nacht kritisieren. Aber ernsthaft Politik zu machen, heißt auch Vorschläge machen. Es gibt Fälle, da werden Papiere weggeworfen, und dazu raten auch heimische NGOs. Ich nenne jetzt keine Namen. Ihnen wird geraten, alles wegzuschmeißen und als ihr Alter 15, 16 anzugeben, damit sie ja nicht in den Erwachsenenbereich fallen. Das ist ein bewusster Missbrauch des Sozialsystems. Hier liegt die Schwierigkeit: jene herauszufiltern, die wirklich unsere Hilfe brauchen.
Damit diesen Menschen geholfen werden kann, gibt es den Vorschlag, einen humanitären Korridor einzurichten. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat stattdessen Auffanglager in Nordafrika angeregt. Ganz davon abgesehen, wie solch ein „Outsourcing“ moralisch zu bewerten ist, sagte eine UNHCR-Sprecherin, dass solche Pläne aufgrund der instabilen Lage völlig illusorisch seien. Der UNHCR hat stattdessen eben einen humanitären Korridor für Flüchtlinge gefordert, damit diese endlich legal in die EU einreisen könnten. Was halten Sie davon?
Ich denke, es ist sinnvoll, in den Herkunftsländern anzusetzen. Dann können wir schauen, wie wir sie legal zu uns holen, damit sie nicht zu den Schleppern gehen müssen. Und wir müssen schauen, wie wir sie unterbringen können. Und zwar nicht so, dass sie dahinvegetieren, weil es keinen Platz gibt. Wir haben in Traiskirchen 800 Jugendliche, Kinder ohne Begleitung, ohne Eltern. Hier muss man ganz praktisch ansetzen und nicht immer populistisch schreien. Wir müssen schauen, dass die Kinder eine Ausbildung bekommen, lesen und schreiben lernen. Und nicht in irgendwelchen Lagern leben, wo sie keine Perspektive haben. Auch dass wir vor Jahren die Entwicklungshilfe stark gekürzt haben, war ein Fehler.
Die Bildungsdebatte spaltet die ÖVP. Ist eine Gesamtschule für Sie vorstellbar oder halten Sie am Gymnasium fest?
Eine Gesamtschule schließt das Gymnasium nicht aus. Wir brauchen auch die Gymnasien. Man muss sich anschauen: Was braucht die Wirtschaft? Was braucht der Staat, d. h. die Gesellschaft, damit sie bestehen und überleben kann? In der Ganztagsschule sind die Kinder betreut, aber freiwillig, die Eltern entscheiden das. Ich habe grundsätzlich etwas gegen Zwang. Wenn Vorarlberg es mit der Gesamtschule probieren will, sollen sie.
In sozialen Netzwerken ist die ÖVP immer wieder Spott ausgesetzt. Zuletzt kursierte ein Foto, auf dem Johanna Mikl-Leitner und Sophie Karmasin auf einem Gruppenbild hinter die Männer gedrängt worden waren. Der neue Grundsatz, dass die ÖVP jünger und weiblicher werden soll, wurde mit einem Foto von der 70-Jahre-Feier kommentiert, auf dem in den ersten beiden Reihen ausschließlich Männer zu sehen sind. Fehlt hier noch das Bewusstsein, welche Signale nach außen gesendet werden?
Das Bewusstsein ist da, sonst hätten wir das Reißverschlusssystem nicht zustande gebracht. Fakt ist, dass es in den letzten siebzig Jahren vorne nur Männer gegeben hat. Wir können die Geschichte nicht zurückdrehen. Wir fragen uns schon: Hoppla, wie schauen wir denn jetzt da aus? Aber Tatsache ist, dass wir derzeit ausschließlich Landeshauptmänner haben.
Dorothea Schittenhelm ist Bundesleiterin der ÖPV-Frauen und Klubobmann-Stellvertreterin des Parlamentsklubs der ÖVP.